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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Vorrede, die eine seiner letzten Arbeiten, vielleicht die letzte war,
so daß er mit einer lebhaften Erinnerung an die ersten schönen
Zeiten seiner außerordentlichen Laufbahn aus dem Leben schied.

Das Buch ist reich an allem, was die Einbildungskraft
fesseln und ergötzen kann, an vortrefflichen Schilderungen
tropischer Landschaften wie einzelner Gewächse dieser wunder-
vollen Länder, an den belebtesten Auftritten aus dem Tier-
leben, an den scharfsinnigsten Beobachtungen über die geistigen
und geselligen Verhältnisse der Rassen, welche in Südamerika
neben- und durcheinander wohnen. Erst durch Humboldt ist
das eigentliche Wesen des eingeborenen Amerikaners nach
Körper und Seele den Europäern bekannt geworden, und die
Beschreibung ihrer Körperbildung, ihres Charakters, ihrer
Sprachen und Gebräuche, die Würdigung ihrer Tugenden
und ihrer Laster ist in die ganze Reisebeschreibung mit großer
Kunst eingeflochten. Humboldt wird ja gerade dadurch zu
einer so eigentümlichen und außerordentlichen Erscheinung,
daß sich in ihm mit der Schärfe und Unbestechlichkeit der
Urteilskraft eine so bedeutende künstlerische Begabung paart.
Durch dieselbe Kunst der Darstellung, wodurch er uns mit
dem Antlitz und der Gebärdung der tropischen Natur so ver-
traut macht, werden auch seine wissenschaftlichen Erörterungen
so klar und anschaulich, daß sie selbst wie organische Natur-
bildungen erscheinen, was sie ja auch im Grunde sind. Zu
allen Vorzügen des Buches kommt für den ernsten Leser noch
der unschätzbare Vorteil, daß er auf jedem Schritte den Ge-
danken und Thaten des Mannes folgt, der vielleicht mehr als
irgend einer die Natur in der Richtung gelichtet hat, in der
sie unseren Sonden zugänglich ist, und daß er so, wie schon
oben ausgesprochen worden, überall unmittelbar zusieht, wie
die wahre Wissenschaft zustande kommt. Nach meiner Er-
fahrung und Empfindung gibt es kaum etwas, das dem all-
gemein Unterrichteten das eigentliche Wesen, die Genesis, die
Entwickelung und die Grenzen des Naturwissens klarer machte,
als die Art und Weise, wie Humboldt in seiner Reise-
beschreibung so viele große und kleine, aber für das in einen
höheren Gesichtspunkt gerückte Auge gleich wichtige Erschei-
nungen bespricht, wie die Meeresströmungen, die Verteilung

Vorrede, die eine ſeiner letzten Arbeiten, vielleicht die letzte war,
ſo daß er mit einer lebhaften Erinnerung an die erſten ſchönen
Zeiten ſeiner außerordentlichen Laufbahn aus dem Leben ſchied.

