zwischen 22 und 23°, bei Tage zwischen 24 und 27°. Die Kongestionen gegen den Kopf, die ausnehmende Trockenheit der Haut, das Daniederliegen der Kräfte, alle Symptome wurden immer bedenklicher; wir waren aber so ziemlich am Ziele unserer Fahrt, und so hofften wir alle Kranke genesen zu sehen, wenn man sie an der Insel Margarita oder im Hafen von Cumana, die für sehr gesund gelten, ans Land bringen könnte.
Diese Hoffnung ging nicht ganz in Erfüllung. Der jüngste Passagier bekam das bösartige Fieber und unterlag ihm, blieb aber zum Glück das einzige Opfer. Es war ein junger Asturier von 19 Jahren, der einzige Sohn einer armen Witwe. Mehrere Umstände machten den Tod des jungen Mannes, aus dessen Gesicht viel Gefühl und große Gutmütig- keit sprachen, ergreifend für uns. Er war mit Widerstreben zu Schiffe gegangen; er hatte seine Mutter durch den Ertrag seiner Arbeit unterstützen wollen, aber diese hatte ihre Liebe und den eigenen Vorteil dem Gedanken zum Opfer gebracht, daß ihr Sohn, wenn er in die Kolonieen ginge, bei einem reichen Verwandten, der auf Cuba lebte, sein Glück machen könnte. Der unglückliche junge Mann verfiel rasch in Be- täubung, redete dazwischen irre und starb am dritten Tage der Krankheit. Das gelbe Fieber oder schwarze Erbrechen rafft in Veracruz nicht leicht die Kranken so furchtbar schnell dahin. Ein anderer, noch jüngerer Asturier wich keinen Augen- blick vom Bette des Kranken und bekam, was ziemlich auf- fallend ist, die Krankheit nicht. Er wollte mit seinem Lands- mann nach San Jago de Cuba gehen und sich dort von ihm im Hause des Verwandten einführen lassen, auf den sie ihre ganze Hoffnung gesetzt hatten. Es war herzzerreißend, wie der, welcher den Freund überlebte, sich seinem tiefen Schmerze überließ und die unseligen Ratschläge verwünschte, die ihn in ein fernes Land getrieben, wo er nun allein und verlassen dastand.
Wir standen beisammen auf dem Verdeck in trüben Ge- danken. Es war kein Zweifel mehr, das Fieber, das an Bord herrschte, hatte seit einigen Tagen einen bösartigen Charakter angenommen. Unsere Blicke hingen an einer ge- birgigen, wüsten Küste, auf die zuweilen ein Mondstrahl durch die Wolken fiel. Die leise bewegte See leuchtete in schwachem phosphorischem Schein; man hörte nichts als das eintönige Geschrei einiger großen Seevögel, die das Land zu suchen
zwiſchen 22 und 23°, bei Tage zwiſchen 24 und 27°. Die Kongeſtionen gegen den Kopf, die ausnehmende Trockenheit der Haut, das Daniederliegen der Kräfte, alle Symptome wurden immer bedenklicher; wir waren aber ſo ziemlich am Ziele unſerer Fahrt, und ſo hofften wir alle Kranke geneſen zu ſehen, wenn man ſie an der Inſel Margarita oder im Hafen von Cumana, die für ſehr geſund gelten, ans Land bringen könnte.
Dieſe Hoffnung ging nicht ganz in Erfüllung. Der jüngſte Paſſagier bekam das bösartige Fieber und unterlag ihm, blieb aber zum Glück das einzige Opfer. Es war ein junger Aſturier von 19 Jahren, der einzige Sohn einer armen Witwe. Mehrere Umſtände machten den Tod des jungen Mannes, aus deſſen Geſicht viel Gefühl und große Gutmütig- keit ſprachen, ergreifend für uns. Er war mit Widerſtreben zu Schiffe gegangen; er hatte ſeine Mutter durch den Ertrag ſeiner Arbeit unterſtützen wollen, aber dieſe hatte ihre Liebe und den eigenen Vorteil dem Gedanken zum Opfer gebracht, daß ihr Sohn, wenn er in die Kolonieen ginge, bei einem reichen Verwandten, der auf Cuba lebte, ſein Glück machen könnte. Der unglückliche junge Mann verfiel raſch in Be- täubung, redete dazwiſchen irre und ſtarb am dritten Tage der Krankheit. Das gelbe Fieber oder ſchwarze Erbrechen rafft in Veracruz nicht leicht die Kranken ſo furchtbar ſchnell dahin. Ein anderer, noch jüngerer Aſturier wich keinen Augen- blick vom Bette des Kranken und bekam, was ziemlich auf- fallend iſt, die Krankheit nicht. Er wollte mit ſeinem Lands- mann nach San Jago de Cuba gehen und ſich dort von ihm im Hauſe des Verwandten einführen laſſen, auf den ſie ihre ganze Hoffnung geſetzt hatten. Es war herzzerreißend, wie der, welcher den Freund überlebte, ſich ſeinem tiefen Schmerze überließ und die unſeligen Ratſchläge verwünſchte, die ihn in ein fernes Land getrieben, wo er nun allein und verlaſſen daſtand.
