feuchten, veränderlichen Klimas, wegen des umzogenen, trüb- seligen Himmels. Die Bewohner dieses kühlen Thales da- gegen sprachen von Cumana als von einer Stadt, wo man jahraus, jahrein eine erstickend heiße Luft atme und wo der Boden von heftigen Erdstößen erschüttert werde. Selbst Ge- bildete dachten nicht an die Verwüstung von Riobamba und anderen hochgelegenen Städten; sie wußten nicht, daß die Erschütterung des Kalksteins an der Küste von Cumana sich in die aus Glimmerschiefer bestehende Halbinsel Araya fort- pflanzt, und so waren sie der Meinung, daß Caracas so- wohl wegen des Baues seines Urgebirges als wegen der hohen Lage der Stadt nichts zu besorgen habe. Feierliche Gottesdienste, die in Guayra und in der Hauptstadt selbst bei nächtlicher Weile begangen wurden,1 mahnten sie aller- dings daran, daß von Zeit zu Zeit die Provinz Venezuela von Erdbeben heimgesucht worden war; aber Gefahren, die selten wiederkehren, machen einem wenig bange. Im Jahre 1811 sollte eine gräßliche Erfahrung eine schmeichelnde Theorie und den Volksglauben über den Haufen werfen. Caracas, 3° westlich von Cumana und 5° westlich vom Meridian der vulkanischen Karibischen Inseln, erlitt heftigere Stöße, als man je auf den Küsten von Paria und Neuandalusien gespürt.
Gleich nach meiner Ankunft in Terra Firma war mir der Zusammenhang zwischen zwei Naturereignissen, zwischen der Zerstörung von Cumana am 14. Dezember 1797 und dem Ausbruch der Vulkane auf den Kleinen Antillen, aufgefallen. Etwas Aehnliches zeigte sich nun auch bei der Verwüstung von Caracas am 26. März 1812. Im Jahre 1797 schien der Vulkan der Insel Guadeloupe auf die Küste von Cumana reagiert zu haben; 15 Jahre später wirkte, wie es scheint, ein dem Festlande näher liegender Vulkan, der auf San Vin- cent, in derselben Weise bis nach Caracas und an den Apure hin. Wahrscheinlich lag beidemal der Herd des Ausbruches in ungeheurer Tiefe, gleich weit von den Punkten der Erd- oberfläche, bis zu welchen die Bewegung sich fortpflanzte.
1 Z. B. die nächtliche Prozession am 21. Oktober zum An- denken an das große Erdbeben an diesem Tage um 1 Uhr nach Mitternacht im Jahre 1778. Andere sehr starke Erdstöße kamen vor in den Jahren 1641, 1703 und 1802.
feuchten, veränderlichen Klimas, wegen des umzogenen, trüb- ſeligen Himmels. Die Bewohner dieſes kühlen Thales da- gegen ſprachen von Cumana als von einer Stadt, wo man jahraus, jahrein eine erſtickend heiße Luft atme und wo der Boden von heftigen Erdſtößen erſchüttert werde. Selbſt Ge- bildete dachten nicht an die Verwüſtung von Riobamba und anderen hochgelegenen Städten; ſie wußten nicht, daß die Erſchütterung des Kalkſteins an der Küſte von Cumana ſich in die aus Glimmerſchiefer beſtehende Halbinſel Araya fort- pflanzt, und ſo waren ſie der Meinung, daß Caracas ſo- wohl wegen des Baues ſeines Urgebirges als wegen der hohen Lage der Stadt nichts zu beſorgen habe. Feierliche Gottesdienſte, die in Guayra und in der Hauptſtadt ſelbſt bei nächtlicher Weile begangen wurden,1 mahnten ſie aller- dings daran, daß von Zeit zu Zeit die Provinz Venezuela von Erdbeben heimgeſucht worden war; aber Gefahren, die ſelten wiederkehren, machen einem wenig bange. Im Jahre 1811 ſollte eine gräßliche Erfahrung eine ſchmeichelnde Theorie und den Volksglauben über den Haufen werfen. Caracas, 3° weſtlich von Cumana und 5° weſtlich vom Meridian der vulkaniſchen Karibiſchen Inſeln, erlitt heftigere Stöße, als man je auf den Küſten von Paria und Neuandaluſien geſpürt.
