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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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hundert Taucher beschäftigt und der jährliche Ertrag über eine
halbe Million steigt, hat man das Tier vergeblich auf andere
Küstenpunkte zu verpflanzen gesucht. Die Regierung gestattet
die Fischerei nur einen Monat lang, während man in Cubagua
die Muschelbank das ganze Jahr hindurch ausbeutete. Um
sich eine Vorstellung davon zu machen, in welchem Maße die
Taucher unter diesem Tiergeschlecht aufräumen, muß man
bedenken, daß manches Fahrzeug in zwei, drei Wochen über
35000 Muscheln aufnimmt. Das Tier lebt nur neun bis zehn
Jahre und die Perlen fangen erst im vierten Jahre an zum
Vorschein zu kommen. In 10000 Muscheln ist oft nicht eine
wertvolle Perle. Nach der Sage öffneten die Fischer auf der
Bank bei der Insel Margarita die Muscheln Stück für Stück;
auf Ceylon schüttet man die Tiere auf und läßt sie faulen,
und um die Perlen zu gewinnen, welche nicht an den Schalen
hängen, wäscht man die Haufen tierischen Gewebes aus, gerade
wie man in den Minen den Sand auswäscht, der Gold- oder
Zinngeschiebe oder Diamanten enthält.

Gegenwärtig bringt das spanische Amerika nur noch die
Perlen in den Handel, die aus dem Meerbusen von Panama
und von der Mündung des Rio de la Hacha kommen. Auf
den Untiefen um Cubagua, Coche und Margarita ist die
Fischerei aufgegeben, wie an der kalifornischen Küste. 1 Man
glaubt in Cumana, die Perlenmuschel habe sich nach zwei-
hundertjähriger Ruhe wieder bedeutend vermehrt, 2 und man
fragt sich, warum die Perlen, die man jetzt in Muscheln findet,
die an den Fischnetzen hängen bleiben, 3 so klein sind und so
wenig Glanz haben, während man bei der Ankunft der Spanier
sehr schöne bei den Indianern fand, die doch schwerlich da-
nach tauchten. Diese Frage ist desto schwerer zu beantworten,
da wir nicht wissen, ob etwa Erdbeben die Beschaffenheit des
Seebodens verändert haben, oder ob Richtungsänderungen in

1 Es wundert mich, auf unseren Reisen nirgends gehört zu
haben, daß in Südamerika Perlen in Süßwassermuscheln gefunden
worden wären, und doch kommen manche Arten der Gattung Unio
in den peruanischen Flüssen in großer Menge vor.
2 Im Jahre 1812 sind bei Margarita einige Versuche gemacht
worden, die Perlenfischerei wieder aufzunehmen.
3 Die Einwohner von Araya verkaufen zuweilen solche kleine
Perlen an die Kaufleute von Cumana. Der gewöhnliche Preis ist
ein Piaster für das Dutzend.

hundert Taucher beſchäftigt und der jährliche Ertrag über eine
halbe Million ſteigt, hat man das Tier vergeblich auf andere
Küſtenpunkte zu verpflanzen geſucht. Die Regierung geſtattet
die Fiſcherei nur einen Monat lang, während man in Cubagua
die Muſchelbank das ganze Jahr hindurch ausbeutete. Um
ſich eine Vorſtellung davon zu machen, in welchem Maße die
Taucher unter dieſem Tiergeſchlecht aufräumen, muß man
bedenken, daß manches Fahrzeug in zwei, drei Wochen über
35000 Muſcheln aufnimmt. Das Tier lebt nur neun bis zehn
Jahre und die Perlen fangen erſt im vierten Jahre an zum
Vorſchein zu kommen. In 10000 Muſcheln iſt oft nicht eine
wertvolle Perle. Nach der Sage öffneten die Fiſcher auf der
Bank bei der Inſel Margarita die Muſcheln Stück für Stück;
auf Ceylon ſchüttet man die Tiere auf und läßt ſie faulen,
und um die Perlen zu gewinnen, welche nicht an den Schalen
hängen, wäſcht man die Haufen tieriſchen Gewebes aus, gerade
wie man in den Minen den Sand auswäſcht, der Gold- oder
Zinngeſchiebe oder Diamanten enthält.

