springen dann von einem Felsblock auf den anderen. Aus Besorgnis, einen Fehltritt zu thun, bleiben sie eine Weile stehen, als wollten sie die Stelle untersuchen, und schieben die vier Beine zusammen wie die wilden Ziegen. Verfehlt das Tier den nächsten Steinblock, so sinkt es bis zum halben Leibe in den weichen ockerhaltigen Thon, der die Zwischenräume der Steine ausfüllt. Wo diese fehlen, finden Menschen- und Tierbeine Halt an ungeheuren Baumwurzeln. Dieselben sind oft 53 cm dick und gehen nicht selten hoch über dem Boden vom Stamme ab. Die Kreolen vertrauen der Gewandtheit und dem glücklichen Instinkt der Maultiere so sehr, daß sie auf dem langen, gefährlichen Wege abwärts im Sattel bleiben. Wir stiegen lieber ab, da wir Anstrengung weniger scheuten als jene, und gewöhnt waren, langsam vorwärts zu kommen, weil wir immer Pflanzen sammelten und die Gebirgsarten untersuchten. Da unser Chronometer so schonend behandelt werden mußte, blieb uns nicht einmal eine Wahl.
Der Wald, der den steilen Abhang des Berges von Santa Maria bedeckt, ist einer der dichtesten, die ich je ge- sehen. Die Bäume sind wirklich ungeheuer hoch und dick. Unter ihrem dichten dunkelgrünen Laube herrscht beständig ein Dämmerlicht, ein Dunkel, weit tiefer als in unseren Tannen-, Eichen- und Buchenwäldern. Es ist als könnte die Luft trotz der hohen Temperatur nicht all das Wasser aufnehmen, das der Boden, das Laub der Bäume, ihre mit einem uralten Filz von Orchideen, Peperomien und anderen Saftpflanzen bedeckten Stämme ausdünsten. Zu den aromatischen Ge- rüchen, welche Blüten, Früchte, sogar das Holz verbreiten, kommt ein anderer, wie man ihn bei uns im Herbst bei nebligem Wetter spürt. Wie in den Wäldern am Orinoko sieht man auch hier, wenn man die Baumwipfel ins Auge faßt, häufig Dunststreifen an den Stellen, wo ein paar Sonnenstrahlen durch die dicke Luft dringen. Unter den majestätischen Bäumen, die 40 bis 42 m hoch werden, machten uns die Führer auf den Curucay von Terecen aufmerksam, der ein weißliches, flüssiges, starkriechendes Harz gibt. Die indianischen Völkerschaften der Cumanagotas und Tagires räucherten einst damit vor ihren Götzen. Die jungen Zweige haben einen angenehmen, aber etwas zusammenziehenden Ge- schmack. Nach dem Curucay und ungeheuren, über 3 bis 3,25 m dicken Hymenäastämmen nahmen unsere Aufmerksam- keit am meisten in Anspruch: das Drachenblut (Croton san-
ſpringen dann von einem Felsblock auf den anderen. Aus Beſorgnis, einen Fehltritt zu thun, bleiben ſie eine Weile ſtehen, als wollten ſie die Stelle unterſuchen, und ſchieben die vier Beine zuſammen wie die wilden Ziegen. Verfehlt das Tier den nächſten Steinblock, ſo ſinkt es bis zum halben Leibe in den weichen ockerhaltigen Thon, der die Zwiſchenräume der Steine ausfüllt. Wo dieſe fehlen, finden Menſchen- und Tierbeine Halt an ungeheuren Baumwurzeln. Dieſelben ſind oft 53 cm dick und gehen nicht ſelten hoch über dem Boden vom Stamme ab. Die Kreolen vertrauen der Gewandtheit und dem glücklichen Inſtinkt der Maultiere ſo ſehr, daß ſie auf dem langen, gefährlichen Wege abwärts im Sattel bleiben. Wir ſtiegen lieber ab, da wir Anſtrengung weniger ſcheuten als jene, und gewöhnt waren, langſam vorwärts zu kommen, weil wir immer Pflanzen ſammelten und die Gebirgsarten unterſuchten. Da unſer Chronometer ſo ſchonend behandelt werden mußte, blieb uns nicht einmal eine Wahl.
