neuen Art von Pancratium, deren Blüte 21 bis 23 cm lang ist und die am Ufer des Tuy wächst. Wir verlebten zwei höchst angenehme Tage auf der Pflanzung Don Joses de Man- terola, der in der Jugend Mitglied der spanischen Gesandt- schaft in Rußland gewesen war. Als Zögling und Günst- ling Xavedras, eines der einsichtsvollsten Intendanten von Caracas, wollte er sich, als der berühmte Staatsmann ins Ministerium getreten war, nach Europa einschiffen. Der Gou- verneur der Provinz fürchtete Manterolas Einfluß und ließ ihn im Hafen verhaften, und als der Befehl von Hof an- langte, der die eigenmächtige Verhaftung aufhob, war der Minister bereits nicht mehr in Gunst. Es hält schwer, auf 7300 km von der südamerikanischen Küste rechtzeitig einzu- treffen, um von der Macht eines hochgestellten Mannes Nutzen zu ziehen.
Der Hof, auf dem wir wohnten, ist eine hübsche Zucker- plantage. Der Boden ist eben wie der Grund eines aus- getrockneten Sees. Der Tuy schlängelt sich durch Gründe, die mit Bananen und einem kleinen Gehölz von Hura cre- pitans, Erythrina corallodendron und Feigenbäumen mit Nymphäenblättern bewachsen sind. Das Flußbett besteht aus Quarzgeschieben, und ich wüßte nicht, wo man angenehmer badete als im Tuy: das kristallhelle Wasser behält selbst bei Tage die Temperatur von 18,6°. Das ist sehr kühl für dieses Klima und für eine Meereshöhe von 580 m, aber der Fluß entspringt in den benachbarten Bergen. Die Wohnung des Eigentümers liegt auf einem 30 bis 40 m hohen Hügel und ringsum stehen die Hütten der Neger. Die Verheirateten sorgen selbst für ihren Unterhalt. Wie überall in den Thä- lern von Aragua weist man ihnen ein kleines Grundstück an, das sie bebauen. Sie verwenden dazu die einzigen freien Tage in der Woche, Sonnabend und Sonntag. Sie halten Hühner, zuweilen sogar ein Schwein. Der Herr rühmt, wie gut sie es haben, wie im nördlichen Europa die gnädigen Herren den Wohlstand der leibeigenen Bauern rühmen. Am Tage unserer Ankunft sahen wir drei entsprungene Neger ein- bringen, vor kurzem gekaufte Sklaven. Ich fürchtete Zeuge einer der Prügelßenen sein zu müssen, die einem überall, wo die Sklaverei herrscht, das Landleben verbittern; glücklicher- weise wurden die Schwarzen menschlich behandelt.
Auf dieser Pflanzung, wie überall in der Provinz Vene- zuela, unterscheidet man schon von weitem die drei Arten
neuen Art von Pancratium, deren Blüte 21 bis 23 cm lang iſt und die am Ufer des Tuy wächſt. Wir verlebten zwei höchſt angenehme Tage auf der Pflanzung Don Joſes de Man- terola, der in der Jugend Mitglied der ſpaniſchen Geſandt- ſchaft in Rußland geweſen war. Als Zögling und Günſt- ling Xavedras, eines der einſichtsvollſten Intendanten von Caracas, wollte er ſich, als der berühmte Staatsmann ins Miniſterium getreten war, nach Europa einſchiffen. Der Gou- verneur der Provinz fürchtete Manterolas Einfluß und ließ ihn im Hafen verhaften, und als der Befehl von Hof an- langte, der die eigenmächtige Verhaftung aufhob, war der Miniſter bereits nicht mehr in Gunſt. Es hält ſchwer, auf 7300 km von der ſüdamerikaniſchen Küſte rechtzeitig einzu- treffen, um von der Macht eines hochgeſtellten Mannes Nutzen zu ziehen.
