Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

ungemein steil ist, und wir gelangten nach zwei Stunden auf
ein kleines Plateau, das seiner isolierten Lage wegen Alta
Vista
heißt. Hier halten sich auch die Neveros auf, das
heißt die Eingeborenen, die gewerbsmäßig Eis und Schnee
suchen und in den benachbarten Städten verkaufen. Ihre
Maultiere, die das Klettern mehr gewöhnt sind als die, welche
man den Reisenden gibt, gehen bis zur Alta Vista und die
Neveros müssen den Schnee dahin auf dem Rücken tragen.
Ueber diesem Punkte beginnt das Malpays, wie man in
Mexiko, in Peru und überall, wo es Vulkane gibt, einen
von Dammerde entblößten und mit Lavabruchstücken bedeckten
Landstrich nennt.

Wir bogen rechts vom Wege ab, um die Eishöhle
zu besehen, die in 3367 m Höhe liegt, also unter der Grenze
des ewigen Schnees in dieser Breite. Wahrscheinlich rührt
die Kälte, die in dieser Höhle herrscht, von denselben Ursachen
her, aus denen sich das Eis in den Gebirgsspalten des Jura
und der Pyrenäen erhält, und über welche die Ansichten der
Physiker noch ziemlich auseinander gehen. 1 Die natürliche
Eisgrube des Piks hat übrigens nicht jene senkrechten Oeff-
nungen, durch welche die warme Luft entweichen kann, während
die kalte Luft am Boden ruhig liegen bleibt. Das Eis scheint
sich hier durch seine starke Anhäufung zu halten, und weil
der Prozeß des Schmelzens durch die bei rascher Verdunstung
erzeugte Kälte verlangsamt wird. Dieser kleine unterirdische
Gletscher liegt an einem Orte, dessen mittlere Temperatur
schwerlich unter 3° beträgt, und er wird nicht, wie die eigent-
lichen Gletscher der Alpen, vom Schneewasser gespeist, das
von den Berggipfeln herabkommt. Während des Winters
füllt sich die Höhle mit Schnee und Eis, und da die Sonnen-
strahlen nicht über den Eingang hinaus eindringen, so ist die
Sonnenwärme nicht imstande, den Behälter zu leeren. Die
Bildung einer natürlichen Eisgrube hängt also nicht sowohl
ab von der absoluten Höhe der Felsspalte und der mittleren

1 In den meisten Erdhöhlen, z. B. in der von Saint George,
zwischen Niort und Rolle, bildet sich an den Kalksteinwänden selbst
im Sommer eine dünne Schicht durchsichtigen Eises. Pictet hat
die Beobachtung gemacht, daß der Thermometer alsdann in der
Luft der Höhle nicht unter 2 bis 3° steht, so daß man das Frieren
des Wassers einer örtlichen, sehr raschen Verdunstung zuzu-
schreiben hat.

ungemein ſteil iſt, und wir gelangten nach zwei Stunden auf
ein kleines Plateau, das ſeiner iſolierten Lage wegen Alta
Vista
heißt. Hier halten ſich auch die Neveros auf, das
heißt die Eingeborenen, die gewerbsmäßig Eis und Schnee
ſuchen und in den benachbarten Städten verkaufen. Ihre
Maultiere, die das Klettern mehr gewöhnt ſind als die, welche
man den Reiſenden gibt, gehen bis zur Alta Viſta und die
Neveros müſſen den Schnee dahin auf dem Rücken tragen.
Ueber dieſem Punkte beginnt das Malpays, wie man in
Mexiko, in Peru und überall, wo es Vulkane gibt, einen
von Dammerde entblößten und mit Lavabruchſtücken bedeckten
Landſtrich nennt.