Der Wald, der den ſteilen Abhang des Berges von Santa Maria bedeckt, iſt einer der dichteſten, die ich je ge- ſehen. Die Bäume ſind wirklich ungeheuer hoch und dick. Unter ihrem dichten dunkelgrünen Laube herrſcht beſtändig ein Dämmerlicht, ein Dunkel, weit tiefer als in unſeren Tannen-, Eichen- und Buchenwäldern. Es iſt als könnte die Luft trotz der hohen Temperatur nicht all das Waſſer aufnehmen, das der Boden, das Laub der Bäume, ihre mit einem uralten Filz von Orchideen, Peperomien und anderen Saftpflanzen bedeckten Stämme ausdünſten. Zu den aromatiſchen Ge- rüchen, welche Blüten, Früchte, ſogar das Holz verbreiten, kommt ein anderer, wie man ihn bei uns im Herbſt bei nebligem Wetter ſpürt. Wie in den Wäldern am Orinoko ſieht man auch hier, wenn man die Baumwipfel ins Auge faßt, häufig Dunſtſtreifen an den Stellen, wo ein paar Sonnenſtrahlen durch die dicke Luft dringen. Unter den majeſtätiſchen Bäumen, die 40 bis 42 m hoch werden, machten uns die Führer auf den Curucay von Terecen aufmerkſam, der ein weißliches, flüſſiges, ſtarkriechendes Harz gibt. Die indianiſchen Völkerſchaften der Cumanagotas und Tagires räucherten einſt damit vor ihren Götzen. Die jungen Zweige haben einen angenehmen, aber etwas zuſammenziehenden Ge- ſchmack. Nach dem Curucay und ungeheuren, über 3 bis 3,25 m dicken Hymenäaſtämmen nahmen unſere Aufmerkſam- keit am meiſten in Anſpruch: das Drachenblut (Croton san-
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ſpringen dann von einem Felsblock auf den anderen. Aus
Beſorgnis, einen Fehltritt zu thun, bleiben ſie eine Weile
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die vier Beine zuſammen wie die wilden Ziegen. Verfehlt
das Tier den nächſten Steinblock, ſo ſinkt es bis zum halben
Leibe in den weichen ockerhaltigen Thon, der die Zwiſchenräume
der Steine ausfüllt. Wo dieſe fehlen, finden Menſchen- und
Tierbeine Halt an ungeheuren Baumwurzeln. Dieſelben ſind
oft 53 cm dick und gehen nicht ſelten hoch über dem Boden
vom Stamme ab. Die Kreolen vertrauen der Gewandtheit
und dem glücklichen Inſtinkt der Maultiere ſo ſehr, daß ſie
auf dem langen, gefährlichen Wege abwärts im Sattel bleiben.
Wir ſtiegen lieber ab, da wir Anſtrengung weniger ſcheuten
als jene, und gewöhnt waren, langſam vorwärts zu kommen,
weil wir immer Pflanzen ſammelten und die Gebirgsarten
unterſuchten. Da unſer Chronometer ſo ſchonend behandelt
werden mußte, blieb uns nicht einmal eine Wahl.
Der Wald, der den ſteilen Abhang des Berges von
Santa Maria bedeckt, iſt einer der dichteſten, die ich je ge-
ſehen. Die Bäume ſind wirklich ungeheuer hoch und dick.
Unter ihrem dichten dunkelgrünen Laube herrſcht beſtändig ein
Dämmerlicht, ein Dunkel, weit tiefer als in unſeren Tannen-,
Eichen- und Buchenwäldern. Es iſt als könnte die Luft trotz
der hohen Temperatur nicht all das Waſſer aufnehmen, das
der Boden, das Laub der Bäume, ihre mit einem uralten
Filz von Orchideen, Peperomien und anderen Saftpflanzen
bedeckten Stämme ausdünſten. Zu den aromatiſchen Ge-
rüchen, welche Blüten, Früchte, ſogar das Holz verbreiten,
kommt ein anderer, wie man ihn bei uns im Herbſt bei
nebligem Wetter ſpürt. Wie in den Wäldern am Orinoko
ſieht man auch hier, wenn man die Baumwipfel ins Auge
faßt, häufig Dunſtſtreifen an den Stellen, wo ein paar
Sonnenſtrahlen durch die dicke Luft dringen. Unter den
majeſtätiſchen Bäumen, die 40 bis 42 m hoch werden, machten
uns die Führer auf den Curucay von Terecen aufmerkſam,
der ein weißliches, flüſſiges, ſtarkriechendes Harz gibt. Die
indianiſchen Völkerſchaften der Cumanagotas und Tagires
räucherten einſt damit vor ihren Götzen. Die jungen Zweige
haben einen angenehmen, aber etwas zuſammenziehenden Ge-
ſchmack. Nach dem Curucay und ungeheuren, über 3 bis
3,25 m dicken Hymenäaſtämmen nahmen unſere Aufmerkſam-
keit am meiſten in Anſpruch: das Drachenblut (Croton san-
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/295>, abgerufen am 22.07.2024.
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