stoßen sollten, wurden von ihm so lange aufgehalten, daß sie erst sehr spät anlangten und wir zehn Stunden ohne Wasser und Brot zubrachten.
Von den zwei abgerundeten Spitzen, die den Gipfel des Berges bilden, ist die östliche die höchste, und auf diese sollten wir mit unseren Instrumenten hinaufkommen. Von der Ein- senkung zwischen beiden Gipfeln hat der ganze Berg den spa- nischen Namen Silla, Sattel. Eine Schlucht, deren wir bereits erwähnt, läuft von dieser Einsenkung ins Thal von Caracas hinab; bei ihrem Anfang oder am oberen Ende nähert sie sich der westlichen Spitze. Man kann dem östlichen Gipfel nur so bei- kommen, daß man zuerst westlich von der Schlucht über das Vorgebirge der Puerta gerade auf den niedrigeren Gipfel zu- geht und sich erst nach Osten wendet, wenn man den Kamm oder die Einsattelung zwischen beiden Gipfeln beinahe erreicht hat. Schon ein Blick auf den Berg zeigt diesen Weg als den von selbst gegebenen, denn die Felsen östlich von der Schlucht sind so steil, daß es schwer halten dürfte, auf den Gipfel der Silla zu gelangen, wenn man statt über die Puerta gerade auf den östlichen Gipfel zuginge.
Vom Fuße des Falles des Chacaito bis in 1950 m Höhe fanden wir nur Savannen. Nur zwei kleine Liliengewächse mit gelben Blüten erheben sich über den Gräsern, mit denen das Gestein bewachsen ist. Hie und da erinnerte ein Him- beerbusch 1 an die europäischen Pflanzenformen. Vergebens sahen wir uns auf diesen Bergen von Caracas, wie später auf dem Rücken der Anden, neben den Himbeerbüschen nach einem Rosenstrauche um. In ganz Südamerika haben wir keine einheimische Rosenart gefunden, so nahe sich auch das Klima auf den hohen Bergen der heißen Zone und das un- seres gemäßigten Erdstriches stehen. Ja, dieser liebliche Strauch scheint der ganzen südlichen Halbkugel diesseits und jenseits des Wendekreises zu fehlen. Erst auf den Bergen von Mexiko waren wir so glücklich, unter dem 19. Grad der Breite einen amerikanischen Rosenstrauch zu entdecken.
Von Zeit zu Zeit wurden wir in Nebel gehüllt und fanden uns dann über die Richtung unseres Weges nur schwer zurecht, denn in dieser Höhe besteht kein gebahnter Pfad mehr. Man hilft mit den Händen nach, wenn einen auf dem steilen glit- schigen Abhang die Beine im Stiche lassen. Ein 1 m mäch-
1Rubus jamaicensis.
A. v. Humboldt, Reise. II. 9
ſtoßen ſollten, wurden von ihm ſo lange aufgehalten, daß ſie erſt ſehr ſpät anlangten und wir zehn Stunden ohne Waſſer und Brot zubrachten.
Von den zwei abgerundeten Spitzen, die den Gipfel des Berges bilden, iſt die öſtliche die höchſte, und auf dieſe ſollten wir mit unſeren Inſtrumenten hinaufkommen. Von der Ein- ſenkung zwiſchen beiden Gipfeln hat der ganze Berg den ſpa- niſchen Namen Silla, Sattel. Eine Schlucht, deren wir bereits erwähnt, läuft von dieſer Einſenkung ins Thal von Caracas hinab; bei ihrem Anfang oder am oberen Ende nähert ſie ſich der weſtlichen Spitze. Man kann dem öſtlichen Gipfel nur ſo bei- kommen, daß man zuerſt weſtlich von der Schlucht über das Vorgebirge der Puerta gerade auf den niedrigeren Gipfel zu- geht und ſich erſt nach Oſten wendet, wenn man den Kamm oder die Einſattelung zwiſchen beiden Gipfeln beinahe erreicht hat. Schon ein Blick auf den Berg zeigt dieſen Weg als den von ſelbſt gegebenen, denn die Felſen öſtlich von der Schlucht ſind ſo ſteil, daß es ſchwer halten dürfte, auf den Gipfel der Silla zu gelangen, wenn man ſtatt über die Puerta gerade auf den öſtlichen Gipfel zuginge.
