berufenen Landstrichen. Am 19. August gegen 2 Uhr nach Mitternacht schifften wir uns bei der indischen Vorstadt auf dem Manzanares ein. Unser Hauptzweck bei dieser kleinen Reise war, die Trümmer des alten Schlosses von Araya zu besehen, die Salzwerke zu besuchen und auf den Bergen, welche die schmale Halbinsel Maniquarez bilden, einige geo- logische Untersuchungen anzustellen. Die Nacht war köstlich kühl, Schwärme leuchtender Insekten 1 glänzten in der Luft, auf dem mit Sesuvium bedeckten Boden und in den Mimosen- büschen am Fluß. Es ist bekannt, wie häufig die Leucht- würmer in Italien und im ganzen mittäglichen Europa sind; aber ihr malerischer Eindruck ist gar nicht zu vergleichen mit den zahllosen zerstreuten, sich hin und her bewegenden Licht- punkten, welche im heißen Erdstrich der Schmuck der Nächte sind, wo einem ist, als ob das Schauspiel, welches das Himmelsgewölbe bietet, sich auf der Erde, auf der ungeheuren Ebene der Grasfluren wiederholte.
Als wir flußabwärts an die Pflanzungen oder Charas kamen, sahen wir Freudenfeuer, die Neger angezündet hatten. Leichter, gekräuselter Rauch stieg zu den Gipfeln der Palmen auf und gab der Mondscheibe einen rötlichen Schein. Es war Sonntagnacht und die Sklaven tanzten zur rauschenden, eintönigen Musik einer Guitarre. Der Grundzug im Charakter der afrikanischen Völker von schwarzer Rasse ist ein uner- schöpfliches Maß von Beweglichkeit und Frohsinn. Nachdem er die Woche über hart gearbeitet, tanzt und musiziert der Sklave am Feiertage dennoch lieber, als daß er ausschläft. Hüten wir uns, über diese Sorglosigkeit, diesen Leichtsinn hart zu urteilen; wird ja doch dadurch ein Leben voll Ent- behrung und Schmerz versüßt.
Die Barke, in der wir über den Meerbusen von Cariaco fuhren, war sehr geräumig. Man hatte große Jaguarfelle ausgebreitet, damit wir bei Nacht ruhen könnten. Noch waren wir nicht zwei Monate in der heißen Zone, und bereits waren unsere Organe so empfindlich für den kleinsten Temperatur- wechsel, daß wir vor Frost nicht schlafen konnten. Zu unserer Verwunderung sahen wir, daß der hundertteilige Thermo- meter auf 21,8° stand. Dieser Umstand, der allen, die lange in beiden Indien gelebt haben, wohl bekannt ist, verdient von den Physiologen beachtet zu werden. Boucher erzählt,
1Elater noctilucus.
berufenen Landſtrichen. Am 19. Auguſt gegen 2 Uhr nach Mitternacht ſchifften wir uns bei der indiſchen Vorſtadt auf dem Manzanares ein. Unſer Hauptzweck bei dieſer kleinen Reiſe war, die Trümmer des alten Schloſſes von Araya zu beſehen, die Salzwerke zu beſuchen und auf den Bergen, welche die ſchmale Halbinſel Maniquarez bilden, einige geo- logiſche Unterſuchungen anzuſtellen. Die Nacht war köſtlich kühl, Schwärme leuchtender Inſekten 1 glänzten in der Luft, auf dem mit Seſuvium bedeckten Boden und in den Mimoſen- büſchen am Fluß. Es iſt bekannt, wie häufig die Leucht- würmer in Italien und im ganzen mittäglichen Europa ſind; aber ihr maleriſcher Eindruck iſt gar nicht zu vergleichen mit den zahlloſen zerſtreuten, ſich hin und her bewegenden Licht- punkten, welche im heißen Erdſtrich der Schmuck der Nächte ſind, wo einem iſt, als ob das Schauſpiel, welches das Himmelsgewölbe bietet, ſich auf der Erde, auf der ungeheuren Ebene der Grasfluren wiederholte.