Gegenwärtig bringt das ſpaniſche Amerika nur noch die
Perlen in den Handel, die aus dem Meerbuſen von Panama
und von der Mündung des Rio de la Hacha kommen. Auf
den Untiefen um Cubagua, Coche und Margarita iſt die
Fiſcherei aufgegeben, wie an der kaliforniſchen Küſte. 1 Man
glaubt in Cumana, die Perlenmuſchel habe ſich nach zwei-
hundertjähriger Ruhe wieder bedeutend vermehrt, 2 und man
fragt ſich, warum die Perlen, die man jetzt in Muſcheln findet,
die an den Fiſchnetzen hängen bleiben, 3 ſo klein ſind und ſo
wenig Glanz haben, während man bei der Ankunft der Spanier
ſehr ſchöne bei den Indianern fand, die doch ſchwerlich da-
nach tauchten. Dieſe Frage iſt deſto ſchwerer zu beantworten,
da wir nicht wiſſen, ob etwa Erdbeben die Beſchaffenheit des
Seebodens verändert haben, oder ob Richtungsänderungen in

1 Es wundert mich, auf unſeren Reiſen nirgends gehört zu
haben, daß in Südamerika Perlen in Süßwaſſermuſcheln gefunden
worden wären, und doch kommen manche Arten der Gattung Unio
in den peruaniſchen Flüſſen in großer Menge vor.
2 Im Jahre 1812 ſind bei Margarita einige Verſuche gemacht
worden, die Perlenfiſcherei wieder aufzunehmen.
3 Die Einwohner von Araya verkaufen zuweilen ſolche kleine
Perlen an die Kaufleute von Cumana. Der gewöhnliche Preis iſt
ein Piaſter für das Dutzend.
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[202/0218] hundert Taucher beſchäftigt und der jährliche Ertrag über eine halbe Million ſteigt, hat man das Tier vergeblich auf andere Küſtenpunkte zu verpflanzen geſucht. Die Regierung geſtattet die Fiſcherei nur einen Monat lang, während man in Cubagua die Muſchelbank das ganze Jahr hindurch ausbeutete. Um ſich eine Vorſtellung davon zu machen, in welchem Maße die Taucher unter dieſem Tiergeſchlecht aufräumen, muß man bedenken, daß manches Fahrzeug in zwei, drei Wochen über 35000 Muſcheln aufnimmt. Das Tier lebt nur neun bis zehn Jahre und die Perlen fangen erſt im vierten Jahre an zum Vorſchein zu kommen. In 10000 Muſcheln iſt oft nicht eine wertvolle Perle. Nach der Sage öffneten die Fiſcher auf der Bank bei der Inſel Margarita die Muſcheln Stück für Stück; auf Ceylon ſchüttet man die Tiere auf und läßt ſie faulen, und um die Perlen zu gewinnen, welche nicht an den Schalen hängen, wäſcht man die Haufen tieriſchen Gewebes aus, gerade wie man in den Minen den Sand auswäſcht, der Gold- oder Zinngeſchiebe oder Diamanten enthält. Gegenwärtig bringt das ſpaniſche Amerika nur noch die Perlen in den Handel, die aus dem Meerbuſen von Panama und von der Mündung des Rio de la Hacha kommen. Auf den Untiefen um Cubagua, Coche und Margarita iſt die Fiſcherei aufgegeben, wie an der kaliforniſchen Küſte. 1 Man glaubt in Cumana, die Perlenmuſchel habe ſich nach zwei- hundertjähriger Ruhe wieder bedeutend vermehrt, 2 und man fragt ſich, warum die Perlen, die man jetzt in Muſcheln findet, die an den Fiſchnetzen hängen bleiben, 3 ſo klein ſind und ſo wenig Glanz haben, während man bei der Ankunft der Spanier ſehr ſchöne bei den Indianern fand, die doch ſchwerlich da- nach tauchten. Dieſe Frage iſt deſto ſchwerer zu beantworten, da wir nicht wiſſen, ob etwa Erdbeben die Beſchaffenheit des Seebodens verändert haben, oder ob Richtungsänderungen in 1 Es wundert mich, auf unſeren Reiſen nirgends gehört zu haben, daß in Südamerika Perlen in Süßwaſſermuſcheln gefunden worden wären, und doch kommen manche Arten der Gattung Unio in den peruaniſchen Flüſſen in großer Menge vor. 2 Im Jahre 1812 ſind bei Margarita einige Verſuche gemacht worden, die Perlenfiſcherei wieder aufzunehmen. 3 Die Einwohner von Araya verkaufen zuweilen ſolche kleine Perlen an die Kaufleute von Cumana. Der gewöhnliche Preis iſt ein Piaſter für das Dutzend.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/218>, abgerufen am 28.11.2024.