Vom Fuße des Falles des Chacaito bis in 1950 m Höhe fanden wir nur Savannen. Nur zwei kleine Liliengewächſe mit gelben Blüten erheben ſich über den Gräſern, mit denen das Geſtein bewachſen iſt. Hie und da erinnerte ein Him- beerbuſch 1 an die europäiſchen Pflanzenformen. Vergebens ſahen wir uns auf dieſen Bergen von Caracas, wie ſpäter auf dem Rücken der Anden, neben den Himbeerbüſchen nach einem Roſenſtrauche um. In ganz Südamerika haben wir keine einheimiſche Roſenart gefunden, ſo nahe ſich auch das Klima auf den hohen Bergen der heißen Zone und das un- ſeres gemäßigten Erdſtriches ſtehen. Ja, dieſer liebliche Strauch ſcheint der ganzen ſüdlichen Halbkugel diesſeits und jenſeits des Wendekreiſes zu fehlen. Erſt auf den Bergen von Mexiko waren wir ſo glücklich, unter dem 19. Grad der Breite einen amerikaniſchen Roſenſtrauch zu entdecken.
Von Zeit zu Zeit wurden wir in Nebel gehüllt und fanden uns dann über die Richtung unſeres Weges nur ſchwer zurecht, denn in dieſer Höhe beſteht kein gebahnter Pfad mehr. Man hilft mit den Händen nach, wenn einen auf dem ſteilen glit- ſchigen Abhang die Beine im Stiche laſſen. Ein 1 m mäch-
1Rubus jamaicensis.
A. v. Humboldt, Reiſe. II. 9
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ſtoßen ſollten, wurden von ihm ſo lange aufgehalten, daß ſie
erſt ſehr ſpät anlangten und wir zehn Stunden ohne Waſſer
und Brot zubrachten.
Von den zwei abgerundeten Spitzen, die den Gipfel des
Berges bilden, iſt die öſtliche die höchſte, und auf dieſe ſollten
wir mit unſeren Inſtrumenten hinaufkommen. Von der Ein-
ſenkung zwiſchen beiden Gipfeln hat der ganze Berg den ſpa-
niſchen Namen Silla, Sattel. Eine Schlucht, deren wir
bereits erwähnt, läuft von dieſer Einſenkung ins Thal von Caracas
hinab; bei ihrem Anfang oder am oberen Ende nähert ſie ſich der
weſtlichen Spitze. Man kann dem öſtlichen Gipfel nur ſo bei-
kommen, daß man zuerſt weſtlich von der Schlucht über das
Vorgebirge der Puerta gerade auf den niedrigeren Gipfel zu-
geht und ſich erſt nach Oſten wendet, wenn man den Kamm
oder die Einſattelung zwiſchen beiden Gipfeln beinahe erreicht
hat. Schon ein Blick auf den Berg zeigt dieſen Weg als den
von ſelbſt gegebenen, denn die Felſen öſtlich von der Schlucht
ſind ſo ſteil, daß es ſchwer halten dürfte, auf den Gipfel der
Silla zu gelangen, wenn man ſtatt über die Puerta gerade
auf den öſtlichen Gipfel zuginge.
Vom Fuße des Falles des Chacaito bis in 1950 m Höhe
fanden wir nur Savannen. Nur zwei kleine Liliengewächſe
mit gelben Blüten erheben ſich über den Gräſern, mit denen
das Geſtein bewachſen iſt. Hie und da erinnerte ein Him-
beerbuſch 1 an die europäiſchen Pflanzenformen. Vergebens
ſahen wir uns auf dieſen Bergen von Caracas, wie ſpäter
auf dem Rücken der Anden, neben den Himbeerbüſchen nach
einem Roſenſtrauche um. In ganz Südamerika haben wir
keine einheimiſche Roſenart gefunden, ſo nahe ſich auch das
Klima auf den hohen Bergen der heißen Zone und das un-
ſeres gemäßigten Erdſtriches ſtehen. Ja, dieſer liebliche Strauch
ſcheint der ganzen ſüdlichen Halbkugel diesſeits und jenſeits
des Wendekreiſes zu fehlen. Erſt auf den Bergen von Mexiko
waren wir ſo glücklich, unter dem 19. Grad der Breite einen
amerikaniſchen Roſenſtrauch zu entdecken.
Von Zeit zu Zeit wurden wir in Nebel gehüllt und fanden
uns dann über die Richtung unſeres Weges nur ſchwer zurecht,
denn in dieſer Höhe beſteht kein gebahnter Pfad mehr. Man
hilft mit den Händen nach, wenn einen auf dem ſteilen glit-
ſchigen Abhang die Beine im Stiche laſſen. Ein 1 m mäch-
1 Rubus jamaicensis.
A. v. Humboldt, Reiſe. II. 9
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/137>, abgerufen am 16.02.2025.
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