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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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In mehreren aus Anlaß der Zerstörung von Caracas
veröffentlichten Nachrichten wird behauptet: "Die Silla sei ein
erloschener Vulkan, man finde viele vulkanische Produkte auf
dem Wege von Guayra nach Caracas, das Gestein sei dort
nirgends regelmäßig geschichtet und zeige überall Spuren des
unterirdischen Feuers." Ja, es heißt weiter: "Zwölf Jahre
vor der großen Katastrophe haben Bonpland und ich nach
unseren mineralogischen und physikalischen Untersuchungen er-
klärt, die Silla sei ein sehr gefährlicher Nachbar für die Stadt,
weil der Berg viel Schwefel enthalte und die Stöße von
Nordost herkommen müßten." Es kommt selten vor, daß
Physiker sich wegen einer eingetroffenen Prophezeiung zu
rechtfertigen haben; ich halte es aber für Pflicht, den Vor-
stellungen von lokalen Ursachen der Erdbeben, die nur zu
leicht Eingang finden, entgegenzutreten.

Ueberall, wo der Boden monatelang fortwährend er-
schüttert worden, wie auf Jamaika im Jahre 1693, in Lissa-
bon 1755, in Cumana 1766, in Piemont 1808, ist man
darauf gefaßt, einen Vulkan sich öffnen zu sehen. Man ver-
gißt, daß man die Herde oder Mittelpunkte der Bewegung
weit unter der Erdoberfläche zu suchen hat; daß, nach zuver-
lässigen Aussagen, die Schwingungen sich fast im selben Mo-
ment 4500 km weit über die tiefsten Meere weg fortpflanzen;
daß die größten Zerstörungen nicht am Fuße thätiger Vulkane,
sondern in aus den verschiedensten Felsarten aufgebauten Ge-
birgsketten vorgekommen sind. Die Gneis-, Glimmerschiefer-
und Urkalkschichten in der Umgegend von Caracas sind keines-
wegs stärker zerbrochen oder unregelmäßiger geneigt, als bei
Freiberg in Sachsen und überall, wo Urgebirge rasch zu be-
deutender Höhe ansteigen; ich habe daselbst weder Basalt noch
Dolerit, nicht einmal Trachyte und Trapp-Porphyre gefunden,
kurz, keine Spur von erloschenen Vulkanen. Es konnte mir
nie einfallen, zu äußern, die Silla und der Cerro de Avila
seien für die Hauptstadt gefährliche Nachbarn, weil diese Berge
in untergeordneten Schichten von Urkalk viele Schwefelkiese
enthalten; ich erinnere mich aber, während meines Aufent-
haltes in Caracas gesagt zu haben, seit dem großen Erdbeben
in Quito scheine am östlichen Ende von Terra Firma der
Boden so unruhig zu sein, daß man befürchten müsse, mit der
Zeit dürfte die Provinz Venezuela starke Erderschütterungen
erleiden. Ich bemerkte weiter, wenn ein Land lange von Erd-
stößen heimgesucht worden sei, so scheinen sich in der Tiefe

In mehreren aus Anlaß der Zerſtörung von Caracas
veröffentlichten Nachrichten wird behauptet: „Die Silla ſei ein
erloſchener Vulkan, man finde viele vulkaniſche Produkte auf
dem Wege von Guayra nach Caracas, das Geſtein ſei dort
nirgends regelmäßig geſchichtet und zeige überall Spuren des
unterirdiſchen Feuers.“ Ja, es heißt weiter: „Zwölf Jahre
vor der großen Kataſtrophe haben Bonpland und ich nach
unſeren mineralogiſchen und phyſikaliſchen Unterſuchungen er-
klärt, die Silla ſei ein ſehr gefährlicher Nachbar für die Stadt,
weil der Berg viel Schwefel enthalte und die Stöße von
Nordoſt herkommen müßten.“ Es kommt ſelten vor, daß
Phyſiker ſich wegen einer eingetroffenen Prophezeiung zu
rechtfertigen haben; ich halte es aber für Pflicht, den Vor-
ſtellungen von lokalen Urſachen der Erdbeben, die nur zu
leicht Eingang finden, entgegenzutreten.

