gefällig gewesen wären, und der Wald immer dichter zu werden schien. Wir mußten uns trennen; die indianischen Führer, welche die Chaymassprache verstanden, waren noch weit zurück, da die beladenen Maultiere bei jedem Schritt in den Schluchten stürzten.
Nach mehreren Stunden beständig abwärts über zerstreute Felsblöcke sahen wir uns unerwartet am Ende des Waldes von Santa Maria. So weit das Auge reichte, lag eine Gras- flur vor uns, die sich in der Regenzeit frisch begrünt hatte. Links sahen wir in ein enges Thal hinein, das sich dem Guacharogebirge zu zieht und im Hintergrunde mit dichtem Walde bedeckt ist. Der Blick streifte über die Baumwipfel weg, die 260 m tief unter dem Wege sich wie ein hingebreiteter, dunkelgrüner Teppich ausnahmen. Die Lichtungen im Walde glichen großen Trichtern, in denen wir an der zierlichen Ge- stalt und den gefiederten Blättern Praga- und Irassepalmen erkannten. Vollends malerisch wird die Landschaft dadurch, daß die Sierra del Guacharo vor einem liegt. Ihr nörd- licher, dem Meerbusen von Cariaco zugekehrter Abhang ist steil und bildet eine Felsmauer, ein fast senkrechtes Profil, über 970 m hoch. Diese Wand ist so schwach bewachsen, daß man die Linien der Kalkschichten mit dem Auge verfolgen kann. Der Gipfel der Sierra ist abgeplattet und nur am Ostende erhebt sich, gleich einer geneigten Pyramide, der majestätische Pik Guacharo. Seine Gestalt erinnert an die Aiguilles und Hörner der Schweizer Alpen (Schreckhörner, Finsteraarhorn). Da die meisten Berge mit steilem Abhange höher scheinen, als sie wirklich sind, so ist es nicht zu verwundern, daß man in den Missionen der Meinung ist, der Guacharo überrage den Turimiquiri und den Brigantin.
Die Savanne, über die wir zum indianischen Dorfe Santa Cruz zogen, besteht aus mehreren sehr ebenen Plateaus, die wie Stockwerke übereinander liegen. Diese geologische Er- scheinung, die in allen Erdstrichen vorkommt, scheint darauf hinzudeuten, daß hier lange Zeit Wasserbecken übereinander lagen und sich ineinander ergossen. Der Kalkstein geht nicht mehr zu Tage aus; er ist mit einer dicken Schicht Dammerde bedeckt. Wo wir ihn im Walde von Santa Maria zum letzten- mal sahen, fanden wir Nester von Eisenerz darin, und, wenn wir recht gesehen haben, ein Ammonshorn; es gelang uns aber nicht, es loszubrechen. Es maß 18 cm im Durchmesser. Diese Beobachtung ist um so interessanter, als wir sonst in
gefällig geweſen wären, und der Wald immer dichter zu werden ſchien. Wir mußten uns trennen; die indianiſchen Führer, welche die Chaymasſprache verſtanden, waren noch weit zurück, da die beladenen Maultiere bei jedem Schritt in den Schluchten ſtürzten.
Nach mehreren Stunden beſtändig abwärts über zerſtreute Felsblöcke ſahen wir uns unerwartet am Ende des Waldes von Santa Maria. So weit das Auge reichte, lag eine Gras- flur vor uns, die ſich in der Regenzeit friſch begrünt hatte. Links ſahen wir in ein enges Thal hinein, das ſich dem Guacharogebirge zu zieht und im Hintergrunde mit dichtem Walde bedeckt iſt. Der Blick ſtreifte über die Baumwipfel weg, die 260 m tief unter dem Wege ſich wie ein hingebreiteter, dunkelgrüner Teppich ausnahmen. Die Lichtungen im Walde glichen großen Trichtern, in denen wir an der zierlichen Ge- ſtalt und den gefiederten Blättern Praga- und Iraſſepalmen erkannten. Vollends maleriſch wird die Landſchaft dadurch, daß die Sierra del Guacharo vor einem liegt. Ihr nörd- licher, dem Meerbuſen von Cariaco zugekehrter Abhang iſt ſteil und bildet eine Felsmauer, ein faſt ſenkrechtes Profil, über 970 m hoch. Dieſe Wand iſt ſo ſchwach bewachſen, daß man die Linien der Kalkſchichten mit dem Auge verfolgen kann. Der Gipfel der Sierra iſt abgeplattet und nur am Oſtende erhebt ſich, gleich einer geneigten Pyramide, der majeſtätiſche Pik Guacharo. Seine Geſtalt erinnert an die Aiguilles und Hörner der Schweizer Alpen (Schreckhörner, Finſteraarhorn). Da die meiſten Berge mit ſteilem Abhange höher ſcheinen, als ſie wirklich ſind, ſo iſt es nicht zu verwundern, daß man in den Miſſionen der Meinung iſt, der Guacharo überrage den Turimiquiri und den Brigantin.
