waren; nur nach wiederholten Versuchen wird man sich bestimmt über einen Punkt aussprechen können, der zum mindesten so wichtig ist als die Wahl des Meridians, auf dem man bei der Fahrt nach Buenos Ayres oder Kap Horn den Aequator schneiden soll.
Nichts geht über die Pracht und Milde des Klimas im tropischen Weltmeer. Während der Passatwind stark blies, stand der Thermometer bei Tage auf 23 bis 24°, bei Nacht zwischen 22 und 22,5°. Um den Reiz dieser glücklichen Erd- striche in der Nähe des Aequators voll zu empfinden, muß man in rauher Jahreszeit von Acapulco oder von den Küsten von Chile nach Europa gesegelt haben. Welcher Abstand zwischen den stürmischen Meeren in nördlichen Breiten und diesen Strichen, wo in der Natur ewige Ruhe herrscht! Wenn die Rückfahrt aus Mexiko oder Südamerika nach den spanischen Küsten so kurz und so angenehm wäre als die Reise aus der Alten in die Neue Welt, so wäre die Zahl der Europäer, die sich in den Kolonieen niedergelassen, lange nicht so groß, als sie jetzt ist. Das Meer, in dem die Azoren und die Bermuden liegen, durch das man kommt, wenn man in hohen Breiten nach Europa zurückfährt, führt bei den Spaniern den selt- samen Namen Golfo de las Yeguas.1 Kolonisten, die an die See nicht gewöhnt sind, und lange einsam in den Wäldern von Guyana, in den Savannen von Caracas oder auf den Kordilleren von Peru gelebt haben, fürchten sich vor dem See- strich bei den Bermuden mehr als jetzt die Bewohner von Lima vor der Fahrt um Kap Horn. Sie übertreiben in der Einbildung die Gefahren einer Ueberfahrt, die nur im Winter bedenklich ist. Sie verschieben es von Jahr zu Jahr, ein Vorhaben auszuführen, das ihnen gewagt scheint, und meist überrascht sie der Tod, während sie sich zur Rückreise rüsten.
Nördlich von den Inseln des Grünen Vorgebirges stießen wir auf große Bündel schwimmenden Tangs. Es war die tropische Seetraube, Fucus natans, die nur bis zu 40° nörd- licher und südlicher Breite auf dem Gestein unter dem Meeres- spiegel wächst. Diese Algen schienen hier, wie südwestlich von der Bank von Neufundland, das Vorhandensein der Strö- mungen anzuzeigen. Die Seestriche, wo viel einzelner Tang vorkommt, und die mit Seegewächsen bedeckten Strecken, welche Kolumbus mit großen Wiesen vergleicht und die der Mann-
1 Der Meerbusen der Stuten.
waren; nur nach wiederholten Verſuchen wird man ſich beſtimmt über einen Punkt ausſprechen können, der zum mindeſten ſo wichtig iſt als die Wahl des Meridians, auf dem man bei der Fahrt nach Buenos Ayres oder Kap Horn den Aequator ſchneiden ſoll.
Nichts geht über die Pracht und Milde des Klimas im tropiſchen Weltmeer. Während der Paſſatwind ſtark blies, ſtand der Thermometer bei Tage auf 23 bis 24°, bei Nacht zwiſchen 22 und 22,5°. Um den Reiz dieſer glücklichen Erd- ſtriche in der Nähe des Aequators voll zu empfinden, muß man in rauher Jahreszeit von Acapulco oder von den Küſten von Chile nach Europa geſegelt haben. Welcher Abſtand zwiſchen den ſtürmiſchen Meeren in nördlichen Breiten und dieſen Strichen, wo in der Natur ewige Ruhe herrſcht! Wenn die Rückfahrt aus Mexiko oder Südamerika nach den ſpaniſchen Küſten ſo kurz und ſo angenehm wäre als die Reiſe aus der Alten in die Neue Welt, ſo wäre die Zahl der Europäer, die ſich in den Kolonieen niedergelaſſen, lange nicht ſo groß, als ſie jetzt iſt. Das Meer, in dem die Azoren und die Bermuden liegen, durch das man kommt, wenn man in hohen Breiten nach Europa zurückfährt, führt bei den Spaniern den ſelt- ſamen Namen Golfo de las Yeguas.1 Koloniſten, die an die See nicht gewöhnt ſind, und lange einſam in den Wäldern von Guyana, in den Savannen von Caracas oder auf den Kordilleren von Peru gelebt haben, fürchten ſich vor dem See- ſtrich bei den Bermuden mehr als jetzt die Bewohner von Lima vor der Fahrt um Kap Horn. Sie übertreiben in der Einbildung die Gefahren einer Ueberfahrt, die nur im Winter bedenklich iſt. Sie verſchieben es von Jahr zu Jahr, ein Vorhaben auszuführen, das ihnen gewagt ſcheint, und meiſt überraſcht ſie der Tod, während ſie ſich zur Rückreiſe rüſten.
