sogar über das Becken des Ozeans fortpflanzen, deutlich dar- auf hinweist, daß der Mittelpunkt der Bewegung von der Erdoberfläche sehr weit entfernt ist. Ohne Zweifel aus dem- selben Grunde sind die Erdbeben nicht an gewisse Gebirgs- arten gebunden, wie manche Physiker behaupten, sondern alle sind vielmehr gleich geeignet, die Bewegung fortzupflanzen. Um nicht den Kreis meiner eigenen Erfahrung zu überschreiten, nenne ich nur die Granite von Lima und Acapulco, den Gneis von Caracas, den Glimmerschiefer der Halbinsel Araya, den Urgebirgsschiefer von Tepecuacuilco in Mexiko, die sekundären Kalksteine des Apennins, Spaniens und Neuandalusiens, end- lich die Trappporphyre der Provinzen Quito und Popayan. An allen diesen Orten wird der Boden häufig durch die heftigsten Stöße erschüttert; aber zuweilen werden in der- selben Gebirgsart die obenauf gelagerten Schichten zu einem unüberwindlichen Hindernis für die Fortpflanzung der Be- wegung. So sah man schon in den sächsischen Erzgruben die Bergleute wegen Bebungen, die sie empfunden, erschrocken aus- fahren, während man an der Erdoberfläche nichts davon ge- spürt hatte.
Wenn nun auch in den weitentlegensten Ländern die Ur- gebirge, die sekundären und die vulkanischen Gebirgsarten an den krampfhaften Zuckungen des Erdballes in gleichem Maße teilnehmen, so läßt sich doch nicht in Abrede ziehen, daß in einem nicht sehr ausgedehnten Landstrich gewisse Gebirgsarten die Fortpflanzung der Stöße hemmen. In Cumana z. B. wurden vor der großen Katastrophe im Jahre 1797 die Erd- beben nur längs der aus Kalk bestehenden Südküste des Meerbusens von Cariaco bis zur Stadt dieses Namens ge- spürt, während auf der Halbinsel Araya und im Dorfe Mani- quarez der Boden an denselben Bewegungen keinen Teil nahm. Die Bewohner dieser Nordküste, die aus Glimmerschieser be- steht, bauten ihre Hütten auf unerschütterlichem Boden; ein 5,8 bis 7,8 km breiter Meerbusen lag zwischen ihnen und einer durch die Erdbeben mit Trümmern bedeckten und ver- wüsteten Ebene. Mit dieser auf die Erfahrung von Jahr- hunderten gebauten Sicherheit ist es vorbei; mit dem 14. De- zember 1797 scheinen sich im Inneren der Erde neue Verbindungswege geöffnet zu haben. Jetzt empfindet man es in Araya nicht nur, wenn in Cumana der Boden bebt, das Vorgebirge aus Glimmerschiefer ist seinerseits zum Mittel- punkt von Bewegungen geworden. Bereits wird zuweilen
ſogar über das Becken des Ozeans fortpflanzen, deutlich dar- auf hinweiſt, daß der Mittelpunkt der Bewegung von der Erdoberfläche ſehr weit entfernt iſt. Ohne Zweifel aus dem- ſelben Grunde ſind die Erdbeben nicht an gewiſſe Gebirgs- arten gebunden, wie manche Phyſiker behaupten, ſondern alle ſind vielmehr gleich geeignet, die Bewegung fortzupflanzen. Um nicht den Kreis meiner eigenen Erfahrung zu überſchreiten, nenne ich nur die Granite von Lima und Acapulco, den Gneis von Caracas, den Glimmerſchiefer der Halbinſel Araya, den Urgebirgsſchiefer von Tepecuacuilco in Mexiko, die ſekundären Kalkſteine des Apennins, Spaniens und Neuandaluſiens, end- lich die Trappporphyre der Provinzen Quito und Popayan. An allen dieſen Orten wird der Boden häufig durch die heftigſten Stöße erſchüttert; aber zuweilen werden in der- ſelben Gebirgsart die obenauf gelagerten Schichten zu einem unüberwindlichen Hindernis für die Fortpflanzung der Be- wegung. So ſah man ſchon in den ſächſiſchen Erzgruben die Bergleute wegen Bebungen, die ſie empfunden, erſchrocken aus- fahren, während man an der Erdoberfläche nichts davon ge- ſpürt hatte.
