Gay-Lussac die Beobachtung gemacht, daß am Abhange des Vesuvs und im Inneren des Kraters die Intensität der magne- tischen Kraft durch die Nähe der Laven modifiziert wird.
Nachdem die Leute, die zu uns an Bord gekommen waren, um sich nach politischen Neuigkeiten zu erkundigen, uns mit ihren vielerlei Fragen geplagt hatten, stiegen wir endlich ans Land. Das Boot wurde sogleich zur Korvette zurückgeschickt, weil die auf der Reede sehr gefährliche Brandung es leicht hätte am Hafendamm zertrümmern können. Das erste, was uns zu Gesicht kam, war ein hochgewachsenes, sehr gebräuntes, schlecht gekleidetes Frauenzimmer, das die Capitana hieß. Hinter ihr kamen einige andere in nicht anständigerem Auf- zug; sie bestürmten uns mit der Bitte, an Bord des Pizarro gehen zu dürfen, was ihnen natürlich nicht bewilligt wurde. In diesem von Europäern so stark besuchten Hafen ist die Ausschweifung diszipliniert. Die Capitana ist von ihresgleichen als Anführerin gewählt, und sie hat große Gewalt über sie. Sie läßt nichts geschehen, was sich mit dem Dienst auf den Schiffen nicht verträgt, sie fordert die Matrosen auf, zur rechten Zeit an Bord zurückzukehren, und die Offiziere wenden sich an sie, wenn man fürchtet, daß sich einer von der Mann- schaft versteckt habe, um auszureißen.
Als wir die Straßen von Santa Cruz betraten, kam es uns zum Ersticken heiß vor, und doch stand der Thermometer nur auf 25°. Wenn man lange Seeluft geatmet hat, fühlt man sich unbehaglich, so oft man ans Land geht, nicht weil jene Luft mehr Sauerstoff enthält als die Luft am Lande, wie man irrtümlich behauptet hat, sondern weil sie weniger mit den Gasgemischen geschwängert ist, welche die tierischen und Pflanzenstoffe und die Dammerde, die sich aus ihrer Zersetzung bildet, fortwährend in den Luftkreis entbinden. Miasmen, welche sich der chemischen Analyse entziehen, wirken gewaltig auf unsere Organe, zumal wenn sie nicht schon seit längerer Zeit denselben Reizen ausgesetzt gewesen sind.
Santa Cruz de Tenerifa, das Annaza der Guanchen, ist eine ziemlich hübsche Stadt mit 8000 Einwohnern. Mir ist die Menge von Mönchen und Weltgeistlichen, welche die Reisenden in allen Ländern unter spanischem Zepter sehen zu müssen glauben, gar nicht aufgefallen. Ich halte mich auch nicht damit auf, die Kirchen zu beschreiben, die Bibliothek der Dominikaner, die kaum ein paar hundert Bände zählt, den Hafendamm, wo die Einwohnerschaft abends zusammenkommt,
Gay-Luſſac die Beobachtung gemacht, daß am Abhange des Veſuvs und im Inneren des Kraters die Intenſität der magne- tiſchen Kraft durch die Nähe der Laven modifiziert wird.
Nachdem die Leute, die zu uns an Bord gekommen waren, um ſich nach politiſchen Neuigkeiten zu erkundigen, uns mit ihren vielerlei Fragen geplagt hatten, ſtiegen wir endlich ans Land. Das Boot wurde ſogleich zur Korvette zurückgeſchickt, weil die auf der Reede ſehr gefährliche Brandung es leicht hätte am Hafendamm zertrümmern können. Das erſte, was uns zu Geſicht kam, war ein hochgewachſenes, ſehr gebräuntes, ſchlecht gekleidetes Frauenzimmer, das die Capitana hieß. Hinter ihr kamen einige andere in nicht anſtändigerem Auf- zug; ſie beſtürmten uns mit der Bitte, an Bord des Pizarro gehen zu dürfen, was ihnen natürlich nicht bewilligt wurde. In dieſem von Europäern ſo ſtark beſuchten Hafen iſt die Ausſchweifung diszipliniert. Die Capitana iſt von ihresgleichen als Anführerin gewählt, und ſie hat große Gewalt über ſie. Sie läßt nichts geſchehen, was ſich mit dem Dienſt auf den Schiffen nicht verträgt, ſie fordert die Matroſen auf, zur rechten Zeit an Bord zurückzukehren, und die Offiziere wenden ſich an ſie, wenn man fürchtet, daß ſich einer von der Mann- ſchaft verſteckt habe, um auszureißen.