Die Savanne, über die wir zum indianiſchen Dorfe Santa Cruz zogen, beſteht aus mehreren ſehr ebenen Plateaus, die wie Stockwerke übereinander liegen. Dieſe geologiſche Er- ſcheinung, die in allen Erdſtrichen vorkommt, ſcheint darauf hinzudeuten, daß hier lange Zeit Waſſerbecken übereinander lagen und ſich ineinander ergoſſen. Der Kalkſtein geht nicht mehr zu Tage aus; er iſt mit einer dicken Schicht Dammerde bedeckt. Wo wir ihn im Walde von Santa Maria zum letzten- mal ſahen, fanden wir Neſter von Eiſenerz darin, und, wenn wir recht geſehen haben, ein Ammonshorn; es gelang uns aber nicht, es loszubrechen. Es maß 18 cm im Durchmeſſer. Dieſe Beobachtung iſt um ſo intereſſanter, als wir ſonſt in
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gefällig geweſen wären, und der Wald immer dichter zu werden
ſchien. Wir mußten uns trennen; die indianiſchen Führer,
welche die Chaymasſprache verſtanden, waren noch weit zurück,
da die beladenen Maultiere bei jedem Schritt in den Schluchten
ſtürzten.
Nach mehreren Stunden beſtändig abwärts über zerſtreute
Felsblöcke ſahen wir uns unerwartet am Ende des Waldes
von Santa Maria. So weit das Auge reichte, lag eine Gras-
flur vor uns, die ſich in der Regenzeit friſch begrünt hatte.
Links ſahen wir in ein enges Thal hinein, das ſich dem
Guacharogebirge zu zieht und im Hintergrunde mit dichtem
Walde bedeckt iſt. Der Blick ſtreifte über die Baumwipfel
weg, die 260 m tief unter dem Wege ſich wie ein hingebreiteter,
dunkelgrüner Teppich ausnahmen. Die Lichtungen im Walde
glichen großen Trichtern, in denen wir an der zierlichen Ge-
ſtalt und den gefiederten Blättern Praga- und Iraſſepalmen
erkannten. Vollends maleriſch wird die Landſchaft dadurch,
daß die Sierra del Guacharo vor einem liegt. Ihr nörd-
licher, dem Meerbuſen von Cariaco zugekehrter Abhang iſt
ſteil und bildet eine Felsmauer, ein faſt ſenkrechtes Profil,
über 970 m hoch. Dieſe Wand iſt ſo ſchwach bewachſen, daß
man die Linien der Kalkſchichten mit dem Auge verfolgen kann.
Der Gipfel der Sierra iſt abgeplattet und nur am Oſtende
erhebt ſich, gleich einer geneigten Pyramide, der majeſtätiſche
Pik Guacharo. Seine Geſtalt erinnert an die Aiguilles und
Hörner der Schweizer Alpen (Schreckhörner, Finſteraarhorn).
Da die meiſten Berge mit ſteilem Abhange höher ſcheinen,
als ſie wirklich ſind, ſo iſt es nicht zu verwundern, daß man
in den Miſſionen der Meinung iſt, der Guacharo überrage
den Turimiquiri und den Brigantin.
Die Savanne, über die wir zum indianiſchen Dorfe Santa
Cruz zogen, beſteht aus mehreren ſehr ebenen Plateaus, die
wie Stockwerke übereinander liegen. Dieſe geologiſche Er-
ſcheinung, die in allen Erdſtrichen vorkommt, ſcheint darauf
hinzudeuten, daß hier lange Zeit Waſſerbecken übereinander
lagen und ſich ineinander ergoſſen. Der Kalkſtein geht nicht
mehr zu Tage aus; er iſt mit einer dicken Schicht Dammerde
bedeckt. Wo wir ihn im Walde von Santa Maria zum letzten-
mal ſahen, fanden wir Neſter von Eiſenerz darin, und, wenn
wir recht geſehen haben, ein Ammonshorn; es gelang uns
aber nicht, es loszubrechen. Es maß 18 cm im Durchmeſſer.
Dieſe Beobachtung iſt um ſo intereſſanter, als wir ſonſt in
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/299>, abgerufen am 23.07.2024.
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