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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Neapel zwischen Portici und Torre del Greco. Die Felsen
sind nackt, ohne Bäume und Gebüsche, meist ohne Spur von
Dammerde. Einige Flechten, Variolarien, Leprarien, Urceo-
larien, kamen hin und wieder auf dem Basalt vor. Laven,
die nicht mit vulkanischer Asche bedeckt sind, bleiben Jahr-
hunderte ohne eine Spur von Vegetation. Auf dem afrika-
nischen Boden hemmt die große Hitze und die lange Trocken-
heit die Entwickelung der kryptogamischen Gewächse.

Mit Sonnenuntergang schifften wir uns wieder ein und
gingen unter Segel, aber der Wind war zu schwach, als daß
wir unseren Weg nach Tenerifa hätten fortsetzen können. Die
See war ruhig; ein rötlicher Dunst umzog den Horizont und
ließ alle Gegenstände größer erscheinen. In solcher Einsam-
keit, ringsum so viele unbewohnte Eilande, schwelgten wir
lange im Anblicke einer wilden, großartigen Natur. Die
schwarzen Berge von Graciosa zeigten 160 bis 200 m hohe
senkrechte Wände. Ihre Schatten, die auf die Meeresfläche
fielen, gaben der Landschaft einen schwermütigen Charakter.
Gleich den Trümmern eines gewaltigen Gebäudes stiegen
Basaltfelsen aus dem Wasser auf. Ihr Dasein mahnte uns
an die weit entlegene Zeit, wo unterseeische Vulkane neue
Inseln emporhoben oder die Festländer zertrümmerten. Alles
umher verkündete Verwüstung und Unfruchtbarkeit; aber einen
freundlicheren Anblick bot im Hintergrunde des Bildes die
Küste von Lanzarote. In einer engen Schlucht, zwischen zwei
mit zerstreuten Baumgruppen gekrönten Hügeln, zog sich ein
kleiner bebauter Landstrich hin. Die letzten Strahlen der
Sonne beleuchten das zur Ernte reife Korn. Selbst die Wüste
belebt sich, sobald man den Spuren der arbeitsamen Menschen-
hand begegnet.

Wir versuchten aus der Bucht herauszukommen, und zwar
durch den Kanal zwischen Alegranza und Montanna Clara,
durch den wir ohne Schwierigkeit hereingelangt waren, um
an der Nordspitze von Graciosa ans Land zu gehen. Da der
Wind sehr flau wurde, so trieb uns die Strömung nahe zu
einem Riff, an dem sich die See ungestüm brach, und das
die alten Karten als "Infierno" bezeichnen. Als wir das
Riff auf zwei Kabellängen vom Vorderteil der Korvette vor
uns hatten, sahen wir, daß es eine 5,8 bis 7,8 m hohe
Lavakuppe ist, voll Höhlungen und bedeckt mit Schlacken,
die den Koks oder der schwammigen Masse der entschwefel-
ten Steinkohle ähnlich sind. Wahrscheinlich ist die Klippe In-

Neapel zwiſchen Portici und Torre del Greco. Die Felſen
ſind nackt, ohne Bäume und Gebüſche, meiſt ohne Spur von
Dammerde. Einige Flechten, Variolarien, Leprarien, Urceo-
larien, kamen hin und wieder auf dem Baſalt vor. Laven,
die nicht mit vulkaniſcher Aſche bedeckt ſind, bleiben Jahr-
hunderte ohne eine Spur von Vegetation. Auf dem afrika-
niſchen Boden hemmt die große Hitze und die lange Trocken-
heit die Entwickelung der kryptogamiſchen Gewächſe.

Mit Sonnenuntergang ſchifften wir uns wieder ein und
gingen unter Segel, aber der Wind war zu ſchwach, als daß
wir unſeren Weg nach Tenerifa hätten fortſetzen können. Die
See war ruhig; ein rötlicher Dunſt umzog den Horizont und
ließ alle Gegenſtände größer erſcheinen. In ſolcher Einſam-
keit, ringsum ſo viele unbewohnte Eilande, ſchwelgten wir
lange im Anblicke einer wilden, großartigen Natur. Die
ſchwarzen Berge von Gracioſa zeigten 160 bis 200 m hohe
ſenkrechte Wände. Ihre Schatten, die auf die Meeresfläche
fielen, gaben der Landſchaft einen ſchwermütigen Charakter.
Gleich den Trümmern eines gewaltigen Gebäudes ſtiegen
Baſaltfelſen aus dem Waſſer auf. Ihr Daſein mahnte uns
an die weit entlegene Zeit, wo unterſeeiſche Vulkane neue
Inſeln emporhoben oder die Feſtländer zertrümmerten. Alles
umher verkündete Verwüſtung und Unfruchtbarkeit; aber einen
freundlicheren Anblick bot im Hintergrunde des Bildes die
Küſte von Lanzarote. In einer engen Schlucht, zwiſchen zwei
mit zerſtreuten Baumgruppen gekrönten Hügeln, zog ſich ein
kleiner bebauter Landſtrich hin. Die letzten Strahlen der
Sonne beleuchten das zur Ernte reife Korn. Selbſt die Wüſte
belebt ſich, ſobald man den Spuren der arbeitſamen Menſchen-
hand begegnet.