Das Buch iſt reich an allem, was die Einbildungskraft
feſſeln und ergötzen kann, an vortrefflichen Schilderungen
tropiſcher Landſchaften wie einzelner Gewächſe dieſer wunder-
vollen Länder, an den belebteſten Auftritten aus dem Tier-
leben, an den ſcharfſinnigſten Beobachtungen über die geiſtigen
und geſelligen Verhältniſſe der Raſſen, welche in Südamerika
neben- und durcheinander wohnen. Erſt durch Humboldt iſt
das eigentliche Weſen des eingeborenen Amerikaners nach
Körper und Seele den Europäern bekannt geworden, und die
Beſchreibung ihrer Körperbildung, ihres Charakters, ihrer
Sprachen und Gebräuche, die Würdigung ihrer Tugenden
und ihrer Laſter iſt in die ganze Reiſebeſchreibung mit großer
Kunſt eingeflochten. Humboldt wird ja gerade dadurch zu
einer ſo eigentümlichen und außerordentlichen Erſcheinung,
daß ſich in ihm mit der Schärfe und Unbeſtechlichkeit der
Urteilskraft eine ſo bedeutende künſtleriſche Begabung paart.
Durch dieſelbe Kunſt der Darſtellung, wodurch er uns mit
dem Antlitz und der Gebärdung der tropiſchen Natur ſo ver-
traut macht, werden auch ſeine wiſſenſchaftlichen Erörterungen
ſo klar und anſchaulich, daß ſie ſelbſt wie organiſche Natur-
bildungen erſcheinen, was ſie ja auch im Grunde ſind. Zu
allen Vorzügen des Buches kommt für den ernſten Leſer noch
der unſchätzbare Vorteil, daß er auf jedem Schritte den Ge-
danken und Thaten des Mannes folgt, der vielleicht mehr als
irgend einer die Natur in der Richtung gelichtet hat, in der
ſie unſeren Sonden zugänglich iſt, und daß er ſo, wie ſchon
oben ausgeſprochen worden, überall unmittelbar zuſieht, wie
die wahre Wiſſenſchaft zuſtande kommt. Nach meiner Er-
fahrung und Empfindung gibt es kaum etwas, das dem all-
gemein Unterrichteten das eigentliche Weſen, die Geneſis, die
Entwickelung und die Grenzen des Naturwiſſens klarer machte,
als die Art und Weiſe, wie Humboldt in ſeiner Reiſe-
beſchreibung ſo viele große und kleine, aber für das in einen
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[XI/0015] Vorrede, die eine ſeiner letzten Arbeiten, vielleicht die letzte war, ſo daß er mit einer lebhaften Erinnerung an die erſten ſchönen Zeiten ſeiner außerordentlichen Laufbahn aus dem Leben ſchied. Das Buch iſt reich an allem, was die Einbildungskraft feſſeln und ergötzen kann, an vortrefflichen Schilderungen tropiſcher Landſchaften wie einzelner Gewächſe dieſer wunder- vollen Länder, an den belebteſten Auftritten aus dem Tier- leben, an den ſcharfſinnigſten Beobachtungen über die geiſtigen und geſelligen Verhältniſſe der Raſſen, welche in Südamerika neben- und durcheinander wohnen. Erſt durch Humboldt iſt das eigentliche Weſen des eingeborenen Amerikaners nach Körper und Seele den Europäern bekannt geworden, und die Beſchreibung ihrer Körperbildung, ihres Charakters, ihrer Sprachen und Gebräuche, die Würdigung ihrer Tugenden und ihrer Laſter iſt in die ganze Reiſebeſchreibung mit großer Kunſt eingeflochten. Humboldt wird ja gerade dadurch zu einer ſo eigentümlichen und außerordentlichen Erſcheinung, daß ſich in ihm mit der Schärfe und Unbeſtechlichkeit der Urteilskraft eine ſo bedeutende künſtleriſche Begabung paart. Durch dieſelbe Kunſt der Darſtellung, wodurch er uns mit dem Antlitz und der Gebärdung der tropiſchen Natur ſo ver- traut macht, werden auch ſeine wiſſenſchaftlichen Erörterungen ſo klar und anſchaulich, daß ſie ſelbſt wie organiſche Natur- bildungen erſcheinen, was ſie ja auch im Grunde ſind. Zu allen Vorzügen des Buches kommt für den ernſten Leſer noch der unſchätzbare Vorteil, daß er auf jedem Schritte den Ge- danken und Thaten des Mannes folgt, der vielleicht mehr als irgend einer die Natur in der Richtung gelichtet hat, in der ſie unſeren Sonden zugänglich iſt, und daß er ſo, wie ſchon oben ausgeſprochen worden, überall unmittelbar zuſieht, wie die wahre Wiſſenſchaft zuſtande kommt. Nach meiner Er- fahrung und Empfindung gibt es kaum etwas, das dem all- gemein Unterrichteten das eigentliche Weſen, die Geneſis, die Entwickelung und die Grenzen des Naturwiſſens klarer machte, als die Art und Weiſe, wie Humboldt in ſeiner Reiſe- beſchreibung ſo viele große und kleine, aber für das in einen höheren Geſichtspunkt gerückte Auge gleich wichtige Erſchei- nungen beſpricht, wie die Meeresſtrömungen, die Verteilung

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/15>, abgerufen am 24.11.2024.