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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Frau hatte mehrere Männer, welche in der Ausübung der
Rechte des Familienhauptes wechselten. Der eine Ehemann
ward als solcher nur während eines Mondumlaufs anerkannt,
sofort übernahm ein anderer das Amt und jener trat in das
Hausgesinde zurück. Es ist zu bedauern, daß wir von den
Geistlichen im Gefolge Johanns von Bethencourt, welche die
Geschichte der Eroberung der Kanarien geschrieben haben, nicht
mehr von den Sitten eines Volkes erfahren, bei dem so
sonderbare Bräuche herrschten. Im 15. Jahrhundert be-
standen auf der Insel Lanzarote zwei kleine voneinander
unabhängige Staaten, die durch eine Mauer geschieden waren,
dergleichen man auch in Schottland, in Peru und in China
findet, Denkmäler, die den Nationalhaß überleben.

Wegen des Windes mußten wir zwischen den Inseln
Alegranza und Montanna Clara durchfahren. Da niemand
am Bord der Korvette je in diesem Kanal gewesen war, so
mußte das Senkblei ausgeworfen werden. Wir fanden Grund
bei 45 und 60 m. Mit dem Senkblei wurde eine organische
Substanz von so sonderbarem Bau aufgezogen, daß wir lange
nicht wußten, ob wir sie für einen Zoophyten oder für eine
Tangart halten sollten. Auf einem bräunlichen, 8 cm langen
Stiel sitzen runde lappige Blätter mit gezahntem Rande. Sie
sind hellgrün, lederartig und gestreift wie die Blätter der
Adianten und des Ginkgo biloba. Ihre Fläche ist mit steifen,
weißlichen Haaren bedeckt; vor der Entwickelung sind sie konkav
und ineinander geschachtelt. Wir konnten keine Spur von
willkührlicher Bewegung, von Irritabilität daran bemerken,
auch nicht als wir es mit dem Galvanismus versuchten. Der
Stiel ist nicht holzig, sondern besteht aus einem hornartigen
Stoff, gleich der Achse der Gorgonen. Da Stickstoff und
Phosphor in Menge in verschiedenen kryptogamischen Gewächsen
nachgewiesen sind, so wäre nichts dabei herausgekommen, wenn
wir auf chemischem Wege hätten ermitteln wollen, ob dieser
organische Körper dem Pflanzen- oder dem Tierreiche angehöre.
Da er einigen Seepflanzen mit Adiantenblättern sehr nahe
kommt, so stellten wir ihn vorläufig zu den Tangen und
nannten ihn Fucus vitifolius. Die Haare, mit denen das
Gewächs bedeckt ist, kommen bei vielen anderen Tangen vor.
Allerdings zeigte das Blatt, als es frisch aus der See unter
dem Mikroskop untersucht wurde, nicht die drüsigen Körper
in Häufchen oder die dunkeln Punkte, welche bei den Gat-
tungen Ulva und Fucus die Fruktifikationen enthalten; aber

Frau hatte mehrere Männer, welche in der Ausübung der
Rechte des Familienhauptes wechſelten. Der eine Ehemann
ward als ſolcher nur während eines Mondumlaufs anerkannt,
ſofort übernahm ein anderer das Amt und jener trat in das
Hausgeſinde zurück. Es iſt zu bedauern, daß wir von den
Geiſtlichen im Gefolge Johanns von Béthencourt, welche die
Geſchichte der Eroberung der Kanarien geſchrieben haben, nicht
mehr von den Sitten eines Volkes erfahren, bei dem ſo
ſonderbare Bräuche herrſchten. Im 15. Jahrhundert be-
ſtanden auf der Inſel Lanzarote zwei kleine voneinander
unabhängige Staaten, die durch eine Mauer geſchieden waren,
dergleichen man auch in Schottland, in Peru und in China
findet, Denkmäler, die den Nationalhaß überleben.

