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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Orseille und Mesembryanthemum crystallinum sammelt,
haben nicht 390 m senkrechter Höhe. Es scheint mir von
Nutzen, die Seefahrer auf dergleichen Bestimmungen hinzu-
weisen, weil sich mittels einer Methode, deren in dieser Reise-
beschreibung öfter Erwähnung geschieht und deren sich Borda,
Lord Mulgrave, de Rossel und Don Cosme Churruca auf
ihren Reisen mit Erfolg bedient haben, durch Höhenwinkel,
die man mit guten Reflexionsinstrumenten nimmt, mit hin-
länglicher Genauigkeit ermitteln läßt, wie weit sich das Schiff
von einem Vorgebirge oder von einer gebirgigen Insel befindet.

Als wir 180 km ostwärts von Madeira waren, setzte sich
eine Schwalbe auf die Marsstange. Sie war so müde, daß
sie sich leicht fangen ließ. Es war eine Rauchschwalbe (Hi-
rundo rustica, Lin.
). Was mag einen Vogel veranlassen,
in dieser Jahreszeit und bei stiller Luft so weit zu fliegen?
Bei d'Entrecasteaux' Expedition sah man gleichfalls eine Rauch-
schwalbe 270 km weit vom Weißen Vorgebirge; das war aber
Ende Oktobers, und Labillardiere war der Meinung, sie
komme eben aus Europa. Wir befuhren diese Striche im
Juni, und seit langer Zeit hatte kein Sturm das Meer auf-
gerührt. Ich betone den letzteren Umstand, weil kleine Vögel,
sogar Schmetterlinge zuweilen durch heftige Winde auf die
hohe See verschlagen werden, wie wir es in der Südsee,
westwärts von der Küste von Mexiko, beobachten konnten.

Der Pizarro hatte Befehl, bei der Insel Lanzarote, einer
der sieben großen Kanarien, anzulegen, um sich zu erkundigen,
ob die Engländer die Reede von Santa Cruz auf Tenerifa
blockierten. Seit dem 15. Juni war man im Zweifel, welchen
Weg man einschlagen sollte. Bis jetzt hatten die Steuerleute,
die mit den Seeuhren nicht recht umzugehen wußten, keine
großen Stücke auf die Länge gehalten, die ich fast immer
zweimal des Tages bestimmte, indem ich zum Uebertrag der
Zeit morgens und abends Stundenwinkel aufnahm. Endlich
am 16. Juni, um 9 Uhr morgens, als wir schon unter
29° 26' der Breite waren, änderte der Kapitän den Kurs
und steuerte gegen Ost. Da zeigte sich bald, wie genau Louis
Berthouds Chronometer war; um 2 Uhr nachmittags kam
Land in Sicht, das wie eine kleine Wolke am Horizont er-
schien. Um 5 Uhr, bei niedriger stehender Sonne, lag die
Insel Lanzarote so deutlich vor uns, daß ich den Höhenwinkel
eines Kegelberges messen konnte, der majestätisch die anderen
Gipfel überragt und den wir für den großen Vulkan hielten,

Orſeille und Mesembryanthemum crystallinum ſammelt,
haben nicht 390 m ſenkrechter Höhe. Es ſcheint mir von
Nutzen, die Seefahrer auf dergleichen Beſtimmungen hinzu-
weiſen, weil ſich mittels einer Methode, deren in dieſer Reiſe-
beſchreibung öfter Erwähnung geſchieht und deren ſich Borda,
Lord Mulgrave, de Roſſel und Don Cosme Churruca auf
ihren Reiſen mit Erfolg bedient haben, durch Höhenwinkel,
die man mit guten Reflexionsinſtrumenten nimmt, mit hin-
länglicher Genauigkeit ermitteln läßt, wie weit ſich das Schiff
von einem Vorgebirge oder von einer gebirgigen Inſel befindet.

Als wir 180 km oſtwärts von Madeira waren, ſetzte ſich
eine Schwalbe auf die Marsſtange. Sie war ſo müde, daß
ſie ſich leicht fangen ließ. Es war eine Rauchſchwalbe (Hi-
rundo rustica, Lin.
). Was mag einen Vogel veranlaſſen,
in dieſer Jahreszeit und bei ſtiller Luft ſo weit zu fliegen?
Bei d’Entrecaſteaux’ Expedition ſah man gleichfalls eine Rauch-
ſchwalbe 270 km weit vom Weißen Vorgebirge; das war aber
Ende Oktobers, und Labillardière war der Meinung, ſie
komme eben aus Europa. Wir befuhren dieſe Striche im
Juni, und ſeit langer Zeit hatte kein Sturm das Meer auf-
gerührt. Ich betone den letzteren Umſtand, weil kleine Vögel,
ſogar Schmetterlinge zuweilen durch heftige Winde auf die
hohe See verſchlagen werden, wie wir es in der Südſee,
weſtwärts von der Küſte von Mexiko, beobachten konnten.

