Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.Empfindung, wenn man an der Küste von Caracas vom Berge Die fortwährende Kühle, die in Laguna herrscht, macht 1 Ich lasse mich hier auf keine Verhandlung über die Existenz
der Atlantis ein und erwähne nur, daß nach Diodor von Sizilien die Atlanten die Cerealien nicht kannten, weil sie von der übrigen Menschheit getrennt worden, bevor überhaupt Getreide gebaut wurde. Empfindung, wenn man an der Küſte von Caracas vom Berge Die fortwährende Kühle, die in Laguna herrſcht, macht 1 Ich laſſe mich hier auf keine Verhandlung über die Exiſtenz
der Atlantis ein und erwähne nur, daß nach Diodor von Sizilien die Atlanten die Cerealien nicht kannten, weil ſie von der übrigen Menſchheit getrennt worden, bevor überhaupt Getreide gebaut wurde. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0079" n="63"/> Empfindung, wenn man an der Küſte von Caracas vom Berge<lb/> Avila zum Hafen von Guayra niederſteigt. Nach dem Geſetz<lb/> der Wärmeabnahme machen in dieſer Breite 682 <hi rendition="#aq">m</hi> Höhe nur<lb/> 3 bis 4° Temperaturunterſchied. Die Hitze, welche dem<lb/> Reiſenden ſo läſtig wird, wenn er Santa Cruz de Tenerifa<lb/> oder Guayra betritt, iſt daher wohl dem Rückprallen der<lb/> Wärme von den Felſen zuzuſchreiben, an welche beide Städte<lb/> ſich lehnen.</p><lb/> <p>Die fortwährende Kühle, die in Laguna herrſcht, macht<lb/> die Stadt für die Kanarier zu einem köſtlichen Aufenthalts-<lb/> orte. Auf einer kleinen Ebene, umgeben von Gärten, am<lb/> Fuße eines Hügels, den Lorbeeren, Myrten und Erdbeerbäume<lb/> krönen, iſt die Hauptſtadt von Tenerifa wirklich ungemein<lb/> freundlich gelegen. Sie liegt keineswegs, wie man nach meh-<lb/> reren Reiſeberichten glauben ſollte, an einem See. Das Regen-<lb/> waſſer bildet hier periodiſch einen weiten Sumpf, und der<lb/> Geolog, der überall in der Natur vielmehr einen früheren<lb/> Zuſtand der Dinge als den gegenwärtigen im Auge hat,<lb/> zweifelt nicht daran, daß die ganze Ebene ein großes aus-<lb/> getrocknetes Becken iſt. Laguna iſt in ſeinem Wohlſtand herab-<lb/> gekommen, ſeit die Seitenausbrüche des Vulkanes den Hafen<lb/> von Garachico zerſtört haben und Santa Cruz der Haupt-<lb/> handelsplatz der Inſeln geworden iſt; es zählt nur noch<lb/> 9000 Einwohner, worunter gegen 400 Mönche in ſechs Klöſtern.<lb/> Manche Reiſende behaupten, die Hälfte der Bevölkerung be-<lb/> ſtehe aus Kuttenträgern. Die Stadt iſt mit zahlreichen Wind-<lb/> mühlen umgeben, ein Wahrzeichen des Getreidebaus in dieſem<lb/> hochgelegenen Striche. Ich bemerke bei dieſer Gelegenheit,<lb/> daß die nährenden Grasarten den Guanchen bekannt waren.<lb/> Das Korn hieß auf Tenerifa <hi rendition="#aq">tano,</hi> auf Lanzarote <hi rendition="#aq">triffa;</hi> die<lb/> Gerſte hieß auf Kanaria <hi rendition="#aq">aramotanoque,</hi> auf Lanzarote <hi rendition="#aq">ta-<lb/> mosen.