Nördlich von den Inſeln des Grünen Vorgebirges ſtießen wir auf große Bündel ſchwimmenden Tangs. Es war die tropiſche Seetraube, Fucus natans, die nur bis zu 40° nörd- licher und ſüdlicher Breite auf dem Geſtein unter dem Meeres- ſpiegel wächſt. Dieſe Algen ſchienen hier, wie ſüdweſtlich von der Bank von Neufundland, das Vorhandenſein der Strö- mungen anzuzeigen. Die Seeſtriche, wo viel einzelner Tang vorkommt, und die mit Seegewächſen bedeckten Strecken, welche Kolumbus mit großen Wieſen vergleicht und die der Mann-
1 Der Meerbuſen der Stuten.
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waren; nur nach wiederholten Verſuchen wird man ſich beſtimmt
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der Fahrt nach Buenos Ayres oder Kap Horn den Aequator
ſchneiden ſoll.
Nichts geht über die Pracht und Milde des Klimas im
tropiſchen Weltmeer. Während der Paſſatwind ſtark blies,
ſtand der Thermometer bei Tage auf 23 bis 24°, bei Nacht
zwiſchen 22 und 22,5°. Um den Reiz dieſer glücklichen Erd-
ſtriche in der Nähe des Aequators voll zu empfinden, muß
man in rauher Jahreszeit von Acapulco oder von den Küſten
von Chile nach Europa geſegelt haben. Welcher Abſtand
zwiſchen den ſtürmiſchen Meeren in nördlichen Breiten und
dieſen Strichen, wo in der Natur ewige Ruhe herrſcht! Wenn
die Rückfahrt aus Mexiko oder Südamerika nach den ſpaniſchen
Küſten ſo kurz und ſo angenehm wäre als die Reiſe aus der
Alten in die Neue Welt, ſo wäre die Zahl der Europäer, die
ſich in den Kolonieen niedergelaſſen, lange nicht ſo groß, als
ſie jetzt iſt. Das Meer, in dem die Azoren und die Bermuden
liegen, durch das man kommt, wenn man in hohen Breiten
nach Europa zurückfährt, führt bei den Spaniern den ſelt-
ſamen Namen Golfo de las Yeguas. 1 Koloniſten, die an
die See nicht gewöhnt ſind, und lange einſam in den Wäldern
von Guyana, in den Savannen von Caracas oder auf den
Kordilleren von Peru gelebt haben, fürchten ſich vor dem See-
ſtrich bei den Bermuden mehr als jetzt die Bewohner von
Lima vor der Fahrt um Kap Horn. Sie übertreiben in der
Einbildung die Gefahren einer Ueberfahrt, die nur im Winter
bedenklich iſt. Sie verſchieben es von Jahr zu Jahr, ein
Vorhaben auszuführen, das ihnen gewagt ſcheint, und meiſt
überraſcht ſie der Tod, während ſie ſich zur Rückreiſe rüſten.
Nördlich von den Inſeln des Grünen Vorgebirges ſtießen
wir auf große Bündel ſchwimmenden Tangs. Es war die
tropiſche Seetraube, Fucus natans, die nur bis zu 40° nörd-
licher und ſüdlicher Breite auf dem Geſtein unter dem Meeres-
ſpiegel wächſt. Dieſe Algen ſchienen hier, wie ſüdweſtlich von
der Bank von Neufundland, das Vorhandenſein der Strö-
mungen anzuzeigen. Die Seeſtriche, wo viel einzelner Tang
vorkommt, und die mit Seegewächſen bedeckten Strecken, welche
Kolumbus mit großen Wieſen vergleicht und die der Mann-
1 Der Meerbuſen der Stuten.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/146>, abgerufen am 16.02.2025.
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