Der Pizarro hatte Befehl, bei der Inſel Lanzarote, einer
der ſieben großen Kanarien, anzulegen, um ſich zu erkundigen,
ob die Engländer die Reede von Santa Cruz auf Tenerifa
blockierten. Seit dem 15. Juni war man im Zweifel, welchen
Weg man einſchlagen ſollte. Bis jetzt hatten die Steuerleute,
die mit den Seeuhren nicht recht umzugehen wußten, keine
großen Stücke auf die Länge gehalten, die ich faſt immer
zweimal des Tages beſtimmte, indem ich zum Uebertrag der
Zeit morgens und abends Stundenwinkel aufnahm. Endlich
am 16. Juni, um 9 Uhr morgens, als wir ſchon unter
29° 26′ der Breite waren, änderte der Kapitän den Kurs
und ſteuerte gegen Oſt. Da zeigte ſich bald, wie genau Louis
Berthouds Chronometer war; um 2 Uhr nachmittags kam
Land in Sicht, das wie eine kleine Wolke am Horizont er-
ſchien. Um 5 Uhr, bei niedriger ſtehender Sonne, lag die
Inſel Lanzarote ſo deutlich vor uns, daß ich den Höhenwinkel
eines Kegelberges meſſen konnte, der majeſtätiſch die anderen
Gipfel überragt und den wir für den großen Vulkan hielten,

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[39/0055] Orſeille und Mesembryanthemum crystallinum ſammelt, haben nicht 390 m ſenkrechter Höhe. Es ſcheint mir von Nutzen, die Seefahrer auf dergleichen Beſtimmungen hinzu- weiſen, weil ſich mittels einer Methode, deren in dieſer Reiſe- beſchreibung öfter Erwähnung geſchieht und deren ſich Borda, Lord Mulgrave, de Roſſel und Don Cosme Churruca auf ihren Reiſen mit Erfolg bedient haben, durch Höhenwinkel, die man mit guten Reflexionsinſtrumenten nimmt, mit hin- länglicher Genauigkeit ermitteln läßt, wie weit ſich das Schiff von einem Vorgebirge oder von einer gebirgigen Inſel befindet. Als wir 180 km oſtwärts von Madeira waren, ſetzte ſich eine Schwalbe auf die Marsſtange. Sie war ſo müde, daß ſie ſich leicht fangen ließ. Es war eine Rauchſchwalbe (Hi- rundo rustica, Lin.). Was mag einen Vogel veranlaſſen, in dieſer Jahreszeit und bei ſtiller Luft ſo weit zu fliegen? Bei d’Entrecaſteaux’ Expedition ſah man gleichfalls eine Rauch- ſchwalbe 270 km weit vom Weißen Vorgebirge; das war aber Ende Oktobers, und Labillardière war der Meinung, ſie komme eben aus Europa. Wir befuhren dieſe Striche im Juni, und ſeit langer Zeit hatte kein Sturm das Meer auf- gerührt. Ich betone den letzteren Umſtand, weil kleine Vögel, ſogar Schmetterlinge zuweilen durch heftige Winde auf die hohe See verſchlagen werden, wie wir es in der Südſee, weſtwärts von der Küſte von Mexiko, beobachten konnten. Der Pizarro hatte Befehl, bei der Inſel Lanzarote, einer der ſieben großen Kanarien, anzulegen, um ſich zu erkundigen, ob die Engländer die Reede von Santa Cruz auf Tenerifa blockierten. Seit dem 15. Juni war man im Zweifel, welchen Weg man einſchlagen ſollte. Bis jetzt hatten die Steuerleute, die mit den Seeuhren nicht recht umzugehen wußten, keine großen Stücke auf die Länge gehalten, die ich faſt immer zweimal des Tages beſtimmte, indem ich zum Uebertrag der Zeit morgens und abends Stundenwinkel aufnahm. Endlich am 16. Juni, um 9 Uhr morgens, als wir ſchon unter 29° 26′ der Breite waren, änderte der Kapitän den Kurs und ſteuerte gegen Oſt. Da zeigte ſich bald, wie genau Louis Berthouds Chronometer war; um 2 Uhr nachmittags kam Land in Sicht, das wie eine kleine Wolke am Horizont er- ſchien. Um 5 Uhr, bei niedriger ſtehender Sonne, lag die Inſel Lanzarote ſo deutlich vor uns, daß ich den Höhenwinkel eines Kegelberges meſſen konnte, der majeſtätiſch die anderen Gipfel überragt und den wir für den großen Vulkan hielten,

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/55>, abgerufen am 25.11.2024.