genommen, scheinen indessen die höchsten Gipfel an der Küste nicht über 270 bis 290 m hoch zu sein. Am südlichen Vor- gebirge senkt sich das Land und läuft in die "Sandspitze" aus, die nach meiner Rechnung unter 10° 20' 13" der Breite und 62° 47' 30" der Länge liegt. Wir sahen mehrere Felsen über dem Wasserspiegel, an denen sich die See mit Ungestüm brach, und beobachteten große Regelmäßigkeit in der Neigung und dem Streichen der Schichten, die unter einem Winkel von 60° nach Südost fallen. Es wäre zu wünschen, daß ein geübter Mineralog die Großen und Kleinen Antillen von der Küste von Paria bis zum Vorgebirge von Florida bereiste und die ehemalige, durch Strömungen, Erderschütterungen und Vulkane auseinander gerissene Bergkette untersuchte.
Wir waren eben um das Nordkap von Tabago und die kleine Insel St. Giles gelaufen, als man vom Mastkorb ein feindliches Geschwader signalisierte. Wir wendeten sogleich und die Passagiere wurden unruhig, da mehrere ihr kleines Vermögen in Waren gesteckt hatten, die sie in den spanischen Kolonieen zu verwerten gedachten. Das Geschwader schien sich nicht zu rühren, und es zeigte sich bald, daß man eine Menge einzelner Klippen für Segel angesehen hatte.
Wir fuhren über die Untiefe zwischen Tabago und La Granada. Die Farbe der See war nicht merkbar verändert, aber ein paar Zoll unter der Oberfläche zeigte der Thermo- meter nur 23°, während er ostwärts auf hoher See unter derselben Breite und gleichfalls an der Meeresfläche auf 25,6° stand. Trotz der Strömung zeigte die geringere Temperatur des Wassers die Untiefe an, die nur auf wenigen Karten an- gegeben ist. Nach Sonnenuntergang wurde der Wind schwächer, und je näher der Mond zum Zenith rückte, desto mehr klärte sich der Himmel auf. In dieser und in den folgenden Nächten fielen sehr viele Sternschnuppen; gegen Nord zeigten sie sich nicht so häufig als gegen Süd, über Terra Firma, an deren Küste wir jetzt hinzufahren anfingen. Diese Verteilung weist darauf hin, daß diese Meteore, über deren Wesen wir noch so sehr im unklaren sind, zum Teil von örtlichen Ursachen ab- hängig sein mögen.
Am 14. bei Sonnenaufgang kam die Boca de Dragon in Sicht. Wir konnten die Insel Chacachacarreo sehen, das westlichste der Eilande zwischen dem Vorgebirge Paria und dem nordwestlichen Vorgebirge von Trinidad. An 22 km von der Küste, bei der Punta de la Baca, wurden wir gewahr,
genommen, ſcheinen indeſſen die höchſten Gipfel an der Küſte nicht über 270 bis 290 m hoch zu ſein. Am ſüdlichen Vor- gebirge ſenkt ſich das Land und läuft in die „Sandſpitze“ aus, die nach meiner Rechnung unter 10° 20′ 13″ der Breite und 62° 47′ 30″ der Länge liegt. Wir ſahen mehrere Felſen über dem Waſſerſpiegel, an denen ſich die See mit Ungeſtüm brach, und beobachteten große Regelmäßigkeit in der Neigung und dem Streichen der Schichten, die unter einem Winkel von 60° nach Südoſt fallen. Es wäre zu wünſchen, daß ein geübter Mineralog die Großen und Kleinen Antillen von der Küſte von Paria bis zum Vorgebirge von Florida bereiſte und die ehemalige, durch Strömungen, Erderſchütterungen und Vulkane auseinander geriſſene Bergkette unterſuchte.
Wir waren eben um das Nordkap von Tabago und die kleine Inſel St. Giles gelaufen, als man vom Maſtkorb ein feindliches Geſchwader ſignaliſierte. Wir wendeten ſogleich und die Paſſagiere wurden unruhig, da mehrere ihr kleines Vermögen in Waren geſteckt hatten, die ſie in den ſpaniſchen Kolonieen zu verwerten gedachten. Das Geſchwader ſchien ſich nicht zu rühren, und es zeigte ſich bald, daß man eine Menge einzelner Klippen für Segel angeſehen hatte.
