sich bilden, sich zusammenziehen und in fruchtbaren Regen- güssen sich entladen sieht. So zeigen denn an diesen Küsten, wie am Fuße der Anden, Himmel und Erde scharfe Gegen- sätze von Heiterkeit und Bewölkung, von Trockenheit und gewaltigen Wassergüssen, von völliger Kahlheit und ewig neu sprossendem Grün. Auf dem neuen Kontinent unterscheiden sich die Niederungen an der See von den Gebirgsländern im Inneren so scharf wie die Ebenen Unterägyptens von den hochgelegenen Plateaus Abessiniens.
Zu den Zügen, welche, wie oben angedeutet, der Küsten- strich von Neuandalusien und der von Peru gemein haben, kommt nun noch, daß die Erdbeben dort wie hier gleich häufig sind, und daß die Natur für diese Erscheinungen beidemal dieselben Grenzen einzuhalten scheint. Wir selbst haben in Cumana sehr starke Erdstöße gespürt, eben war man daran, die vor kurzem eingestürzten Gebäude wieder aufzurichten, und so hatten wir Gelegenheit, uns an Ort und Stelle über die Vorgänge bei der furchtbaren Katastrophe vom 14. Dezember 1797 genau zu erkundigen. Diese Angaben werden um so mehr Interesse haben, da die Erdbeben bisher weniger aus physischem und geologischem Gesichtspunkt, als vielmehr nur wegen ihrer schrecklichen Folgen für die Bevölkerung und für das allgemeine Wohl ins Auge gefaßt worden sind.
Es ist eine an der Küste von Cumana und auf der Insel Margarita sehr verbreitete Meinung, daß der Meerbusen von Cariaco sich infolge einer Zertrümmerung des Landes und eines gleichzeitigen Einbruches des Meeres gebildet habe. Die Erinnerung an diese gewaltige Umwälzung hatte sich unter den Indianern bis zum Ende des 15. Jahrhunderts erhalten, und wie erzählt wird, sprachen die Eingeborenen bei der dritten Reise des Christoph Kolumbus davon, wie von einem ziemlich neuen Ereignis. Im Jahre 1530 wurden die Be- wohner der Küsten von Paria und Cumana durch neue Erd- stöße erschreckt. Das Meer stürzte über das Land her, und das kleine Fort, das Jakob Castellon bei Neutoledo gebaut hatte, wurde gänzlich zerstört. Zugleich bildete sich eine un- geheure Spalte in den Bergen von Cariaco, am Ufer des Meerbusens dieses Namens, und eine gewaltige Masse Salz- wasser, mit Asphalt vermischt, sprang aus dem Glimmer- schiefer hervor. Am Ende des 16. Jahrhunderts waren die Erdbeben sehr häufig, und nach den Ueberlieferungen, die sich in Cumana erhalten haben, überschwemmte das Meer öfter
ſich bilden, ſich zuſammenziehen und in fruchtbaren Regen- güſſen ſich entladen ſieht. So zeigen denn an dieſen Küſten, wie am Fuße der Anden, Himmel und Erde ſcharfe Gegen- ſätze von Heiterkeit und Bewölkung, von Trockenheit und gewaltigen Waſſergüſſen, von völliger Kahlheit und ewig neu ſproſſendem Grün. Auf dem neuen Kontinent unterſcheiden ſich die Niederungen an der See von den Gebirgsländern im Inneren ſo ſcharf wie die Ebenen Unterägyptens von den hochgelegenen Plateaus Abeſſiniens.
Zu den Zügen, welche, wie oben angedeutet, der Küſten- ſtrich von Neuandaluſien und der von Peru gemein haben, kommt nun noch, daß die Erdbeben dort wie hier gleich häufig ſind, und daß die Natur für dieſe Erſcheinungen beidemal dieſelben Grenzen einzuhalten ſcheint. Wir ſelbſt haben in Cumana ſehr ſtarke Erdſtöße geſpürt, eben war man daran, die vor kurzem eingeſtürzten Gebäude wieder aufzurichten, und ſo hatten wir Gelegenheit, uns an Ort und Stelle über die Vorgänge bei der furchtbaren Kataſtrophe vom 14. Dezember 1797 genau zu erkundigen. Dieſe Angaben werden um ſo mehr Intereſſe haben, da die Erdbeben bisher weniger aus phyſiſchem und geologiſchem Geſichtspunkt, als vielmehr nur wegen ihrer ſchrecklichen Folgen für die Bevölkerung und für das allgemeine Wohl ins Auge gefaßt worden ſind.