Gleich nach meiner Ankunft in Terra Firma war mir der Zuſammenhang zwiſchen zwei Naturereigniſſen, zwiſchen der Zerſtörung von Cumana am 14. Dezember 1797 und dem Ausbruch der Vulkane auf den Kleinen Antillen, aufgefallen. Etwas Aehnliches zeigte ſich nun auch bei der Verwüſtung von Caracas am 26. März 1812. Im Jahre 1797 ſchien der Vulkan der Inſel Guadeloupe auf die Küſte von Cumana reagiert zu haben; 15 Jahre ſpäter wirkte, wie es ſcheint, ein dem Feſtlande näher liegender Vulkan, der auf San Vin- cent, in derſelben Weiſe bis nach Caracas und an den Apure hin. Wahrſcheinlich lag beidemal der Herd des Ausbruches in ungeheurer Tiefe, gleich weit von den Punkten der Erd- oberfläche, bis zu welchen die Bewegung ſich fortpflanzte.
1 Z. B. die nächtliche Prozeſſion am 21. Oktober zum An- denken an das große Erdbeben an dieſem Tage um 1 Uhr nach Mitternacht im Jahre 1778. Andere ſehr ſtarke Erdſtöße kamen vor in den Jahren 1641, 1703 und 1802.
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feuchten, veränderlichen Klimas, wegen des umzogenen, trüb-
ſeligen Himmels. Die Bewohner dieſes kühlen Thales da-
gegen ſprachen von Cumana als von einer Stadt, wo man
jahraus, jahrein eine erſtickend heiße Luft atme und wo der
Boden von heftigen Erdſtößen erſchüttert werde. Selbſt Ge-
bildete dachten nicht an die Verwüſtung von Riobamba und
anderen hochgelegenen Städten; ſie wußten nicht, daß die
Erſchütterung des Kalkſteins an der Küſte von Cumana ſich
in die aus Glimmerſchiefer beſtehende Halbinſel Araya fort-
pflanzt, und ſo waren ſie der Meinung, daß Caracas ſo-
wohl wegen des Baues ſeines Urgebirges als wegen der
hohen Lage der Stadt nichts zu beſorgen habe. Feierliche
Gottesdienſte, die in Guayra und in der Hauptſtadt ſelbſt
bei nächtlicher Weile begangen wurden, 1 mahnten ſie aller-
dings daran, daß von Zeit zu Zeit die Provinz Venezuela
von Erdbeben heimgeſucht worden war; aber Gefahren, die
ſelten wiederkehren, machen einem wenig bange. Im Jahre
1811 ſollte eine gräßliche Erfahrung eine ſchmeichelnde Theorie
und den Volksglauben über den Haufen werfen. Caracas,
3° weſtlich von Cumana und 5° weſtlich vom Meridian
der vulkaniſchen Karibiſchen Inſeln, erlitt heftigere Stöße,
als man je auf den Küſten von Paria und Neuandaluſien
geſpürt.
Gleich nach meiner Ankunft in Terra Firma war mir
der Zuſammenhang zwiſchen zwei Naturereigniſſen, zwiſchen
der Zerſtörung von Cumana am 14. Dezember 1797 und dem
Ausbruch der Vulkane auf den Kleinen Antillen, aufgefallen.
Etwas Aehnliches zeigte ſich nun auch bei der Verwüſtung
von Caracas am 26. März 1812. Im Jahre 1797 ſchien
der Vulkan der Inſel Guadeloupe auf die Küſte von Cumana
reagiert zu haben; 15 Jahre ſpäter wirkte, wie es ſcheint,
ein dem Feſtlande näher liegender Vulkan, der auf San Vin-
cent, in derſelben Weiſe bis nach Caracas und an den Apure
hin. Wahrſcheinlich lag beidemal der Herd des Ausbruches
in ungeheurer Tiefe, gleich weit von den Punkten der Erd-
oberfläche, bis zu welchen die Bewegung ſich fortpflanzte.
1 Z. B. die nächtliche Prozeſſion am 21. Oktober zum An-
denken an das große Erdbeben an dieſem Tage um 1 Uhr nach
Mitternacht im Jahre 1778. Andere ſehr ſtarke Erdſtöße kamen vor
in den Jahren 1641, 1703 und 1802.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/158>, abgerufen am 16.07.2024.
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