Wegen des Windes mußten wir zwiſchen den Inſeln
Alegranza und Montaña Clara durchfahren. Da niemand
am Bord der Korvette je in dieſem Kanal geweſen war, ſo
mußte das Senkblei ausgeworfen werden. Wir fanden Grund
bei 45 und 60 m. Mit dem Senkblei wurde eine organiſche
Subſtanz von ſo ſonderbarem Bau aufgezogen, daß wir lange
nicht wußten, ob wir ſie für einen Zoophyten oder für eine
Tangart halten ſollten. Auf einem bräunlichen, 8 cm langen
Stiel ſitzen runde lappige Blätter mit gezahntem Rande. Sie
ſind hellgrün, lederartig und geſtreift wie die Blätter der
Adianten und des Ginkgo biloba. Ihre Fläche iſt mit ſteifen,
weißlichen Haaren bedeckt; vor der Entwickelung ſind ſie konkav
und ineinander geſchachtelt. Wir konnten keine Spur von
willkührlicher Bewegung, von Irritabilität daran bemerken,
auch nicht als wir es mit dem Galvanismus verſuchten. Der
Stiel iſt nicht holzig, ſondern beſteht aus einem hornartigen
Stoff, gleich der Achſe der Gorgonen. Da Stickſtoff und
Phosphor in Menge in verſchiedenen kryptogamiſchen Gewächſen
nachgewieſen ſind, ſo wäre nichts dabei herausgekommen, wenn
wir auf chemiſchem Wege hätten ermitteln wollen, ob dieſer
organiſche Körper dem Pflanzen- oder dem Tierreiche angehöre.
Da er einigen Seepflanzen mit Adiantenblättern ſehr nahe
kommt, ſo ſtellten wir ihn vorläufig zu den Tangen und
nannten ihn Fucus vitifolius. Die Haare, mit denen das
Gewächs bedeckt iſt, kommen bei vielen anderen Tangen vor.
Allerdings zeigte das Blatt, als es friſch aus der See unter
dem Mikroſkop unterſucht wurde, nicht die drüſigen Körper
in Häufchen oder die dunkeln Punkte, welche bei den Gat-
tungen Ulva und Fucus die Fruktifikationen enthalten; aber

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[43/0059] Frau hatte mehrere Männer, welche in der Ausübung der Rechte des Familienhauptes wechſelten. Der eine Ehemann ward als ſolcher nur während eines Mondumlaufs anerkannt, ſofort übernahm ein anderer das Amt und jener trat in das Hausgeſinde zurück. Es iſt zu bedauern, daß wir von den Geiſtlichen im Gefolge Johanns von Béthencourt, welche die Geſchichte der Eroberung der Kanarien geſchrieben haben, nicht mehr von den Sitten eines Volkes erfahren, bei dem ſo ſonderbare Bräuche herrſchten. Im 15. Jahrhundert be- ſtanden auf der Inſel Lanzarote zwei kleine voneinander unabhängige Staaten, die durch eine Mauer geſchieden waren, dergleichen man auch in Schottland, in Peru und in China findet, Denkmäler, die den Nationalhaß überleben. Wegen des Windes mußten wir zwiſchen den Inſeln Alegranza und Montaña Clara durchfahren. Da niemand am Bord der Korvette je in dieſem Kanal geweſen war, ſo mußte das Senkblei ausgeworfen werden. Wir fanden Grund bei 45 und 60 m. Mit dem Senkblei wurde eine organiſche Subſtanz von ſo ſonderbarem Bau aufgezogen, daß wir lange nicht wußten, ob wir ſie für einen Zoophyten oder für eine Tangart halten ſollten. Auf einem bräunlichen, 8 cm langen Stiel ſitzen runde lappige Blätter mit gezahntem Rande. Sie ſind hellgrün, lederartig und geſtreift wie die Blätter der Adianten und des Ginkgo biloba. Ihre Fläche iſt mit ſteifen, weißlichen Haaren bedeckt; vor der Entwickelung ſind ſie konkav und ineinander geſchachtelt. Wir konnten keine Spur von willkührlicher Bewegung, von Irritabilität daran bemerken, auch nicht als wir es mit dem Galvanismus verſuchten. Der Stiel iſt nicht holzig, ſondern beſteht aus einem hornartigen Stoff, gleich der Achſe der Gorgonen. Da Stickſtoff und Phosphor in Menge in verſchiedenen kryptogamiſchen Gewächſen nachgewieſen ſind, ſo wäre nichts dabei herausgekommen, wenn wir auf chemiſchem Wege hätten ermitteln wollen, ob dieſer organiſche Körper dem Pflanzen- oder dem Tierreiche angehöre. Da er einigen Seepflanzen mit Adiantenblättern ſehr nahe kommt, ſo ſtellten wir ihn vorläufig zu den Tangen und nannten ihn Fucus vitifolius. Die Haare, mit denen das Gewächs bedeckt iſt, kommen bei vielen anderen Tangen vor. Allerdings zeigte das Blatt, als es friſch aus der See unter dem Mikroſkop unterſucht wurde, nicht die drüſigen Körper in Häufchen oder die dunkeln Punkte, welche bei den Gat- tungen Ulva und Fucus die Fruktifikationen enthalten; aber

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/59>, abgerufen am 22.11.2024.