Als wir flußabwärts an die Pflanzungen oder Charas kamen, ſahen wir Freudenfeuer, die Neger angezündet hatten. Leichter, gekräuſelter Rauch ſtieg zu den Gipfeln der Palmen auf und gab der Mondſcheibe einen rötlichen Schein. Es war Sonntagnacht und die Sklaven tanzten zur rauſchenden, eintönigen Muſik einer Guitarre. Der Grundzug im Charakter der afrikaniſchen Völker von ſchwarzer Raſſe iſt ein uner- ſchöpfliches Maß von Beweglichkeit und Frohſinn. Nachdem er die Woche über hart gearbeitet, tanzt und muſiziert der Sklave am Feiertage dennoch lieber, als daß er ausſchläft. Hüten wir uns, über dieſe Sorgloſigkeit, dieſen Leichtſinn hart zu urteilen; wird ja doch dadurch ein Leben voll Ent- behrung und Schmerz verſüßt.
Die Barke, in der wir über den Meerbuſen von Cariaco fuhren, war ſehr geräumig. Man hatte große Jaguarfelle ausgebreitet, damit wir bei Nacht ruhen könnten. Noch waren wir nicht zwei Monate in der heißen Zone, und bereits waren unſere Organe ſo empfindlich für den kleinſten Temperatur- wechſel, daß wir vor Froſt nicht ſchlafen konnten. Zu unſerer Verwunderung ſahen wir, daß der hundertteilige Thermo- meter auf 21,8° ſtand. Dieſer Umſtand, der allen, die lange in beiden Indien gelebt haben, wohl bekannt iſt, verdient von den Phyſiologen beachtet zu werden. Boucher erzählt,
1Elater noctilucus.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0205"n="189"/>
berufenen Landſtrichen. Am 19. Auguſt gegen 2 Uhr nach<lb/>
Mitternacht ſchifften wir uns bei der indiſchen Vorſtadt auf<lb/>
dem Manzanares ein. Unſer Hauptzweck bei dieſer kleinen<lb/>
Reiſe war, die Trümmer des alten Schloſſes von Araya zu<lb/>
beſehen, die Salzwerke zu beſuchen und auf den Bergen,<lb/>
welche die ſchmale Halbinſel Maniquarez bilden, einige geo-<lb/>
logiſche Unterſuchungen anzuſtellen. Die Nacht war köſtlich<lb/>
kühl, Schwärme leuchtender Inſekten <noteplace="foot"n="1"><hirendition="#aq">Elater noctilucus.</hi></note> glänzten in der Luft,<lb/>
auf dem mit Seſuvium bedeckten Boden und in den Mimoſen-<lb/>
büſchen am Fluß. Es iſt bekannt, wie häufig die Leucht-<lb/>
würmer in Italien und im ganzen mittäglichen Europa ſind;<lb/>
aber ihr maleriſcher Eindruck iſt gar nicht zu vergleichen mit<lb/>
den zahlloſen zerſtreuten, ſich hin und her bewegenden Licht-<lb/>
punkten, welche im heißen Erdſtrich der Schmuck der Nächte<lb/>ſind, wo einem iſt, als ob das Schauſpiel, welches das<lb/>
Himmelsgewölbe bietet, ſich auf der Erde, auf der ungeheuren<lb/>
Ebene der Grasfluren wiederholte.</p><lb/><p>Als wir flußabwärts an die Pflanzungen oder <hirendition="#g">Charas</hi><lb/>
kamen, ſahen wir Freudenfeuer, die Neger angezündet hatten.<lb/>
Leichter, gekräuſelter Rauch ſtieg zu den Gipfeln der Palmen<lb/>
auf und gab der Mondſcheibe einen rötlichen Schein. Es<lb/>
war Sonntagnacht und die Sklaven tanzten zur rauſchenden,<lb/>
eintönigen Muſik einer Guitarre. Der Grundzug im Charakter<lb/>
der afrikaniſchen Völker von ſchwarzer Raſſe iſt ein uner-<lb/>ſchöpfliches Maß von Beweglichkeit und Frohſinn. Nachdem<lb/>
er die Woche über hart gearbeitet, tanzt und muſiziert der<lb/>
Sklave am Feiertage dennoch lieber, als daß er ausſchläft.<lb/>
Hüten wir uns, über dieſe Sorgloſigkeit, dieſen Leichtſinn<lb/>
