Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Man war lange der Meinung, die Sprache der Guanchen
habe keine Aehnlichkeit mit den lebenden Sprachen; aber seit
die Sprachforscher durch Hornemanns Reise und durch die
scharfsinnigen Untersuchungen von Marsden und Ventura auf
die Berbern aufmerksam geworden sind, die, gleich den slavi-
schen Völkern, in Nordafrika über eine ungeheure Strecke ver-
breitet sind, hat man gefunden, daß in der Sprache der
Guanchen und in den Mundarten von Chilha und Gebali
mehrere Worte gleiche Wurzeln haben.

Wir führen folgende Beispiele an:

Himmel,guanchischTigo,berberischTigot.
Milch,"Aho,"Acho.
Gerste,"Temasen"Tomzeen.
Korb,"Carinas"Carian.
Wasser,"Aenum"Anan.

Ich glaube nicht, daß diese Sprachähnlichkeit ein Beweis
für gemeinsamen Ursprung ist; aber sie deutet darauf hin,
daß die Guanchen in alter Zeit in Verkehr standen mit den
Berbern, einem Gebirgsvolk, zu dem die Numidier, Getuler
und Garamanten verschmolzen sind und das vom Ostende des
Atlas durch das Harudje und Fezzan bis zur Oase von
Siuah und Audschila sich ausbreitet. Die Eingeborenen der
Kanarien nannten sich Guanchen, von Guan, Mensch, wie
die Tungusen sich Pye und Donky nennen, welche Worte
dasselbe bedeuten, wie Guan. Indessen sind die Völker, welche
die Berbersprache sprechen, nicht alle desselben Stammes, und
wenn Scylax in seinem Periplus die Einwohner von Cerne
als ein Hirtenvolk von hohem Wuchs mit langen Haaren be-
schreibt, so erinnert dies an die körperlichen Eigenschaften der
kanarischen Guanchen.

Je genauer man die Sprachen aus philosophischem Ge-
sichtspunkte untersucht, desto mehr zeigt sich, daß keine ganz
allein steht; diesen Anschein würde auch die Sprache der
Guanchen 1 noch weniger haben, wenn man von ihrem Mecha-

1 Nach Vaters Untersuchungen zeigt die Sprache der Guanchen
folgende Aehnlichkeiten mit den Sprachen weit auseinander ge-
legener Völker: Hund bei den Huronen in Amerika aguienon,
bei den Guanchen aguyan; Mensch bei den Peruanern cari,
bei den Guanchen coran; König bei den Mandingo in Afrika
monso, bei den Guanchen monsey. Der Name der Insel
Gomera kommt im Worte Gomer zum Vorschein, das der Name

Man war lange der Meinung, die Sprache der Guanchen
habe keine Aehnlichkeit mit den lebenden Sprachen; aber ſeit
die Sprachforſcher durch Hornemanns Reiſe und durch die
ſcharfſinnigen Unterſuchungen von Marsden und Ventura auf
die Berbern aufmerkſam geworden ſind, die, gleich den ſlavi-
ſchen Völkern, in Nordafrika über eine ungeheure Strecke ver-
breitet ſind, hat man gefunden, daß in der Sprache der
Guanchen und in den Mundarten von Chilha und Gebali
mehrere Worte gleiche Wurzeln haben.

Wir führen folgende Beiſpiele an:

Himmel,guanchiſchTigo,berberiſchTigot.
Milch,Aho,Acho.
Gerſte,TemaſenTomzeen.
Korb,CarinasCarian.
Waſſer,AenumAnan.

Ich glaube nicht, daß dieſe Sprachähnlichkeit ein Beweis
für gemeinſamen Urſprung iſt; aber ſie deutet darauf hin,
daß die Guanchen in alter Zeit in Verkehr ſtanden mit den
Berbern, einem Gebirgsvolk, zu dem die Numidier, Getuler
und Garamanten verſchmolzen ſind und das vom Oſtende des
Atlas durch das Harudjé und Fezzan bis zur Oaſe von
Siuah und Audſchila ſich ausbreitet. Die Eingeborenen der
Kanarien nannten ſich Guanchen, von Guan, Menſch, wie
die Tunguſen ſich Pye und Donky nennen, welche Worte
dasſelbe bedeuten, wie Guan. Indeſſen ſind die Völker, welche
die Berberſprache ſprechen, nicht alle desſelben Stammes, und
wenn Scylax in ſeinem Periplus die Einwohner von Cerne
als ein Hirtenvolk von hohem Wuchs mit langen Haaren be-
ſchreibt, ſo erinnert dies an die körperlichen Eigenſchaften der
kanariſchen Guanchen.

