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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Gili hat diese Erderschütterungen in einer ganz granitischen
Gebirgsgegend, in der Mission Encaramada beschrieben, wo
sie von heftigen Donnerschlägen begleitet waren. Am Paurari
erfolgten große Bergstürze und beim Felsen Aravacoto ver-
schwand eine Insel im Orinoko. Die wellenförmigen Be-
wegungen dauerten eine ganze Stunde. Damit war gleichsam
das Zeichen gegeben zu den heftigen Erschütterungen, welche
die Küsten von Cumana und Cariaco mehr als zehn Monate
lang erlitten. Man sollte meinen, Menschen, die zerstreut in
Wäldern leben und kein anderes Obdach haben als Hütten
aus Rohr und Palmblättern, fürchten sich nicht vor den Erd-
beben. Die Indianer am Erevato und Caura entsetzen sich
aber darüber, da die Erscheinung bei ihnen selten vorkommt,
und selbst die Tiere im Walde erschrecken ja dabei, und die
Krokodile eilen aus dem Wasser ans Ufer. Näher bei der See,
wo die Erdstöße sehr häufig sind, fürchten sich die Indianer
nicht nur nicht davor, sondern sehen sie gern als Vorboten
eines feuchten, fruchtbaren Jahres.

Alles weist darauf hin, daß im Inneren des Erdballes
nie schlummernde Kräfte walten, die miteinander ringen, sich
das Gleichgewicht halten und sich gegenseitig stimmen. Je
mehr die Ursachen jener Wellenbewegungen des Bodens, jener
Entbindung von Hitze, jener Bildung elastischer Flüssigkeiten
für uns in Dunkel gehüllt sind, desto größere Aufforderung
hat der Physiker, den Zusammenhang näher zu beobachten, der
zwischen diesen Erscheinungen sichtbar besteht und auf weite
Entfernungen und in sehr gleichförmiger Weise zu Tage kommt.
Nur wenn man die verschiedenen Beziehungen und Verhält-
nisse aus einem allgemeinen Gesichtspunkte betrachtet, wenn
man sie über ein großes Stück der Erdoberfläche durch die
verschiedensten Gebirgsarten verfolgt, kommt man dazu, den
Gedanken aufzugeben, als ob die vulkanischen Erscheinungen
und die Erdbeben kleine lokale Ursachen haben könnten wie
Schichten von Schwefelkiesen und brennende Steinkohlenflöze.

Wir haben uns in diesem Kapitel mit den gewaltigen
Erschütterungen beschäftigt, welche die Steinkruste des Erd-
balles von Zeit zu Zeit erleidet, und die unermeßlichen Jammer
über ein Land bringen, das die Natur mit ihren köstlichsten
Gaben ausgestattet hat. Ununterbrochene Ruhe herrscht in
der oberen Atmosphäre, aber -- um einen Ausdruck Franklins
zu brauchen, der mehr witzig ist als richtig -- in der unter-
irdischen Atmosphäre
, in diesem Gemisch elastischer Flüssig-

Gili hat dieſe Erderſchütterungen in einer ganz granitiſchen
Gebirgsgegend, in der Miſſion Encaramada beſchrieben, wo
ſie von heftigen Donnerſchlägen begleitet waren. Am Paurari
erfolgten große Bergſtürze und beim Felſen Aravacoto ver-
ſchwand eine Inſel im Orinoko. Die wellenförmigen Be-
wegungen dauerten eine ganze Stunde. Damit war gleichſam
das Zeichen gegeben zu den heftigen Erſchütterungen, welche
die Küſten von Cumana und Cariaco mehr als zehn Monate
lang erlitten. Man ſollte meinen, Menſchen, die zerſtreut in
Wäldern leben und kein anderes Obdach haben als Hütten
aus Rohr und Palmblättern, fürchten ſich nicht vor den Erd-
beben. Die Indianer am Erevato und Caura entſetzen ſich
aber darüber, da die Erſcheinung bei ihnen ſelten vorkommt,
und ſelbſt die Tiere im Walde erſchrecken ja dabei, und die
Krokodile eilen aus dem Waſſer ans Ufer. Näher bei der See,
wo die Erdſtöße ſehr häufig ſind, fürchten ſich die Indianer
nicht nur nicht davor, ſondern ſehen ſie gern als Vorboten
eines feuchten, fruchtbaren Jahres.