hart zu urteilen; wird ja doch dadurch ein Leben voll Ent-<lb/>
behrung und Schmerz verſüßt.</p><lb/><p>Die Barke, in der wir über den Meerbuſen von Cariaco<lb/>
fuhren, war ſehr geräumig. Man hatte große Jaguarfelle<lb/>
ausgebreitet, damit wir bei Nacht ruhen könnten. Noch waren<lb/>
wir nicht zwei Monate in der heißen Zone, und bereits waren<lb/>
unſere Organe ſo empfindlich für den kleinſten Temperatur-<lb/>
wechſel, daß wir vor Froſt nicht ſchlafen konnten. Zu unſerer<lb/>
Verwunderung ſahen wir, daß der hundertteilige Thermo-<lb/>
meter auf 21,8° ſtand. Dieſer Umſtand, der allen, die lange<lb/>
in beiden Indien gelebt haben, wohl bekannt iſt, verdient<lb/>
von den Phyſiologen beachtet zu werden. Boucher erzählt,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[189/0205]
berufenen Landſtrichen. Am 19. Auguſt gegen 2 Uhr nach
Mitternacht ſchifften wir uns bei der indiſchen Vorſtadt auf
dem Manzanares ein. Unſer Hauptzweck bei dieſer kleinen
Reiſe war, die Trümmer des alten Schloſſes von Araya zu
beſehen, die Salzwerke zu beſuchen und auf den Bergen,
welche die ſchmale Halbinſel Maniquarez bilden, einige geo-
logiſche Unterſuchungen anzuſtellen. Die Nacht war köſtlich
kühl, Schwärme leuchtender Inſekten 1 glänzten in der Luft,
auf dem mit Seſuvium bedeckten Boden und in den Mimoſen-
büſchen am Fluß. Es iſt bekannt, wie häufig die Leucht-
würmer in Italien und im ganzen mittäglichen Europa ſind;
aber ihr maleriſcher Eindruck iſt gar nicht zu vergleichen mit
den zahlloſen zerſtreuten, ſich hin und her bewegenden Licht-
punkten, welche im heißen Erdſtrich der Schmuck der Nächte
ſind, wo einem iſt, als ob das Schauſpiel, welches das
Himmelsgewölbe bietet, ſich auf der Erde, auf der ungeheuren
Ebene der Grasfluren wiederholte.
Als wir flußabwärts an die Pflanzungen oder Charas
kamen, ſahen wir Freudenfeuer, die Neger angezündet hatten.
Leichter, gekräuſelter Rauch ſtieg zu den Gipfeln der Palmen
auf und gab der Mondſcheibe einen rötlichen Schein. Es
war Sonntagnacht und die Sklaven tanzten zur rauſchenden,
eintönigen Muſik einer Guitarre. Der Grundzug im Charakter
der afrikaniſchen Völker von ſchwarzer Raſſe iſt ein uner-
ſchöpfliches Maß von Beweglichkeit und Frohſinn. Nachdem
er die Woche über hart gearbeitet, tanzt und muſiziert der
Sklave am Feiertage dennoch lieber, als daß er ausſchläft.
Hüten wir uns, über dieſe Sorgloſigkeit, dieſen Leichtſinn
hart zu urteilen; wird ja doch dadurch ein Leben voll Ent-
behrung und Schmerz verſüßt.
Die Barke, in der wir über den Meerbuſen von Cariaco
fuhren, war ſehr geräumig. Man hatte große Jaguarfelle
ausgebreitet, damit wir bei Nacht ruhen könnten. Noch waren
wir nicht zwei Monate in der heißen Zone, und bereits waren
unſere Organe ſo empfindlich für den kleinſten Temperatur-
wechſel, daß wir vor Froſt nicht ſchlafen konnten. Zu unſerer
Verwunderung ſahen wir, daß der hundertteilige Thermo-
meter auf 21,8° ſtand. Dieſer Umſtand, der allen, die lange
in beiden Indien gelebt haben, wohl bekannt iſt, verdient
von den Phyſiologen beachtet zu werden. Boucher erzählt,
1 Elater noctilucus.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/205>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.