Wir bogen rechts vom Wege ab, um die Eishöhle
zu beſehen, die in 3367 m Höhe liegt, alſo unter der Grenze
des ewigen Schnees in dieſer Breite. Wahrſcheinlich rührt
die Kälte, die in dieſer Höhle herrſcht, von denſelben Urſachen
her, aus denen ſich das Eis in den Gebirgsſpalten des Jura
und der Pyrenäen erhält, und über welche die Anſichten der
Phyſiker noch ziemlich auseinander gehen. 1 Die natürliche
Eisgrube des Piks hat übrigens nicht jene ſenkrechten Oeff-
nungen, durch welche die warme Luft entweichen kann, während
die kalte Luft am Boden ruhig liegen bleibt. Das Eis ſcheint
ſich hier durch ſeine ſtarke Anhäufung zu halten, und weil
der Prozeß des Schmelzens durch die bei raſcher Verdunſtung
erzeugte Kälte verlangſamt wird. Dieſer kleine unterirdiſche
Gletſcher liegt an einem Orte, deſſen mittlere Temperatur
ſchwerlich unter 3° beträgt, und er wird nicht, wie die eigent-
lichen Gletſcher der Alpen, vom Schneewaſſer geſpeiſt, das
von den Berggipfeln herabkommt. Während des Winters
füllt ſich die Höhle mit Schnee und Eis, und da die Sonnen-
ſtrahlen nicht über den Eingang hinaus eindringen, ſo iſt die
Sonnenwärme nicht imſtande, den Behälter zu leeren. Die
Bildung einer natürlichen Eisgrube hängt alſo nicht ſowohl
ab von der abſoluten Höhe der Felsſpalte und der mittleren