Der Hof, auf dem wir wohnten, iſt eine hübſche Zucker- plantage. Der Boden iſt eben wie der Grund eines aus- getrockneten Sees. Der Tuy ſchlängelt ſich durch Gründe, die mit Bananen und einem kleinen Gehölz von Hura cre- pitans, Erythrina corallodendron und Feigenbäumen mit Nymphäenblättern bewachſen ſind. Das Flußbett beſteht aus Quarzgeſchieben, und ich wüßte nicht, wo man angenehmer badete als im Tuy: das kriſtallhelle Waſſer behält ſelbſt bei Tage die Temperatur von 18,6°. Das iſt ſehr kühl für dieſes Klima und für eine Meereshöhe von 580 m, aber der Fluß entſpringt in den benachbarten Bergen. Die Wohnung des Eigentümers liegt auf einem 30 bis 40 m hohen Hügel und ringsum ſtehen die Hütten der Neger. Die Verheirateten ſorgen ſelbſt für ihren Unterhalt. Wie überall in den Thä- lern von Aragua weiſt man ihnen ein kleines Grundſtück an, das ſie bebauen. Sie verwenden dazu die einzigen freien Tage in der Woche, Sonnabend und Sonntag. Sie halten Hühner, zuweilen ſogar ein Schwein. Der Herr rühmt, wie gut ſie es haben, wie im nördlichen Europa die gnädigen Herren den Wohlſtand der leibeigenen Bauern rühmen. Am Tage unſerer Ankunft ſahen wir drei entſprungene Neger ein- bringen, vor kurzem gekaufte Sklaven. Ich fürchtete Zeuge einer der Prügelſzenen ſein zu müſſen, die einem überall, wo die Sklaverei herrſcht, das Landleben verbittern; glücklicher- weiſe wurden die Schwarzen menſchlich behandelt.
Auf dieſer Pflanzung, wie überall in der Provinz Vene- zuela, unterſcheidet man ſchon von weitem die drei Arten
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neuen Art von Pancratium, deren Blüte 21 bis 23 cm lang
iſt und die am Ufer des Tuy wächſt. Wir verlebten zwei
höchſt angenehme Tage auf der Pflanzung Don Joſes de Man-
terola, der in der Jugend Mitglied der ſpaniſchen Geſandt-
ſchaft in Rußland geweſen war. Als Zögling und Günſt-
ling Xavedras, eines der einſichtsvollſten Intendanten von
Caracas, wollte er ſich, als der berühmte Staatsmann ins
Miniſterium getreten war, nach Europa einſchiffen. Der Gou-
verneur der Provinz fürchtete Manterolas Einfluß und ließ
ihn im Hafen verhaften, und als der Befehl von Hof an-
langte, der die eigenmächtige Verhaftung aufhob, war der
Miniſter bereits nicht mehr in Gunſt. Es hält ſchwer, auf
7300 km von der ſüdamerikaniſchen Küſte rechtzeitig einzu-
treffen, um von der Macht eines hochgeſtellten Mannes Nutzen
zu ziehen.
Der Hof, auf dem wir wohnten, iſt eine hübſche Zucker-
plantage. Der Boden iſt eben wie der Grund eines aus-
getrockneten Sees. Der Tuy ſchlängelt ſich durch Gründe,
die mit Bananen und einem kleinen Gehölz von Hura cre-
pitans, Erythrina corallodendron und Feigenbäumen mit
Nymphäenblättern bewachſen ſind. Das Flußbett beſteht aus
Quarzgeſchieben, und ich wüßte nicht, wo man angenehmer
badete als im Tuy: das kriſtallhelle Waſſer behält ſelbſt bei
Tage die Temperatur von 18,6°. Das iſt ſehr kühl für dieſes
Klima und für eine Meereshöhe von 580 m, aber der Fluß
entſpringt in den benachbarten Bergen. Die Wohnung des
Eigentümers liegt auf einem 30 bis 40 m hohen Hügel und
ringsum ſtehen die Hütten der Neger. Die Verheirateten
ſorgen ſelbſt für ihren Unterhalt. Wie überall in den Thä-
lern von Aragua weiſt man ihnen ein kleines Grundſtück an,
das ſie bebauen. Sie verwenden dazu die einzigen freien
Tage in der Woche, Sonnabend und Sonntag. Sie halten
Hühner, zuweilen ſogar ein Schwein. Der Herr rühmt, wie
gut ſie es haben, wie im nördlichen Europa die gnädigen
Herren den Wohlſtand der leibeigenen Bauern rühmen. Am
Tage unſerer Ankunft ſahen wir drei entſprungene Neger ein-
bringen, vor kurzem gekaufte Sklaven. Ich fürchtete Zeuge
einer der Prügelſzenen ſein zu müſſen, die einem überall, wo
die Sklaverei herrſcht, das Landleben verbittern; glücklicher-
weiſe wurden die Schwarzen menſchlich behandelt.
Auf dieſer Pflanzung, wie überall in der Provinz Vene-
zuela, unterſcheidet man ſchon von weitem die drei Arten
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/186>, abgerufen am 16.02.2025.
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