Es iſt eine an der Küſte von Cumana und auf der Inſel Margarita ſehr verbreitete Meinung, daß der Meerbuſen von Cariaco ſich infolge einer Zertrümmerung des Landes und eines gleichzeitigen Einbruches des Meeres gebildet habe. Die Erinnerung an dieſe gewaltige Umwälzung hatte ſich unter den Indianern bis zum Ende des 15. Jahrhunderts erhalten, und wie erzählt wird, ſprachen die Eingeborenen bei der dritten Reiſe des Chriſtoph Kolumbus davon, wie von einem ziemlich neuen Ereignis. Im Jahre 1530 wurden die Be- wohner der Küſten von Paria und Cumana durch neue Erd- ſtöße erſchreckt. Das Meer ſtürzte über das Land her, und das kleine Fort, das Jakob Caſtellon bei Neutoledo gebaut hatte, wurde gänzlich zerſtört. Zugleich bildete ſich eine un- geheure Spalte in den Bergen von Cariaco, am Ufer des Meerbuſens dieſes Namens, und eine gewaltige Maſſe Salz- waſſer, mit Asphalt vermiſcht, ſprang aus dem Glimmer- ſchiefer hervor. Am Ende des 16. Jahrhunderts waren die Erdbeben ſehr häufig, und nach den Ueberlieferungen, die ſich in Cumana erhalten haben, überſchwemmte das Meer öfter
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wie am Fuße der Anden, Himmel und Erde ſcharfe Gegen-
ſätze von Heiterkeit und Bewölkung, von Trockenheit und
gewaltigen Waſſergüſſen, von völliger Kahlheit und ewig neu
ſproſſendem Grün. Auf dem neuen Kontinent unterſcheiden
ſich die Niederungen an der See von den Gebirgsländern im
Inneren ſo ſcharf wie die Ebenen Unterägyptens von den
hochgelegenen Plateaus Abeſſiniens.
Zu den Zügen, welche, wie oben angedeutet, der Küſten-
ſtrich von Neuandaluſien und der von Peru gemein haben,
kommt nun noch, daß die Erdbeben dort wie hier gleich häufig
ſind, und daß die Natur für dieſe Erſcheinungen beidemal
dieſelben Grenzen einzuhalten ſcheint. Wir ſelbſt haben in
Cumana ſehr ſtarke Erdſtöße geſpürt, eben war man daran,
die vor kurzem eingeſtürzten Gebäude wieder aufzurichten, und
ſo hatten wir Gelegenheit, uns an Ort und Stelle über die
Vorgänge bei der furchtbaren Kataſtrophe vom 14. Dezember
1797 genau zu erkundigen. Dieſe Angaben werden um ſo
mehr Intereſſe haben, da die Erdbeben bisher weniger aus
phyſiſchem und geologiſchem Geſichtspunkt, als vielmehr nur
wegen ihrer ſchrecklichen Folgen für die Bevölkerung und für
das allgemeine Wohl ins Auge gefaßt worden ſind.
Es iſt eine an der Küſte von Cumana und auf der Inſel
Margarita ſehr verbreitete Meinung, daß der Meerbuſen von
Cariaco ſich infolge einer Zertrümmerung des Landes und
eines gleichzeitigen Einbruches des Meeres gebildet habe. Die
Erinnerung an dieſe gewaltige Umwälzung hatte ſich unter
den Indianern bis zum Ende des 15. Jahrhunderts erhalten,
und wie erzählt wird, ſprachen die Eingeborenen bei der
dritten Reiſe des Chriſtoph Kolumbus davon, wie von einem
ziemlich neuen Ereignis. Im Jahre 1530 wurden die Be-
wohner der Küſten von Paria und Cumana durch neue Erd-
ſtöße erſchreckt. Das Meer ſtürzte über das Land her, und
das kleine Fort, das Jakob Caſtellon bei Neutoledo gebaut
hatte, wurde gänzlich zerſtört. Zugleich bildete ſich eine un-
geheure Spalte in den Bergen von Cariaco, am Ufer des
Meerbuſens dieſes Namens, und eine gewaltige Maſſe Salz-
waſſer, mit Asphalt vermiſcht, ſprang aus dem Glimmer-
ſchiefer hervor. Am Ende des 16. Jahrhunderts waren die
Erdbeben ſehr häufig, und nach den Ueberlieferungen, die ſich
in Cumana erhalten haben, überſchwemmte das Meer öfter
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/186>, abgerufen am 16.02.2025.
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