Als wir die Straßen von Santa Cruz betraten, kam es uns zum Erſticken heiß vor, und doch ſtand der Thermometer nur auf 25°. Wenn man lange Seeluft geatmet hat, fühlt man ſich unbehaglich, ſo oft man ans Land geht, nicht weil jene Luft mehr Sauerſtoff enthält als die Luft am Lande, wie man irrtümlich behauptet hat, ſondern weil ſie weniger mit den Gasgemiſchen geſchwängert iſt, welche die tieriſchen und Pflanzenſtoffe und die Dammerde, die ſich aus ihrer Zerſetzung bildet, fortwährend in den Luftkreis entbinden. Miasmen, welche ſich der chemiſchen Analyſe entziehen, wirken gewaltig auf unſere Organe, zumal wenn ſie nicht ſchon ſeit längerer Zeit denſelben Reizen ausgeſetzt geweſen ſind.
Santa Cruz de Tenerifa, das Añaza der Guanchen, iſt eine ziemlich hübſche Stadt mit 8000 Einwohnern. Mir iſt die Menge von Mönchen und Weltgeiſtlichen, welche die Reiſenden in allen Ländern unter ſpaniſchem Zepter ſehen zu müſſen glauben, gar nicht aufgefallen. Ich halte mich auch nicht damit auf, die Kirchen zu beſchreiben, die Bibliothek der Dominikaner, die kaum ein paar hundert Bände zählt, den Hafendamm, wo die Einwohnerſchaft abends zuſammenkommt,
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[59/0075]
Gay-Luſſac die Beobachtung gemacht, daß am Abhange des
Veſuvs und im Inneren des Kraters die Intenſität der magne-
tiſchen Kraft durch die Nähe der Laven modifiziert wird.
Nachdem die Leute, die zu uns an Bord gekommen waren,
um ſich nach politiſchen Neuigkeiten zu erkundigen, uns mit
ihren vielerlei Fragen geplagt hatten, ſtiegen wir endlich ans
Land. Das Boot wurde ſogleich zur Korvette zurückgeſchickt,
weil die auf der Reede ſehr gefährliche Brandung es leicht
hätte am Hafendamm zertrümmern können. Das erſte, was
uns zu Geſicht kam, war ein hochgewachſenes, ſehr gebräuntes,
ſchlecht gekleidetes Frauenzimmer, das die Capitana hieß.
Hinter ihr kamen einige andere in nicht anſtändigerem Auf-
zug; ſie beſtürmten uns mit der Bitte, an Bord des Pizarro
gehen zu dürfen, was ihnen natürlich nicht bewilligt wurde.
In dieſem von Europäern ſo ſtark beſuchten Hafen iſt die
Ausſchweifung diszipliniert. Die Capitana iſt von ihresgleichen
als Anführerin gewählt, und ſie hat große Gewalt über ſie.
Sie läßt nichts geſchehen, was ſich mit dem Dienſt auf den
Schiffen nicht verträgt, ſie fordert die Matroſen auf, zur
rechten Zeit an Bord zurückzukehren, und die Offiziere wenden
ſich an ſie, wenn man fürchtet, daß ſich einer von der Mann-
ſchaft verſteckt habe, um auszureißen.
Als wir die Straßen von Santa Cruz betraten, kam es
uns zum Erſticken heiß vor, und doch ſtand der Thermometer
nur auf 25°. Wenn man lange Seeluft geatmet hat, fühlt
man ſich unbehaglich, ſo oft man ans Land geht, nicht weil
jene Luft mehr Sauerſtoff enthält als die Luft am Lande, wie
man irrtümlich behauptet hat, ſondern weil ſie weniger mit
den Gasgemiſchen geſchwängert iſt, welche die tieriſchen und
Pflanzenſtoffe und die Dammerde, die ſich aus ihrer Zerſetzung
bildet, fortwährend in den Luftkreis entbinden. Miasmen,
welche ſich der chemiſchen Analyſe entziehen, wirken gewaltig
auf unſere Organe, zumal wenn ſie nicht ſchon ſeit längerer
Zeit denſelben Reizen ausgeſetzt geweſen ſind.
Santa Cruz de Tenerifa, das Añaza der Guanchen, iſt
eine ziemlich hübſche Stadt mit 8000 Einwohnern. Mir
iſt die Menge von Mönchen und Weltgeiſtlichen, welche die
Reiſenden in allen Ländern unter ſpaniſchem Zepter ſehen zu
müſſen glauben, gar nicht aufgefallen. Ich halte mich auch
nicht damit auf, die Kirchen zu beſchreiben, die Bibliothek der
Dominikaner, die kaum ein paar hundert Bände zählt, den
Hafendamm, wo die Einwohnerſchaft abends zuſammenkommt,
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/75>, abgerufen am 16.02.2025.
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