Je genauer man die Sprachen aus philoſophiſchem Ge-
ſichtspunkte unterſucht, deſto mehr zeigt ſich, daß keine ganz
allein ſteht; dieſen Anſchein würde auch die Sprache der
Guanchen 1 noch weniger haben, wenn man von ihrem Mecha-

1 Nach Vaters Unterſuchungen zeigt die Sprache der Guanchen
folgende Aehnlichkeiten mit den Sprachen weit auseinander ge-
legener Völker: Hund bei den Huronen in Amerika aguienon,
bei den Guanchen aguyan; Menſch bei den Peruanern cari,
bei den Guanchen coran; König bei den Mandingo in Afrika
monso, bei den Guanchen monsey. Der Name der Inſel
Gomera kommt im Worte Gomer zum Vorſchein, das der Name
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0137" n="121"/>
          <p>Man war lange der Meinung, die Sprache der Guanchen<lb/>
habe keine Aehnlichkeit mit den lebenden Sprachen; aber &#x017F;eit<lb/>
die Sprachfor&#x017F;cher durch Hornemanns Rei&#x017F;e und durch die<lb/>
&#x017F;charf&#x017F;innigen Unter&#x017F;uchungen von Marsden und Ventura auf<lb/>
die Berbern aufmerk&#x017F;am geworden &#x017F;ind, die, gleich den &#x017F;lavi-<lb/>
&#x017F;chen Völkern, in Nordafrika über eine ungeheure Strecke ver-<lb/>
breitet &#x017F;ind, hat man gefunden, daß in der Sprache der<lb/>
Guanchen und in den Mundarten von Chilha und Gebali<lb/>
mehrere Worte gleiche Wurzeln haben.</p><lb/>
          <p>Wir führen folgende Bei&#x017F;piele an:<lb/></p>
          <table>
            <row>
              <cell>Himmel,</cell>
              <cell>guanchi&#x017F;ch</cell>
              <cell><hi rendition="#g">Tigo</hi>,</cell>
              <cell>berberi&#x017F;ch</cell>
              <cell><hi rendition="#g">Tigot</hi>.<lb/></cell>
            </row>
            <row>
              <cell>Milch,</cell>
              <cell>&#x3003;</cell>
              <cell><hi rendition="#g">Aho</hi>,</cell>
              <cell>&#x3003;</cell>
              <cell><hi rendition="#g">Acho</hi>.<lb/></cell>
            </row>
            <row>
              <cell>Ger&#x017F;te,</cell>
              <cell>&#x3003;</cell>
              <cell> <hi rendition="#g">Tema&#x017F;en</hi> </cell>
              <cell>&#x3003;</cell>
              <cell><hi rendition="#g">Tomzeen</hi>.<lb/></cell>
            </row>
            <row>
              <cell>Korb,</cell>
              <cell>&#x3003;</cell>
              <cell> <hi rendition="#g">Carinas</hi> </cell>
              <cell>&#x3003;</cell>
              <cell><hi rendition="#g">Carian</hi>.<lb/></cell>
            </row>
            <row>
              <cell>Wa&#x017F;&#x017F;er,</cell>
              <cell>&#x3003;</cell>
              <cell> <hi rendition="#g">Aenum</hi> </cell>
              <cell>&#x3003;</cell>
              <cell><hi rendition="#g">Anan</hi>.<lb/></cell>
            </row>
          </table>
          <p>Ich glaube nicht, daß die&#x017F;e Sprachähnlichkeit ein Beweis<lb/>
für gemein&#x017F;amen Ur&#x017F;prung i&#x017F;t; aber &#x017F;ie deutet darauf hin,<lb/>
daß die Guanchen in alter Zeit in Verkehr &#x017F;tanden mit den<lb/>
Berbern, einem Gebirgsvolk, zu dem die Numidier, Getuler<lb/>
und Garamanten ver&#x017F;chmolzen &#x017F;ind und das vom O&#x017F;tende des<lb/>
Atlas durch das Harudj<hi rendition="#aq">é</hi> und Fezzan bis zur Oa&#x017F;e von<lb/>
Siuah und Aud&#x017F;chila &#x017F;ich ausbreitet. Die Eingeborenen der<lb/>
Kanarien nannten &#x017F;ich Guanchen, von <hi rendition="#g">Guan</hi>, Men&#x017F;ch, wie<lb/>
die Tungu&#x017F;en &#x017F;ich <hi rendition="#g">Pye</hi> und <hi rendition="#g">Donky</hi> nennen, welche Worte<lb/>
das&#x017F;elbe bedeuten, wie Guan. Inde&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind die Völker, welche<lb/>
die Berber&#x017F;prache &#x017F;prechen, nicht alle des&#x017F;elben Stammes, und<lb/>