Wenn nun auch in den weitentlegenſten Ländern die Ur- gebirge, die ſekundären und die vulkaniſchen Gebirgsarten an den krampfhaften Zuckungen des Erdballes in gleichem Maße teilnehmen, ſo läßt ſich doch nicht in Abrede ziehen, daß in einem nicht ſehr ausgedehnten Landſtrich gewiſſe Gebirgsarten die Fortpflanzung der Stöße hemmen. In Cumana z. B. wurden vor der großen Kataſtrophe im Jahre 1797 die Erd- beben nur längs der aus Kalk beſtehenden Südküſte des Meerbuſens von Cariaco bis zur Stadt dieſes Namens ge- ſpürt, während auf der Halbinſel Araya und im Dorfe Mani- quarez der Boden an denſelben Bewegungen keinen Teil nahm. Die Bewohner dieſer Nordküſte, die aus Glimmerſchieſer be- ſteht, bauten ihre Hütten auf unerſchütterlichem Boden; ein 5,8 bis 7,8 km breiter Meerbuſen lag zwiſchen ihnen und einer durch die Erdbeben mit Trümmern bedeckten und ver- wüſteten Ebene. Mit dieſer auf die Erfahrung von Jahr- hunderten gebauten Sicherheit iſt es vorbei; mit dem 14. De- zember 1797 ſcheinen ſich im Inneren der Erde neue Verbindungswege geöffnet zu haben. Jetzt empfindet man es in Araya nicht nur, wenn in Cumana der Boden bebt, das Vorgebirge aus Glimmerſchiefer iſt ſeinerſeits zum Mittel- punkt von Bewegungen geworden. Bereits wird zuweilen
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ſogar über das Becken des Ozeans fortpflanzen, deutlich dar-
auf hinweiſt, daß der Mittelpunkt der Bewegung von der
Erdoberfläche ſehr weit entfernt iſt. Ohne Zweifel aus dem-
ſelben Grunde ſind die Erdbeben nicht an gewiſſe Gebirgs-
arten gebunden, wie manche Phyſiker behaupten, ſondern alle
ſind vielmehr gleich geeignet, die Bewegung fortzupflanzen.
Um nicht den Kreis meiner eigenen Erfahrung zu überſchreiten,
nenne ich nur die Granite von Lima und Acapulco, den Gneis
von Caracas, den Glimmerſchiefer der Halbinſel Araya, den
Urgebirgsſchiefer von Tepecuacuilco in Mexiko, die ſekundären
Kalkſteine des Apennins, Spaniens und Neuandaluſiens, end-
lich die Trappporphyre der Provinzen Quito und Popayan.
An allen dieſen Orten wird der Boden häufig durch die
heftigſten Stöße erſchüttert; aber zuweilen werden in der-
ſelben Gebirgsart die obenauf gelagerten Schichten zu einem
unüberwindlichen Hindernis für die Fortpflanzung der Be-
wegung. So ſah man ſchon in den ſächſiſchen Erzgruben die
Bergleute wegen Bebungen, die ſie empfunden, erſchrocken aus-
fahren, während man an der Erdoberfläche nichts davon ge-
ſpürt hatte.
Wenn nun auch in den weitentlegenſten Ländern die Ur-
gebirge, die ſekundären und die vulkaniſchen Gebirgsarten an
den krampfhaften Zuckungen des Erdballes in gleichem Maße
teilnehmen, ſo läßt ſich doch nicht in Abrede ziehen, daß in
einem nicht ſehr ausgedehnten Landſtrich gewiſſe Gebirgsarten
die Fortpflanzung der Stöße hemmen. In Cumana z. B.
wurden vor der großen Kataſtrophe im Jahre 1797 die Erd-
beben nur längs der aus Kalk beſtehenden Südküſte des
Meerbuſens von Cariaco bis zur Stadt dieſes Namens ge-
ſpürt, während auf der Halbinſel Araya und im Dorfe Mani-
quarez der Boden an denſelben Bewegungen keinen Teil nahm.
Die Bewohner dieſer Nordküſte, die aus Glimmerſchieſer be-
ſteht, bauten ihre Hütten auf unerſchütterlichem Boden; ein
5,8 bis 7,8 km breiter Meerbuſen lag zwiſchen ihnen und
einer durch die Erdbeben mit Trümmern bedeckten und ver-
wüſteten Ebene. Mit dieſer auf die Erfahrung von Jahr-
hunderten gebauten Sicherheit iſt es vorbei; mit dem 14. De-
zember 1797 ſcheinen ſich im Inneren der Erde neue
Verbindungswege geöffnet zu haben. Jetzt empfindet man es
in Araya nicht nur, wenn in Cumana der Boden bebt, das
Vorgebirge aus Glimmerſchiefer iſt ſeinerſeits zum Mittel-
punkt von Bewegungen geworden. Bereits wird zuweilen
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/194>, abgerufen am 16.02.2025.
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