In diesem Striche angelangt, sahen wir die hohen Berge von Kap Macanao im Westen der Insel Margarita majestätisch am Horizont aufsteigen. Nach den Höhenwinkeln, die wir in 81 km Entfernung nahmen, mögen diese Gipfel 970 bis 1170 m absolute Höhe haben. Nach Louis Berthouds Chro- nometer liegt Kap Macanao unter 66° 47' 5" Länge. Ich nahm die Felsen am Ende des Vorgebirges auf, nicht die sehr niedrige Landzunge, die nach West fortstreicht und sich in eine Untiefe verliert. Die Länge, die ich für Macanao gefunden, und die, welche ich oben für die Ostspitze der Insel Coche angegeben, weichen von Fidalgos Beobachtungen nur um 4 Zeitsekunden ab.
Der Wind war sehr schwach; der Kapitän hielt es für ratsamer, bis zu Tagesanbruch zu lavieren. Er scheute sich, bei Nacht in den Hafen von Cumana einzulaufen, und ein unglücklicher Zufall, der vor kurzem eben hier vorgekommen war, schien diese Vorsicht zu gebieten. Ein Paketboot hatte Anker geworfen, ohne die Laternen auf dem Hinterteil anzu- zünden; man hielt es für ein feindliches Fahrzeug und die Batterien von Cumana gaben Feuer darauf. Dem Kapitän des Postschiffes wurde ein Bein weggerissen und er starb wenige Tage darauf in Cumana.
Wir brachten die Nacht zum Teil auf dem Verdeck zu. Der indianische Lotse unterhielt uns von den Tieren und Gewächsen seines Landes. Wir hörten zu unserer großen Freude, wenige Meilen von der Küste sei ein gebirgiger, von Spaniern bewohnter Landstrich, wo empfindliche Kälte herrsche, und auf den Ebenen kommen zwei sehr verschiedene Krokodile 1 vor, ferner Boa, elektrische Aale 2 und mehrere Tigerarten. Obgleich die Worte Bava, Cachicamo und Temblador uns ganz unbekannt waren, ließ uns die naive Beschreibung der Gestalt und der Sitten der Tiere doch alsbald die Arten erkennen, welche die Kreolen so benennen. Wir dachten nicht daran, daß diese Tiere über ungeheure Landstriche zerstreut sind und hofften, sie gleich in den Wäldern bei Cumana beobachten zu können. Nichts reizt die Neugierde des Natur- kundigen mehr als der Bericht von den Wundern eines Landes, das er betreten soll.
Am 16. Juli 1799, bei Tagesanbruch, lag eine grüne,
1Crocodilus acutus und C. Bava.
2Gymnotus electricus, Temblador.
In dieſem Striche angelangt, ſahen wir die hohen Berge von Kap Macanao im Weſten der Inſel Margarita majeſtätiſch am Horizont aufſteigen. Nach den Höhenwinkeln, die wir in 81 km Entfernung nahmen, mögen dieſe Gipfel 970 bis 1170 m abſolute Höhe haben. Nach Louis Berthouds Chro- nometer liegt Kap Macanao unter 66° 47′ 5″ Länge. Ich nahm die Felſen am Ende des Vorgebirges auf, nicht die ſehr niedrige Landzunge, die nach Weſt fortſtreicht und ſich in eine Untiefe verliert. Die Länge, die ich für Macanao gefunden, und die, welche ich oben für die Oſtſpitze der Inſel Coche angegeben, weichen von Fidalgos Beobachtungen nur um 4 Zeitſekunden ab.
Der Wind war ſehr ſchwach; der Kapitän hielt es für ratſamer, bis zu Tagesanbruch zu lavieren. Er ſcheute ſich, bei Nacht in den Hafen von Cumana einzulaufen, und ein unglücklicher Zufall, der vor kurzem eben hier vorgekommen war, ſchien dieſe Vorſicht zu gebieten. Ein Paketboot hatte Anker geworfen, ohne die Laternen auf dem Hinterteil anzu- zünden; man hielt es für ein feindliches Fahrzeug und die Batterien von Cumana gaben Feuer darauf. Dem Kapitän des Poſtſchiffes wurde ein Bein weggeriſſen und er ſtarb wenige Tage darauf in Cumana.