Wir ſtanden beiſammen auf dem Verdeck in trüben Ge- danken. Es war kein Zweifel mehr, das Fieber, das an Bord herrſchte, hatte ſeit einigen Tagen einen bösartigen Charakter angenommen. Unſere Blicke hingen an einer ge- birgigen, wüſten Küſte, auf die zuweilen ein Mondſtrahl durch die Wolken fiel. Die leiſe bewegte See leuchtete in ſchwachem phosphoriſchem Schein; man hörte nichts als das eintönige Geſchrei einiger großen Seevögel, die das Land zu ſuchen
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zwiſchen 22 und 23°, bei Tage zwiſchen 24 und 27°. Die
Kongeſtionen gegen den Kopf, die ausnehmende Trockenheit
der Haut, das Daniederliegen der Kräfte, alle Symptome
wurden immer bedenklicher; wir waren aber ſo ziemlich am
Ziele unſerer Fahrt, und ſo hofften wir alle Kranke geneſen
zu ſehen, wenn man ſie an der Inſel Margarita oder im
Hafen von Cumana, die für ſehr geſund gelten, ans Land
bringen könnte.
Dieſe Hoffnung ging nicht ganz in Erfüllung. Der
jüngſte Paſſagier bekam das bösartige Fieber und unterlag
ihm, blieb aber zum Glück das einzige Opfer. Es war ein
junger Aſturier von 19 Jahren, der einzige Sohn einer armen
Witwe. Mehrere Umſtände machten den Tod des jungen
Mannes, aus deſſen Geſicht viel Gefühl und große Gutmütig-
keit ſprachen, ergreifend für uns. Er war mit Widerſtreben
zu Schiffe gegangen; er hatte ſeine Mutter durch den Ertrag
ſeiner Arbeit unterſtützen wollen, aber dieſe hatte ihre Liebe
und den eigenen Vorteil dem Gedanken zum Opfer gebracht,
daß ihr Sohn, wenn er in die Kolonieen ginge, bei einem
reichen Verwandten, der auf Cuba lebte, ſein Glück machen
könnte. Der unglückliche junge Mann verfiel raſch in Be-
täubung, redete dazwiſchen irre und ſtarb am dritten Tage
der Krankheit. Das gelbe Fieber oder ſchwarze Erbrechen
rafft in Veracruz nicht leicht die Kranken ſo furchtbar ſchnell
dahin. Ein anderer, noch jüngerer Aſturier wich keinen Augen-
blick vom Bette des Kranken und bekam, was ziemlich auf-
fallend iſt, die Krankheit nicht. Er wollte mit ſeinem Lands-
mann nach San Jago de Cuba gehen und ſich dort von ihm
im Hauſe des Verwandten einführen laſſen, auf den ſie ihre
ganze Hoffnung geſetzt hatten. Es war herzzerreißend, wie
der, welcher den Freund überlebte, ſich ſeinem tiefen Schmerze
überließ und die unſeligen Ratſchläge verwünſchte, die ihn in
ein fernes Land getrieben, wo er nun allein und verlaſſen
daſtand.
Wir ſtanden beiſammen auf dem Verdeck in trüben Ge-
danken. Es war kein Zweifel mehr, das Fieber, das an
Bord herrſchte, hatte ſeit einigen Tagen einen bösartigen
Charakter angenommen. Unſere Blicke hingen an einer ge-
birgigen, wüſten Küſte, auf die zuweilen ein Mondſtrahl durch
die Wolken fiel. Die leiſe bewegte See leuchtete in ſchwachem
phosphoriſchem Schein; man hörte nichts als das eintönige
Geſchrei einiger großen Seevögel, die das Land zu ſuchen
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/160>, abgerufen am 29.06.2024.
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