der Silla bis zum Tocuyo, 315 km weit, sind die Berge von Caracas so niedrig, daß für die oben erwähnten Sträucher aus der Familie der Ericineen das Klima nicht kühl genug ist. Und wenn auch, wie wahrscheinlich ist, die Thibaudia und die Alpenrose der Anden oder die Befaria im Paramo von Niquitao und in der mit ewigem Schnee bedeckten Sierra de Merida vorkommen, so ist doch auf eine weite Strecke kein Felskamm, der hoch genug wäre, daß diese Gewächse auf ihm nach der Silla von Caracas hätten wandern können.
Je mehr man die Verteilung der organischen Bildungen auf der Erdoberfläche kennen lernt, desto geneigter wird man, wenn auch nicht diese Vorstellungen von einer Wanderung aufzugeben, doch darin keinen ausreichenden Erklärungsgrund mehr zu erblicken. Die Kette der Anden teilt der Länge nach ganz Südamerika in zwei ungleiche Stücke. Am Fuße dieser Kette, ostwärts und westwärts, fanden wir in großer Anzahl dieselben Pflanzenarten. All' die verschiedenen Uebergänge der Kordilleren sind aber derart, daß nirgends Gewächse der heißen Zone von den Küsten der Südsee an die Ufer des Amazonenstromes gelangt sein können. Wenn, sei es nun im Tieflande oder in ganz niedrigen Bergen, sei es inmitten eines Archipels von durch unterirdisches Feuer emporgehobenen Inseln, ein Berggipfel zu einer großen Höhe ansteigt, so ist sein Gipfel mit Alpenkräutern bewachsen, die zum Teil in ungeheuren Entfernungen auf anderen Bergen mit ähnlichem Klima gleichfalls vorkommen. In dieser Weise zeigen sich im allgemeinen die Gewächse verteilt und man kann den Forschern die genauere Ermittelung dieser Verhältnisse nicht dringend genug empfehlen. Wenn ich hier gegen voreilige Hypothesen spreche, so nehme ich es keineswegs über mich, befriedigendere dafür aufzustellen. Ich halte vielmehr die Probleme, von denen es sich hier handelt, für unlösbar, und nach meiner Anschauung hat die Erfahrung geleistet, was sie kann, wenn sie die Gesetze ermittelt, nach denen die Natur die Pflanzen- gebilde verteilt hat.
Man sagt, ein Berg sei so hoch, daß er die Grenze des Rhododendron und der Befaria erreiche, wie man schon lange sagt, ein Berg erreiche die Grenze des ewigen Schnees. Mit diesem Ausdruck setzt man stillschweigend voraus, daß unter dem Einflusse gewisser Wärmegrade sich notwendig gewisse vegetabilische Formen entwickeln müssen. Streng genommen ist nun diese Voraussetzung allerdings nicht richtig. Die
der Silla bis zum Tocuyo, 315 km weit, ſind die Berge von Caracas ſo niedrig, daß für die oben erwähnten Sträucher aus der Familie der Ericineen das Klima nicht kühl genug iſt. Und wenn auch, wie wahrſcheinlich iſt, die Thibaudia und die Alpenroſe der Anden oder die Befaria im Paramo von Niquitao und in der mit ewigem Schnee bedeckten Sierra de Merida vorkommen, ſo iſt doch auf eine weite Strecke kein Felskamm, der hoch genug wäre, daß dieſe Gewächſe auf ihm nach der Silla von Caracas hätten wandern können.
Je mehr man die Verteilung der organiſchen Bildungen auf der Erdoberfläche kennen lernt, deſto geneigter wird man, wenn auch nicht dieſe Vorſtellungen von einer Wanderung aufzugeben, doch darin keinen ausreichenden Erklärungsgrund mehr zu erblicken. Die Kette der Anden teilt der Länge nach ganz Südamerika in zwei ungleiche Stücke. Am Fuße dieſer Kette, oſtwärts und weſtwärts, fanden wir in großer Anzahl dieſelben Pflanzenarten. All’ die verſchiedenen Uebergänge der Kordilleren ſind aber derart, daß nirgends Gewächſe der heißen Zone von den Küſten der Südſee an die Ufer des Amazonenſtromes gelangt ſein können. Wenn, ſei es nun im Tieflande oder in ganz niedrigen Bergen, ſei es inmitten eines Archipels von durch unterirdiſches Feuer emporgehobenen Inſeln, ein Berggipfel zu einer großen Höhe anſteigt, ſo iſt ſein Gipfel mit Alpenkräutern bewachſen, die zum Teil in ungeheuren Entfernungen auf anderen Bergen mit ähnlichem Klima gleichfalls vorkommen. In dieſer Weiſe zeigen ſich im allgemeinen die Gewächſe verteilt und man kann den Forſchern die genauere Ermittelung dieſer Verhältniſſe nicht dringend genug empfehlen. Wenn ich hier gegen voreilige Hypotheſen ſpreche, ſo nehme ich es keineswegs über mich, befriedigendere dafür aufzuſtellen. Ich halte vielmehr die Probleme, von denen es ſich hier handelt, für unlösbar, und nach meiner Anſchauung hat die Erfahrung geleiſtet, was ſie kann, wenn ſie die Geſetze ermittelt, nach denen die Natur die Pflanzen- gebilde verteilt hat.