Wir fuhren über die Untiefe zwiſchen Tabago und La Granada. Die Farbe der See war nicht merkbar verändert, aber ein paar Zoll unter der Oberfläche zeigte der Thermo- meter nur 23°, während er oſtwärts auf hoher See unter derſelben Breite und gleichfalls an der Meeresfläche auf 25,6° ſtand. Trotz der Strömung zeigte die geringere Temperatur des Waſſers die Untiefe an, die nur auf wenigen Karten an- gegeben iſt. Nach Sonnenuntergang wurde der Wind ſchwächer, und je näher der Mond zum Zenith rückte, deſto mehr klärte ſich der Himmel auf. In dieſer und in den folgenden Nächten fielen ſehr viele Sternſchnuppen; gegen Nord zeigten ſie ſich nicht ſo häufig als gegen Süd, über Terra Firma, an deren Küſte wir jetzt hinzufahren anfingen. Dieſe Verteilung weiſt darauf hin, daß dieſe Meteore, über deren Weſen wir noch ſo ſehr im unklaren ſind, zum Teil von örtlichen Urſachen ab- hängig ſein mögen.
Am 14. bei Sonnenaufgang kam die Boca de Dragon in Sicht. Wir konnten die Inſel Chacachacarreo ſehen, das weſtlichſte der Eilande zwiſchen dem Vorgebirge Paria und dem nordweſtlichen Vorgebirge von Trinidad. An 22 km von der Küſte, bei der Punta de la Baca, wurden wir gewahr,
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genommen, ſcheinen indeſſen die höchſten Gipfel an der Küſte
nicht über 270 bis 290 m hoch zu ſein. Am ſüdlichen Vor-
gebirge ſenkt ſich das Land und läuft in die „Sandſpitze“
aus, die nach meiner Rechnung unter 10° 20′ 13″ der Breite
und 62° 47′ 30″ der Länge liegt. Wir ſahen mehrere Felſen
über dem Waſſerſpiegel, an denen ſich die See mit Ungeſtüm
brach, und beobachteten große Regelmäßigkeit in der Neigung
und dem Streichen der Schichten, die unter einem Winkel
von 60° nach Südoſt fallen. Es wäre zu wünſchen, daß ein
geübter Mineralog die Großen und Kleinen Antillen von der
Küſte von Paria bis zum Vorgebirge von Florida bereiſte
und die ehemalige, durch Strömungen, Erderſchütterungen und
Vulkane auseinander geriſſene Bergkette unterſuchte.
Wir waren eben um das Nordkap von Tabago und die
kleine Inſel St. Giles gelaufen, als man vom Maſtkorb ein
feindliches Geſchwader ſignaliſierte. Wir wendeten ſogleich
und die Paſſagiere wurden unruhig, da mehrere ihr kleines
Vermögen in Waren geſteckt hatten, die ſie in den ſpaniſchen
Kolonieen zu verwerten gedachten. Das Geſchwader ſchien ſich
nicht zu rühren, und es zeigte ſich bald, daß man eine Menge
einzelner Klippen für Segel angeſehen hatte.
Wir fuhren über die Untiefe zwiſchen Tabago und La
Granada. Die Farbe der See war nicht merkbar verändert,
aber ein paar Zoll unter der Oberfläche zeigte der Thermo-
meter nur 23°, während er oſtwärts auf hoher See unter
derſelben Breite und gleichfalls an der Meeresfläche auf 25,6°
ſtand. Trotz der Strömung zeigte die geringere Temperatur
des Waſſers die Untiefe an, die nur auf wenigen Karten an-
gegeben iſt. Nach Sonnenuntergang wurde der Wind ſchwächer,
und je näher der Mond zum Zenith rückte, deſto mehr klärte
ſich der Himmel auf. In dieſer und in den folgenden Nächten
fielen ſehr viele Sternſchnuppen; gegen Nord zeigten ſie ſich
nicht ſo häufig als gegen Süd, über Terra Firma, an deren
Küſte wir jetzt hinzufahren anfingen. Dieſe Verteilung weiſt
darauf hin, daß dieſe Meteore, über deren Weſen wir noch
ſo ſehr im unklaren ſind, zum Teil von örtlichen Urſachen ab-
hängig ſein mögen.
Am 14. bei Sonnenaufgang kam die Boca de Dragon
in Sicht. Wir konnten die Inſel Chacachacarreo ſehen, das
weſtlichſte der Eilande zwiſchen dem Vorgebirge Paria und
dem nordweſtlichen Vorgebirge von Trinidad. An 22 km von
der Küſte, bei der Punta de la Baca, wurden wir gewahr,
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/158>, abgerufen am 16.02.2025.
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