Wir verſuchten aus der Bucht herauszukommen, und zwar
durch den Kanal zwiſchen Alegranza und Montaña Clara,
durch den wir ohne Schwierigkeit hereingelangt waren, um
an der Nordſpitze von Gracioſa ans Land zu gehen. Da der
Wind ſehr flau wurde, ſo trieb uns die Strömung nahe zu
einem Riff, an dem ſich die See ungeſtüm brach, und das
die alten Karten als „Infierno“ bezeichnen. Als wir das
Riff auf zwei Kabellängen vom Vorderteil der Korvette vor
uns hatten, ſahen wir, daß es eine 5,8 bis 7,8 m hohe
Lavakuppe iſt, voll Höhlungen und bedeckt mit Schlacken,
die den Koks oder der ſchwammigen Maſſe der entſchwefel-
ten Steinkohle ähnlich ſind. Wahrſcheinlich iſt die Klippe In-

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[46/0062] Neapel zwiſchen Portici und Torre del Greco. Die Felſen ſind nackt, ohne Bäume und Gebüſche, meiſt ohne Spur von Dammerde. Einige Flechten, Variolarien, Leprarien, Urceo- larien, kamen hin und wieder auf dem Baſalt vor. Laven, die nicht mit vulkaniſcher Aſche bedeckt ſind, bleiben Jahr- hunderte ohne eine Spur von Vegetation. Auf dem afrika- niſchen Boden hemmt die große Hitze und die lange Trocken- heit die Entwickelung der kryptogamiſchen Gewächſe. Mit Sonnenuntergang ſchifften wir uns wieder ein und gingen unter Segel, aber der Wind war zu ſchwach, als daß wir unſeren Weg nach Tenerifa hätten fortſetzen können. Die See war ruhig; ein rötlicher Dunſt umzog den Horizont und ließ alle Gegenſtände größer erſcheinen. In ſolcher Einſam- keit, ringsum ſo viele unbewohnte Eilande, ſchwelgten wir lange im Anblicke einer wilden, großartigen Natur. Die ſchwarzen Berge von Gracioſa zeigten 160 bis 200 m hohe ſenkrechte Wände. Ihre Schatten, die auf die Meeresfläche fielen, gaben der Landſchaft einen ſchwermütigen Charakter. Gleich den Trümmern eines gewaltigen Gebäudes ſtiegen Baſaltfelſen aus dem Waſſer auf. Ihr Daſein mahnte uns an die weit entlegene Zeit, wo unterſeeiſche Vulkane neue Inſeln emporhoben oder die Feſtländer zertrümmerten. Alles umher verkündete Verwüſtung und Unfruchtbarkeit; aber einen freundlicheren Anblick bot im Hintergrunde des Bildes die Küſte von Lanzarote. In einer engen Schlucht, zwiſchen zwei mit zerſtreuten Baumgruppen gekrönten Hügeln, zog ſich ein kleiner bebauter Landſtrich hin. Die letzten Strahlen der Sonne beleuchten das zur Ernte reife Korn. Selbſt die Wüſte belebt ſich, ſobald man den Spuren der arbeitſamen Menſchen- hand begegnet. Wir verſuchten aus der Bucht herauszukommen, und zwar durch den Kanal zwiſchen Alegranza und Montaña Clara, durch den wir ohne Schwierigkeit hereingelangt waren, um an der Nordſpitze von Gracioſa ans Land zu gehen. Da der Wind ſehr flau wurde, ſo trieb uns die Strömung nahe zu einem Riff, an dem ſich die See ungeſtüm brach, und das die alten Karten als „Infierno“ bezeichnen. Als wir das Riff auf zwei Kabellängen vom Vorderteil der Korvette vor uns hatten, ſahen wir, daß es eine 5,8 bis 7,8 m hohe Lavakuppe iſt, voll Höhlungen und bedeckt mit Schlacken, die den Koks oder der ſchwammigen Maſſe der entſchwefel- ten Steinkohle ähnlich ſind. Wahrſcheinlich iſt die Klippe In-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/62>, abgerufen am 22.11.2024.