Wir brachten die Nacht zum Teil auf dem Verdeck zu. Der indianiſche Lotſe unterhielt uns von den Tieren und Gewächſen ſeines Landes. Wir hörten zu unſerer großen Freude, wenige Meilen von der Küſte ſei ein gebirgiger, von Spaniern bewohnter Landſtrich, wo empfindliche Kälte herrſche, und auf den Ebenen kommen zwei ſehr verſchiedene Krokodile 1 vor, ferner Boa, elektriſche Aale 2 und mehrere Tigerarten. Obgleich die Worte Bava, Cachicamo und Temblador uns ganz unbekannt waren, ließ uns die naive Beſchreibung der Geſtalt und der Sitten der Tiere doch alsbald die Arten erkennen, welche die Kreolen ſo benennen. Wir dachten nicht daran, daß dieſe Tiere über ungeheure Landſtriche zerſtreut ſind und hofften, ſie gleich in den Wäldern bei Cumana beobachten zu können. Nichts reizt die Neugierde des Natur- kundigen mehr als der Bericht von den Wundern eines Landes, das er betreten ſoll.
Am 16. Juli 1799, bei Tagesanbruch, lag eine grüne,
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In dieſem Striche angelangt, ſahen wir die hohen Berge
von Kap Macanao im Weſten der Inſel Margarita majeſtätiſch
am Horizont aufſteigen. Nach den Höhenwinkeln, die wir in
81 km Entfernung nahmen, mögen dieſe Gipfel 970 bis
1170 m abſolute Höhe haben. Nach Louis Berthouds Chro-
nometer liegt Kap Macanao unter 66° 47′ 5″ Länge. Ich
nahm die Felſen am Ende des Vorgebirges auf, nicht die
ſehr niedrige Landzunge, die nach Weſt fortſtreicht und ſich
in eine Untiefe verliert. Die Länge, die ich für Macanao
gefunden, und die, welche ich oben für die Oſtſpitze der Inſel
Coche angegeben, weichen von Fidalgos Beobachtungen nur
um 4 Zeitſekunden ab.
Der Wind war ſehr ſchwach; der Kapitän hielt es für
ratſamer, bis zu Tagesanbruch zu lavieren. Er ſcheute ſich,
bei Nacht in den Hafen von Cumana einzulaufen, und ein
unglücklicher Zufall, der vor kurzem eben hier vorgekommen
war, ſchien dieſe Vorſicht zu gebieten. Ein Paketboot hatte
Anker geworfen, ohne die Laternen auf dem Hinterteil anzu-
zünden; man hielt es für ein feindliches Fahrzeug und die
Batterien von Cumana gaben Feuer darauf. Dem Kapitän
des Poſtſchiffes wurde ein Bein weggeriſſen und er ſtarb
wenige Tage darauf in Cumana.
Wir brachten die Nacht zum Teil auf dem Verdeck zu.
Der indianiſche Lotſe unterhielt uns von den Tieren und
Gewächſen ſeines Landes. Wir hörten zu unſerer großen
Freude, wenige Meilen von der Küſte ſei ein gebirgiger, von
Spaniern bewohnter Landſtrich, wo empfindliche Kälte herrſche,
und auf den Ebenen kommen zwei ſehr verſchiedene Krokodile 1
vor, ferner Boa, elektriſche Aale 2 und mehrere Tigerarten.
Obgleich die Worte Bava, Cachicamo und Temblador
uns ganz unbekannt waren, ließ uns die naive Beſchreibung
der Geſtalt und der Sitten der Tiere doch alsbald die Arten
erkennen, welche die Kreolen ſo benennen. Wir dachten nicht
daran, daß dieſe Tiere über ungeheure Landſtriche zerſtreut
ſind und hofften, ſie gleich in den Wäldern bei Cumana
beobachten zu können. Nichts reizt die Neugierde des Natur-
kundigen mehr als der Bericht von den Wundern eines Landes,
das er betreten ſoll.
Am 16. Juli 1799, bei Tagesanbruch, lag eine grüne,
1 Crocodilus acutus und C. Bava.
2 Gymnotus electricus, Temblador.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/168>, abgerufen am 22.07.2024.
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