</hi> Geröſtetes Gerſtenmehl (<hi rendition="#aq">gofio</hi>) und Ziegenmilch waren<lb/> die vornehmſten Nahrungsmittel dieſes Volkes, über deſſen Ur-<lb/> ſprung ſo viele ſyſtematiſche Träumereien ausgeheckt worden<lb/> ſind. Dieſe Nahrung weiſt beſtimmt darauf hin, daß die<lb/> Guanchen zu den Völkern der Alten Welt gehörten, wohl ſelbſt<lb/> zur kaukaſiſchen Raſſe, und nicht, wie die anderen Atlanten, <note place="foot" n="1">Ich laſſe mich hier auf keine Verhandlung über die Exiſtenz<lb/> der Atlantis ein und erwähne nur, daß nach Diodor von Sizilien<lb/> die Atlanten die Cerealien nicht kannten, weil ſie von der übrigen<lb/> Menſchheit getrennt worden, bevor überhaupt Getreide gebaut wurde.</note> zu<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [63/0079]
Empfindung, wenn man an der Küſte von Caracas vom Berge
Avila zum Hafen von Guayra niederſteigt. Nach dem Geſetz
der Wärmeabnahme machen in dieſer Breite 682 m Höhe nur
3 bis 4° Temperaturunterſchied. Die Hitze, welche dem
Reiſenden ſo läſtig wird, wenn er Santa Cruz de Tenerifa
oder Guayra betritt, iſt daher wohl dem Rückprallen der
Wärme von den Felſen zuzuſchreiben, an welche beide Städte
ſich lehnen.
Die fortwährende Kühle, die in Laguna herrſcht, macht
die Stadt für die Kanarier zu einem köſtlichen Aufenthalts-
orte. Auf einer kleinen Ebene, umgeben von Gärten, am
Fuße eines Hügels, den Lorbeeren, Myrten und Erdbeerbäume
krönen, iſt die Hauptſtadt von Tenerifa wirklich ungemein
freundlich gelegen. Sie liegt keineswegs, wie man nach meh-
reren Reiſeberichten glauben ſollte, an einem See. Das Regen-
waſſer bildet hier periodiſch einen weiten Sumpf, und der
Geolog, der überall in der Natur vielmehr einen früheren
Zuſtand der Dinge als den gegenwärtigen im Auge hat,
zweifelt nicht daran, daß die ganze Ebene ein großes aus-
getrocknetes Becken iſt. Laguna iſt in ſeinem Wohlſtand herab-
gekommen, ſeit die Seitenausbrüche des Vulkanes den Hafen
von Garachico zerſtört haben und Santa Cruz der Haupt-
handelsplatz der Inſeln geworden iſt; es zählt nur noch
9000 Einwohner, worunter gegen 400 Mönche in ſechs Klöſtern.
Manche Reiſende behaupten, die Hälfte der Bevölkerung be-
ſtehe aus Kuttenträgern. Die Stadt iſt mit zahlreichen Wind-
mühlen umgeben, ein Wahrzeichen des Getreidebaus in dieſem
hochgelegenen Striche. Ich bemerke bei dieſer Gelegenheit,
daß die nährenden Grasarten den Guanchen bekannt waren.
Das Korn hieß auf Tenerifa tano, auf Lanzarote triffa; die
Gerſte hieß auf Kanaria aramotanoque, auf Lanzarote ta-
mosen. Geröſtetes Gerſtenmehl (gofio) und Ziegenmilch waren
die vornehmſten Nahrungsmittel dieſes Volkes, über deſſen Ur-
ſprung ſo viele ſyſtematiſche Träumereien ausgeheckt worden
ſind. Dieſe Nahrung weiſt beſtimmt darauf hin, daß die
Guanchen zu den Völkern der Alten Welt gehörten, wohl ſelbſt
zur kaukaſiſchen Raſſe, und nicht, wie die anderen Atlanten, 1 zu
1 Ich laſſe mich hier auf keine Verhandlung über die Exiſtenz
der Atlantis ein und erwähne nur, daß nach Diodor von Sizilien
die Atlanten die Cerealien nicht kannten, weil ſie von der übrigen
Menſchheit getrennt worden, bevor überhaupt Getreide gebaut wurde.
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