Man ſagt, ein Berg ſei ſo hoch, daß er die Grenze des Rhododendron und der Befaria erreiche, wie man ſchon lange ſagt, ein Berg erreiche die Grenze des ewigen Schnees. Mit dieſem Ausdruck ſetzt man ſtillſchweigend voraus, daß unter dem Einfluſſe gewiſſer Wärmegrade ſich notwendig gewiſſe vegetabiliſche Formen entwickeln müſſen. Streng genommen iſt nun dieſe Vorausſetzung allerdings nicht richtig. Die
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der Silla bis zum Tocuyo, 315 km weit, ſind die Berge von
Caracas ſo niedrig, daß für die oben erwähnten Sträucher
aus der Familie der Ericineen das Klima nicht kühl genug
iſt. Und wenn auch, wie wahrſcheinlich iſt, die Thibaudia
und die Alpenroſe der Anden oder die Befaria im Paramo
von Niquitao und in der mit ewigem Schnee bedeckten Sierra
de Merida vorkommen, ſo iſt doch auf eine weite Strecke kein
Felskamm, der hoch genug wäre, daß dieſe Gewächſe auf ihm
nach der Silla von Caracas hätten wandern können.
Je mehr man die Verteilung der organiſchen Bildungen
auf der Erdoberfläche kennen lernt, deſto geneigter wird man,
wenn auch nicht dieſe Vorſtellungen von einer Wanderung
aufzugeben, doch darin keinen ausreichenden Erklärungsgrund
mehr zu erblicken. Die Kette der Anden teilt der Länge nach
ganz Südamerika in zwei ungleiche Stücke. Am Fuße dieſer
Kette, oſtwärts und weſtwärts, fanden wir in großer Anzahl
dieſelben Pflanzenarten. All’ die verſchiedenen Uebergänge
der Kordilleren ſind aber derart, daß nirgends Gewächſe der
heißen Zone von den Küſten der Südſee an die Ufer des
Amazonenſtromes gelangt ſein können. Wenn, ſei es nun
im Tieflande oder in ganz niedrigen Bergen, ſei es inmitten
eines Archipels von durch unterirdiſches Feuer emporgehobenen
Inſeln, ein Berggipfel zu einer großen Höhe anſteigt, ſo iſt
ſein Gipfel mit Alpenkräutern bewachſen, die zum Teil in
ungeheuren Entfernungen auf anderen Bergen mit ähnlichem
Klima gleichfalls vorkommen. In dieſer Weiſe zeigen ſich im
allgemeinen die Gewächſe verteilt und man kann den Forſchern
die genauere Ermittelung dieſer Verhältniſſe nicht dringend
genug empfehlen. Wenn ich hier gegen voreilige Hypotheſen
ſpreche, ſo nehme ich es keineswegs über mich, befriedigendere
dafür aufzuſtellen. Ich halte vielmehr die Probleme, von
denen es ſich hier handelt, für unlösbar, und nach meiner
Anſchauung hat die Erfahrung geleiſtet, was ſie kann, wenn
ſie die Geſetze ermittelt, nach denen die Natur die Pflanzen-
gebilde verteilt hat.
Man ſagt, ein Berg ſei ſo hoch, daß er die Grenze des
Rhododendron und der Befaria erreiche, wie man ſchon lange
ſagt, ein Berg erreiche die Grenze des ewigen Schnees. Mit
dieſem Ausdruck ſetzt man ſtillſchweigend voraus, daß unter
dem Einfluſſe gewiſſer Wärmegrade ſich notwendig gewiſſe
vegetabiliſche Formen entwickeln müſſen. Streng genommen
iſt nun dieſe Vorausſetzung allerdings nicht richtig. Die
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/141>, abgerufen am 15.08.2024.
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