1 In den meiſten Erdhöhlen, z. B. in der von Saint George,
zwiſchen Niort und Rolle, bildet ſich an den Kalkſteinwänden ſelbſt
im Sommer eine dünne Schicht durchſichtigen Eiſes. Pictet hat
die Beobachtung gemacht, daß der Thermometer alsdann in der
Luft der Höhle nicht unter 2 bis 3° ſteht, ſo daß man das Frieren
des Waſſers einer örtlichen, ſehr raſchen Verdunſtung zuzu-
ſchreiben hat.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0096" n="80"/>
ungemein &#x017F;teil i&#x017F;t, und wir gelangten nach zwei Stunden auf<lb/>
ein kleines Plateau, das &#x017F;einer i&#x017F;olierten Lage wegen <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">Alta<lb/>
Vista</hi></hi> heißt. Hier halten &#x017F;ich auch die <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">Neveros</hi></hi> auf, das<lb/>
heißt die Eingeborenen, die gewerbsmäßig Eis und Schnee<lb/>
&#x017F;uchen und in den benachbarten Städten verkaufen. Ihre<lb/>
Maultiere, die das Klettern mehr gewöhnt &#x017F;ind als die, welche<lb/>
man den Rei&#x017F;enden gibt, gehen bis zur Alta Vi&#x017F;ta und die<lb/>
Neveros mü&#x017F;&#x017F;en den Schnee dahin auf dem Rücken tragen.<lb/>
Ueber die&#x017F;em Punkte beginnt das <hi rendition="#g">Malpays</hi>, wie man in<lb/>
Mexiko, in Peru und überall, wo es Vulkane gibt, einen<lb/>
von Dammerde entblößten und mit Lavabruch&#x017F;tücken bedeckten<lb/>
Land&#x017F;trich nennt.</p><lb/>
          <p>Wir bogen rechts vom Wege ab, um die <hi rendition="#g">Eishöhle</hi><lb/>
zu be&#x017F;ehen, die in 3367 <hi rendition="#aq">m</hi> Höhe liegt, al&#x017F;o unter der Grenze<lb/>
des ewigen Schnees in die&#x017F;er Breite. Wahr&#x017F;cheinlich rührt<lb/>
die Kälte, die in die&#x017F;er Höhle herr&#x017F;cht, von den&#x017F;elben Ur&#x017F;achen<lb/>
her, aus denen &#x017F;ich das Eis in den Gebirgs&#x017F;palten des Jura<lb/>
und der Pyrenäen erhält, und über welche die An&#x017F;ichten der<lb/>
Phy&#x017F;iker noch ziemlich auseinander gehen. <note place="foot" n="1">In den mei&#x017F;ten Erdhöhlen, z. B. in der von Saint George,<lb/>
zwi&#x017F;chen Niort und Rolle, bildet &#x017F;ich an den Kalk&#x017F;teinwänden &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
im Sommer eine dünne Schicht durch&#x017F;ichtigen Ei&#x017F;es. Pictet hat<lb/>
die Beobachtung gemacht, daß der Thermometer alsdann in der<lb/>
Luft der Höhle nicht unter 2 bis 3° &#x017F;teht, &#x017F;o daß man das Frieren<lb/>
des Wa&#x017F;&#x017F;ers einer örtlichen, &#x017F;ehr ra&#x017F;chen Verdun&#x017F;tung zuzu-<lb/>
&#x017F;chreiben hat.</note> Die natürliche<lb/>
Eisgrube des Piks hat übrigens nicht jene &#x017F;enkrechten Oeff-<lb/>
nungen, durch welche die warme Luft entweichen kann, während<lb/>
die kalte Luft am Boden ruhig liegen bleibt. Das Eis &#x017F;cheint<lb/>
&#x017F;ich hier durch &#x017F;eine &#x017F;tarke Anhäufung zu halten, und weil<lb/>
der Prozeß des Schmelzens durch die bei ra&#x017F;cher Verdun&#x017F;tung<lb/>
erzeugte Kälte verlang&#x017F;amt wird. Die&#x017F;er kleine unterirdi&#x017F;che<lb/>
Glet&#x017F;cher liegt an einem Orte, de&#x017F;&#x017F;en mittlere Temperatur<lb/>
&#x017F;chwerlich unter 3° beträgt, und er wird nicht, wie die eigent-<lb/>
lichen Glet&#x017F;cher der Alpen, vom Schneewa&#x017F;&#x017F;er ge&#x017F;pei&#x017F;t, das<lb/>
von den Berggipfeln herabkommt. Während des Winters<lb/>
füllt &#x017F;ich die Höhle mit Schnee und Eis, und da die Sonnen-<lb/>
&#x017F;trahlen nicht über den Eingang hinaus eindringen, &#x017F;o i&#x017F;t die<lb/>
Sonnenwärme nicht im&#x017F;tande, den Behälter zu leeren. Die<lb/>
Bildung einer natürlichen Eisgrube hängt al&#x017F;o nicht &#x017F;owohl<lb/>
ab von der ab&#x017F;oluten Höhe der Fels&#x017F;palte und der mittleren<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0096] ungemein ſteil iſt, und wir gelangten nach zwei Stunden auf ein kleines Plateau, das ſeiner iſolierten Lage wegen Alta Vista heißt. Hier halten ſich auch die Neveros auf, das heißt die Eingeborenen, die gewerbsmäßig Eis und Schnee ſuchen und in den benachbarten Städten verkaufen. Ihre Maultiere, die das Klettern mehr gewöhnt ſind als die, welche man den Reiſenden gibt, gehen bis zur Alta Viſta und die Neveros müſſen den Schnee dahin auf dem Rücken tragen. Ueber dieſem Punkte beginnt das Malpays, wie man in Mexiko, in Peru und überall, wo es Vulkane gibt, einen von Dammerde entblößten und mit Lavabruchſtücken bedeckten Landſtrich nennt. Wir bogen rechts vom Wege ab, um die Eishöhle zu beſehen, die in 3367 m Höhe liegt, alſo unter der Grenze des ewigen Schnees in dieſer Breite. Wahrſcheinlich rührt die Kälte, die in dieſer Höhle herrſcht, von denſelben Urſachen her, aus denen ſich das Eis in den Gebirgsſpalten des Jura und der Pyrenäen erhält, und über welche die Anſichten der Phyſiker noch ziemlich auseinander gehen. 1 Die natürliche Eisgrube des Piks hat übrigens nicht jene ſenkrechten Oeff- nungen, durch welche die warme Luft entweichen kann, während die kalte Luft am Boden ruhig liegen bleibt. Das Eis ſcheint ſich hier durch ſeine ſtarke Anhäufung zu halten, und weil der Prozeß des Schmelzens durch die bei raſcher Verdunſtung erzeugte Kälte verlangſamt wird. Dieſer kleine unterirdiſche Gletſcher liegt an einem Orte, deſſen mittlere Temperatur ſchwerlich unter 3° beträgt, und er wird nicht, wie die eigent- lichen Gletſcher der Alpen, vom Schneewaſſer geſpeiſt, das von den Berggipfeln herabkommt. Während des Winters füllt ſich die Höhle mit Schnee und Eis, und da die Sonnen- ſtrahlen nicht über den Eingang hinaus eindringen, ſo iſt die Sonnenwärme nicht imſtande, den Behälter zu leeren. Die Bildung einer natürlichen Eisgrube hängt alſo nicht ſowohl ab von der abſoluten Höhe der Felsſpalte und der mittleren 1 In den meiſten Erdhöhlen, z. B. in der von Saint George, zwiſchen Niort und Rolle, bildet ſich an den Kalkſteinwänden ſelbſt im Sommer eine dünne Schicht durchſichtigen Eiſes. Pictet hat die Beobachtung gemacht, daß der Thermometer alsdann in der Luft der Höhle nicht unter 2 bis 3° ſteht, ſo daß man das Frieren des Waſſers einer örtlichen, ſehr raſchen Verdunſtung zuzu- ſchreiben hat.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/96
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/96>, abgerufen am 24.11.2024.