Ueberall, wo der Boden monatelang fortwährend er-
ſchüttert worden, wie auf Jamaika im Jahre 1693, in Liſſa-
bon 1755, in Cumana 1766, in Piemont 1808, iſt man
darauf gefaßt, einen Vulkan ſich öffnen zu ſehen. Man ver-
gißt, daß man die Herde oder Mittelpunkte der Bewegung
weit unter der Erdoberfläche zu ſuchen hat; daß, nach zuver-
läſſigen Ausſagen, die Schwingungen ſich faſt im ſelben Mo-
ment 4500 km weit über die tiefſten Meere weg fortpflanzen;
daß die größten Zerſtörungen nicht am Fuße thätiger Vulkane,
ſondern in aus den verſchiedenſten Felsarten aufgebauten Ge-
birgsketten vorgekommen ſind. Die Gneis-, Glimmerſchiefer-
und Urkalkſchichten in der Umgegend von Caracas ſind keines-
wegs ſtärker zerbrochen oder unregelmäßiger geneigt, als bei
Freiberg in Sachſen und überall, wo Urgebirge raſch zu be-
deutender Höhe anſteigen; ich habe daſelbſt weder Baſalt noch
Dolerit, nicht einmal Trachyte und Trapp-Porphyre gefunden,
kurz, keine Spur von erloſchenen Vulkanen. Es konnte mir
nie einfallen, zu äußern, die Silla und der Cerro de Avila
ſeien für die Hauptſtadt gefährliche Nachbarn, weil dieſe Berge
in untergeordneten Schichten von Urkalk viele Schwefelkieſe
enthalten; ich erinnere mich aber, während meines Aufent-
haltes in Caracas geſagt zu haben, ſeit dem großen Erdbeben
in Quito ſcheine am öſtlichen Ende von Terra Firma der
Boden ſo unruhig zu ſein, daß man befürchten müſſe, mit der
Zeit dürfte die Provinz Venezuela ſtarke Erderſchütterungen
erleiden. Ich bemerkte weiter, wenn ein Land lange von Erd-
ſtößen heimgeſucht worden ſei, ſo ſcheinen ſich in der Tiefe

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[159/0167] In mehreren aus Anlaß der Zerſtörung von Caracas veröffentlichten Nachrichten wird behauptet: „Die Silla ſei ein erloſchener Vulkan, man finde viele vulkaniſche Produkte auf dem Wege von Guayra nach Caracas, das Geſtein ſei dort nirgends regelmäßig geſchichtet und zeige überall Spuren des unterirdiſchen Feuers.“ Ja, es heißt weiter: „Zwölf Jahre vor der großen Kataſtrophe haben Bonpland und ich nach unſeren mineralogiſchen und phyſikaliſchen Unterſuchungen er- klärt, die Silla ſei ein ſehr gefährlicher Nachbar für die Stadt, weil der Berg viel Schwefel enthalte und die Stöße von Nordoſt herkommen müßten.“ Es kommt ſelten vor, daß Phyſiker ſich wegen einer eingetroffenen Prophezeiung zu rechtfertigen haben; ich halte es aber für Pflicht, den Vor- ſtellungen von lokalen Urſachen der Erdbeben, die nur zu leicht Eingang finden, entgegenzutreten. Ueberall, wo der Boden monatelang fortwährend er- ſchüttert worden, wie auf Jamaika im Jahre 1693, in Liſſa- bon 1755, in Cumana 1766, in Piemont 1808, iſt man darauf gefaßt, einen Vulkan ſich öffnen zu ſehen. Man ver- gißt, daß man die Herde oder Mittelpunkte der Bewegung weit unter der Erdoberfläche zu ſuchen hat; daß, nach zuver- läſſigen Ausſagen, die Schwingungen ſich faſt im ſelben Mo- ment 4500 km weit über die tiefſten Meere weg fortpflanzen; daß die größten Zerſtörungen nicht am Fuße thätiger Vulkane, ſondern in aus den verſchiedenſten Felsarten aufgebauten Ge- birgsketten vorgekommen ſind. Die Gneis-, Glimmerſchiefer- und Urkalkſchichten in der Umgegend von Caracas ſind keines- wegs ſtärker zerbrochen oder unregelmäßiger geneigt, als bei Freiberg in Sachſen und überall, wo Urgebirge raſch zu be- deutender Höhe anſteigen; ich habe daſelbſt weder Baſalt noch Dolerit, nicht einmal Trachyte und Trapp-Porphyre gefunden, kurz, keine Spur von erloſchenen Vulkanen. Es konnte mir nie einfallen, zu äußern, die Silla und der Cerro de Avila ſeien für die Hauptſtadt gefährliche Nachbarn, weil dieſe Berge in untergeordneten Schichten von Urkalk viele Schwefelkieſe enthalten; ich erinnere mich aber, während meines Aufent- haltes in Caracas geſagt zu haben, ſeit dem großen Erdbeben in Quito ſcheine am öſtlichen Ende von Terra Firma der Boden ſo unruhig zu ſein, daß man befürchten müſſe, mit der Zeit dürfte die Provinz Venezuela ſtarke Erderſchütterungen erleiden. Ich bemerkte weiter, wenn ein Land lange von Erd- ſtößen heimgeſucht worden ſei, ſo ſcheinen ſich in der Tiefe

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/167>, abgerufen am 24.11.2024.