wenn Scylax in &#x017F;einem Periplus die Einwohner von Cerne<lb/>
als ein Hirtenvolk von hohem Wuchs mit langen Haaren be-<lb/>
&#x017F;chreibt, &#x017F;o erinnert dies an die körperlichen Eigen&#x017F;chaften der<lb/>
kanari&#x017F;chen Guanchen.</p><lb/>
          <p>Je genauer man die Sprachen aus philo&#x017F;ophi&#x017F;chem Ge-<lb/>
&#x017F;ichtspunkte unter&#x017F;ucht, de&#x017F;to mehr zeigt &#x017F;ich, daß keine ganz<lb/>
allein &#x017F;teht; die&#x017F;en An&#x017F;chein würde auch die Sprache der<lb/>
Guanchen <note xml:id="seg2pn_6_1" next="#seg2pn_6_2" place="foot" n="1">Nach Vaters Unter&#x017F;uchungen zeigt die Sprache der Guanchen<lb/>
folgende Aehnlichkeiten mit den Sprachen weit auseinander ge-<lb/>
legener Völker: Hund bei den Huronen in Amerika <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">aguienon,</hi></hi><lb/>
bei den Guanchen <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">aguyan;</hi> Men&#x017F;ch</hi> bei den Peruanern <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">cari,</hi></hi><lb/>
bei den Guanchen <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">coran;</hi> König</hi> bei den Mandingo in Afrika<lb/><hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">monso,</hi></hi> bei den Guanchen <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">monsey.</hi></hi> Der Name der In&#x017F;el<lb/>
Gomera kommt im Worte Gomer zum Vor&#x017F;chein, das der Name</note> noch weniger haben, wenn man von ihrem Mecha-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0137] Man war lange der Meinung, die Sprache der Guanchen habe keine Aehnlichkeit mit den lebenden Sprachen; aber ſeit die Sprachforſcher durch Hornemanns Reiſe und durch die ſcharfſinnigen Unterſuchungen von Marsden und Ventura auf die Berbern aufmerkſam geworden ſind, die, gleich den ſlavi- ſchen Völkern, in Nordafrika über eine ungeheure Strecke ver- breitet ſind, hat man gefunden, daß in der Sprache der Guanchen und in den Mundarten von Chilha und Gebali mehrere Worte gleiche Wurzeln haben. Wir führen folgende Beiſpiele an: Himmel, guanchiſch Tigo, berberiſch Tigot. Milch, 〃 Aho, 〃 Acho. Gerſte, 〃 Temaſen 〃 Tomzeen. Korb, 〃 Carinas 〃 Carian. Waſſer, 〃 Aenum 〃 Anan. Ich glaube nicht, daß dieſe Sprachähnlichkeit ein Beweis für gemeinſamen Urſprung iſt; aber ſie deutet darauf hin, daß die Guanchen in alter Zeit in Verkehr ſtanden mit den Berbern, einem Gebirgsvolk, zu dem die Numidier, Getuler und Garamanten verſchmolzen ſind und das vom Oſtende des Atlas durch das Harudjé und Fezzan bis zur Oaſe von Siuah und Audſchila ſich ausbreitet. Die Eingeborenen der Kanarien nannten ſich Guanchen, von Guan, Menſch, wie die Tunguſen ſich Pye und Donky nennen, welche Worte dasſelbe bedeuten, wie Guan. Indeſſen ſind die Völker, welche die Berberſprache ſprechen, nicht alle desſelben Stammes, und wenn Scylax in ſeinem Periplus die Einwohner von Cerne als ein Hirtenvolk von hohem Wuchs mit langen Haaren be- ſchreibt, ſo erinnert dies an die körperlichen Eigenſchaften der kanariſchen Guanchen. Je genauer man die Sprachen aus philoſophiſchem Ge- ſichtspunkte unterſucht, deſto mehr zeigt ſich, daß keine ganz allein ſteht; dieſen Anſchein würde auch die Sprache der Guanchen 1 noch weniger haben, wenn man von ihrem Mecha- 1 Nach Vaters Unterſuchungen zeigt die Sprache der Guanchen folgende Aehnlichkeiten mit den Sprachen weit auseinander ge- legener Völker: Hund bei den Huronen in Amerika aguienon, bei den Guanchen aguyan; Menſch bei den Peruanern cari, bei den Guanchen coran; König bei den Mandingo in Afrika monso, bei den Guanchen monsey. Der Name der Inſel Gomera kommt im Worte Gomer zum Vorſchein, das der Name

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/137
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/137>, abgerufen am 22.11.2024.