Alles weiſt darauf hin, daß im Inneren des Erdballes
nie ſchlummernde Kräfte walten, die miteinander ringen, ſich
das Gleichgewicht halten und ſich gegenſeitig ſtimmen. Je
mehr die Urſachen jener Wellenbewegungen des Bodens, jener
Entbindung von Hitze, jener Bildung elaſtiſcher Flüſſigkeiten
für uns in Dunkel gehüllt ſind, deſto größere Aufforderung
hat der Phyſiker, den Zuſammenhang näher zu beobachten, der
zwiſchen dieſen Erſcheinungen ſichtbar beſteht und auf weite
Entfernungen und in ſehr gleichförmiger Weiſe zu Tage kommt.
Nur wenn man die verſchiedenen Beziehungen und Verhält-
niſſe aus einem allgemeinen Geſichtspunkte betrachtet, wenn
man ſie über ein großes Stück der Erdoberfläche durch die
verſchiedenſten Gebirgsarten verfolgt, kommt man dazu, den
Gedanken aufzugeben, als ob die vulkaniſchen Erſcheinungen
und die Erdbeben kleine lokale Urſachen haben könnten wie
Schichten von Schwefelkieſen und brennende Steinkohlenflöze.

Wir haben uns in dieſem Kapitel mit den gewaltigen
Erſchütterungen beſchäftigt, welche die Steinkruſte des Erd-
balles von Zeit zu Zeit erleidet, und die unermeßlichen Jammer
über ein Land bringen, das die Natur mit ihren köſtlichſten
Gaben ausgeſtattet hat. Ununterbrochene Ruhe herrſcht in
der oberen Atmoſphäre, aber — um einen Ausdruck Franklins
zu brauchen, der mehr witzig iſt als richtig — in der unter-
irdiſchen Atmoſphäre
, in dieſem Gemiſch elaſtiſcher Flüſſig-

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[166/0174] Gili hat dieſe Erderſchütterungen in einer ganz granitiſchen Gebirgsgegend, in der Miſſion Encaramada beſchrieben, wo ſie von heftigen Donnerſchlägen begleitet waren. Am Paurari erfolgten große Bergſtürze und beim Felſen Aravacoto ver- ſchwand eine Inſel im Orinoko. Die wellenförmigen Be- wegungen dauerten eine ganze Stunde. Damit war gleichſam das Zeichen gegeben zu den heftigen Erſchütterungen, welche die Küſten von Cumana und Cariaco mehr als zehn Monate lang erlitten. Man ſollte meinen, Menſchen, die zerſtreut in Wäldern leben und kein anderes Obdach haben als Hütten aus Rohr und Palmblättern, fürchten ſich nicht vor den Erd- beben. Die Indianer am Erevato und Caura entſetzen ſich aber darüber, da die Erſcheinung bei ihnen ſelten vorkommt, und ſelbſt die Tiere im Walde erſchrecken ja dabei, und die Krokodile eilen aus dem Waſſer ans Ufer. Näher bei der See, wo die Erdſtöße ſehr häufig ſind, fürchten ſich die Indianer nicht nur nicht davor, ſondern ſehen ſie gern als Vorboten eines feuchten, fruchtbaren Jahres. Alles weiſt darauf hin, daß im Inneren des Erdballes nie ſchlummernde Kräfte walten, die miteinander ringen, ſich das Gleichgewicht halten und ſich gegenſeitig ſtimmen. Je mehr die Urſachen jener Wellenbewegungen des Bodens, jener Entbindung von Hitze, jener Bildung elaſtiſcher Flüſſigkeiten für uns in Dunkel gehüllt ſind, deſto größere Aufforderung hat der Phyſiker, den Zuſammenhang näher zu beobachten, der zwiſchen dieſen Erſcheinungen ſichtbar beſteht und auf weite Entfernungen und in ſehr gleichförmiger Weiſe zu Tage kommt. Nur wenn man die verſchiedenen Beziehungen und Verhält- niſſe aus einem allgemeinen Geſichtspunkte betrachtet, wenn man ſie über ein großes Stück der Erdoberfläche durch die verſchiedenſten Gebirgsarten verfolgt, kommt man dazu, den Gedanken aufzugeben, als ob die vulkaniſchen Erſcheinungen und die Erdbeben kleine lokale Urſachen haben könnten wie Schichten von Schwefelkieſen und brennende Steinkohlenflöze. Wir haben uns in dieſem Kapitel mit den gewaltigen Erſchütterungen beſchäftigt, welche die Steinkruſte des Erd- balles von Zeit zu Zeit erleidet, und die unermeßlichen Jammer über ein Land bringen, das die Natur mit ihren köſtlichſten Gaben ausgeſtattet hat. Ununterbrochene Ruhe herrſcht in der oberen Atmoſphäre, aber — um einen Ausdruck Franklins zu brauchen, der mehr witzig iſt als richtig — in der unter- irdiſchen Atmoſphäre, in dieſem Gemiſch elaſtiſcher Flüſſig-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/174>, abgerufen am 24.11.2024.