Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.Ich habe die Lage von Cumana etwas ausführlich be- Die Stadt liegt am Fuße eines kahlen Hügels und wird Ich habe die Lage von Cumana etwas ausführlich be- Die Stadt liegt am Fuße eines kahlen Hügels und wird <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0185" n="169"/> <p>Ich habe die Lage von Cumana etwas ausführlich be-<lb/> ſchrieben, weil es mir wichtig ſchien, eine Gegend kennen zu<lb/> lernen, die ſeit Jahrhunderten der Herd der furchtbarſten<lb/> Erdbeben war. Ehe wir von dieſen außerordentlichen Er-<lb/> ſcheinungen ſprechen, erſcheint es als zweckmäßig, die ver-<lb/> ſchiedenen Züge des von mir entworfenen Naturbildes zu-<lb/> ſammenzufaſſen.</p><lb/> <p>Die Stadt liegt am Fuße eines kahlen Hügels und wird<lb/> von einem Schloſſe beherrſcht. Kein Glockenturm, keine Kuppel<lb/> fällt von weitem dem Reiſenden ins Auge, nur einige Tama-<lb/> rinden-, Kokosnuß- und Dattelſtämme erheben ſich über die<lb/> Häuſer mit platten Dächern. Die Ebene ringsum, beſonders<lb/> dem Meere zu, iſt trübſelig, ſtaubig und dürr, wogegen ein<lb/> friſcher, kräftiger Pflanzenwuchs von weitem den geſchlängelten<lb/> Lauf des Fluſſes bezeichnet, der die Stadt von den Vorſtädten,<lb/> die Bevölkerung von europäiſcher und gemiſchter Abkunft von<lb/> den kupferfarbigen Eingeborenen trennt. Der freiſtehende,<lb/> kahle, weiße Schloßberg San Antonio wirft zugleich eine<lb/> große Maſſe Licht und ſtrahlender Wärme zurück; er beſteht<lb/> aus Breccien, deren Schichten verſteinerte Seetiere einſchließen.<lb/> In weiter Ferne gegen Süden ſtreicht dunkel ein mächtiger<lb/> Gebirgszug hin. Dies ſind die hohen Kalkalpen von Neu-<lb/> andaluſien, wo dem Kalk Sandſteine und andere neuere Bil-<lb/> dungen aufgelagert ſind. Majeſtätiſche Wälder bedecken dieſe<lb/> Kordillere im inneren Lande und hängen durch ein bewaldetes<lb/> Thal mit dem nackten, thonigen und ſalzhaltigen Boden<lb/> zuſammen, auf dem Cumana liegt. Einige Vögel von bedeu-<lb/> tender Größe tragen zur eigentümlichen Phyſiognomie des<lb/> Landes bei. Am Geſtade und am Meerbuſen ſieht man<lb/> Scharen von Fiſchreihern und Alcatras, ſehr plumpen Vögeln,<lb/> die gleich den Schwänen mit gehobenen Flügeln über das<lb/> Waſſer gleiten. Näher bei den Wohnſtätten der Menſchen<lb/> ſind Tauſende von Galinazogeiern, wahre Schakale unter dem<lb/> Gefieder, raſtlos beſchäftigt, tote Tiere zu ſuchen. Ein Meer-<lb/> buſen, auf deſſen Grunde heiße Quellen vorkommen, trennt<lb/> die ſekundären Gebirgsbildungen vom primitiven Schiefer-<lb/> gebirge der Halbinſel Araya. Beide Küſten werden von einem<lb/> ruhigen, blauen, beſtändig vom ſelben Winde leicht bewegten<lb/> Meere beſpült. Ein reiner, trockener Himmel, an dem nur<lb/> bei Sonnenuntergang leichtes Gewölk aufzieht, ruht auf der<lb/> See, auf der baumloſen Halbinſel und der Ebene von Cumana,<lb/> während man zwiſchen den Berggipfeln im Inneren Gewitter<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [169/0185]
Ich habe die Lage von Cumana etwas ausführlich be-
ſchrieben, weil es mir wichtig ſchien, eine Gegend kennen zu
lernen, die ſeit Jahrhunderten der Herd der furchtbarſten
Erdbeben war. Ehe wir von dieſen außerordentlichen Er-
ſcheinungen ſprechen, erſcheint es als zweckmäßig, die ver-
ſchiedenen Züge des von mir entworfenen Naturbildes zu-
ſammenzufaſſen.
Die Stadt liegt am Fuße eines kahlen Hügels und wird
von einem Schloſſe beherrſcht. Kein Glockenturm, keine Kuppel
fällt von weitem dem Reiſenden ins Auge, nur einige Tama-
rinden-, Kokosnuß- und Dattelſtämme erheben ſich über die
Häuſer mit platten Dächern. Die Ebene ringsum, beſonders
dem Meere zu, iſt trübſelig, ſtaubig und dürr, wogegen ein
friſcher, kräftiger Pflanzenwuchs von weitem den geſchlängelten
Lauf des Fluſſes bezeichnet, der die Stadt von den Vorſtädten,
die Bevölkerung von europäiſcher und gemiſchter Abkunft von
den kupferfarbigen Eingeborenen trennt. Der freiſtehende,
kahle, weiße Schloßberg San Antonio wirft zugleich eine
große Maſſe Licht und ſtrahlender Wärme zurück; er beſteht
aus Breccien, deren Schichten verſteinerte Seetiere einſchließen.
In weiter Ferne gegen Süden ſtreicht dunkel ein mächtiger
Gebirgszug hin. Dies ſind die hohen Kalkalpen von Neu-
andaluſien, wo dem Kalk Sandſteine und andere neuere Bil-
dungen aufgelagert ſind. Majeſtätiſche Wälder bedecken dieſe
Kordillere im inneren Lande und hängen durch ein bewaldetes
Thal mit dem nackten, thonigen und ſalzhaltigen Boden
zuſammen, auf dem Cumana liegt. Einige Vögel von bedeu-
tender Größe tragen zur eigentümlichen Phyſiognomie des
Landes bei. Am Geſtade und am Meerbuſen ſieht man
Scharen von Fiſchreihern und Alcatras, ſehr plumpen Vögeln,
die gleich den Schwänen mit gehobenen Flügeln über das
Waſſer gleiten. Näher bei den Wohnſtätten der Menſchen
ſind Tauſende von Galinazogeiern, wahre Schakale unter dem
Gefieder, raſtlos beſchäftigt, tote Tiere zu ſuchen. Ein Meer-
buſen, auf deſſen Grunde heiße Quellen vorkommen, trennt
die ſekundären Gebirgsbildungen vom primitiven Schiefer-
gebirge der Halbinſel Araya. Beide Küſten werden von einem
ruhigen, blauen, beſtändig vom ſelben Winde leicht bewegten
Meere beſpült. Ein reiner, trockener Himmel, an dem nur
bei Sonnenuntergang leichtes Gewölk aufzieht, ruht auf der
See, auf der baumloſen Halbinſel und der Ebene von Cumana,
während man zwiſchen den Berggipfeln im Inneren Gewitter
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