Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.und die Nordwestküste von Afrika bereiste. Nur wenn man Bevor ich die Alte Welt verlasse und in die Neue über- Auf dem Archipel der Kanarien bestanden mehrere kleine, 1 Die spanischen Geschichtschreiber sprechen von Fahrten, welche
die Hugenotten von La Rochelle unternommen haben sollen, um Guanchensklaven zu holen. Ich kann dies nicht glauben, da diese Fahrten nach dem Jahre 1530 fallen müßten. und die Nordweſtküſte von Afrika bereiſte. Nur wenn man Bevor ich die Alte Welt verlaſſe und in die Neue über- Auf dem Archipel der Kanarien beſtanden mehrere kleine, 1 Die ſpaniſchen Geſchichtſchreiber ſprechen von Fahrten, welche
die Hugenotten von La Rochelle unternommen haben ſollen, um Guanchenſklaven zu holen. Ich kann dies nicht glauben, da dieſe Fahrten nach dem Jahre 1530 fallen müßten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0133" n="117"/> und die Nordweſtküſte von Afrika bereiſte. Nur wenn man<lb/> die Atlantiſchen Inſeln und das benachbarte Feſtland nach<lb/> denſelben Geſichtspunkten unterſucht und die Beobachtungen<lb/> zuſammenſtellt, gelangt man zur genauen Kenntnis der geo-<lb/> logiſchen Verhältniſſe und der Verbreitung der Tiere und Ge-<lb/> wächſe.</p><lb/> <p>Bevor ich die Alte Welt verlaſſe und in die Neue über-<lb/> ſetze, habe ich einen Gegenſtand zu berühren, der allgemeineres<lb/> Intereſſe bietet, weil er ſich auf die Geſchichte der Menſchheit<lb/> und die hiſtoriſchen Verhängniſſe bezieht, durch welche ganze<lb/> Volksſtämme vom Erdboden verſchwunden ſind. Auf Cuba,<lb/> St. Domingo, Jamaika fragt man ſich, wo die Ureinwohner<lb/> dieſer Länder hingekommen ſind; auf Tenerifa fragt man ſich,<lb/> was aus den Guanchen geworden iſt, deren in Höhlen ver-<lb/> ſteckte, vertrocknete Mumien ganz allein der Vernichtung ent-<lb/> gangen ſind. Im 15. Jahrhundert holten faſt alle Handels-<lb/> völker, beſonders aber die Spanier und Portugieſen, Sklaven<lb/> von den Kanarien, wie man ſie jetzt von der Küſte von<lb/> Guinea holt. <note place="foot" n="1">Die ſpaniſchen Geſchichtſchreiber ſprechen von Fahrten, welche<lb/> die Hugenotten von La Rochelle unternommen haben ſollen, um<lb/> Guanchenſklaven zu holen. Ich kann dies nicht glauben, da dieſe<lb/> Fahrten nach dem Jahre 1530 fallen müßten.</note> Die chriſtliche Religion, die in ihren An-<lb/> fängen die menſchliche Freiheit ſo mächtig förderte, mußte der<lb/> europäiſchen Habſucht als Vorwand dienen. Jedes Indi-<lb/> viduum, das gefangen wurde, ehe es getauft war, verfiel der<lb/> Sklaverei. Zu jener Zeit hatte man noch nicht zu beweiſen<lb/> geſucht, daß der Neger ein Mittelding zwiſchen Menſch und<lb/> Tier iſt; der gebräunte Guanche und der afrikaniſche Neger<lb/> wurden auf dem Markte zu Sevilla miteinander verkauft,<lb/> und man ſtritt nicht über die Frage, ob nur Menſchen mit<lb/> ſchwarzer Haut und Wollhaar der Sklaverei verfallen ſollen.</p><lb/> <p>Auf dem Archipel der Kanarien beſtanden mehrere kleine,<lb/> einander feindlich gegenüber ſtehende Staaten. Oft war die-<lb/> ſelbe Inſel zwei unabhängigen Fürſten unterworfen, wie in<lb/> der Südſee und überall, wo die Kultur noch auf tiefer Stufe<lb/> ſteht. Die Handelsvölker befolgten damals hier dieſelbe arg-<lb/> liſtige Politik, wie jetzt auf den Küſten von Afrika: ſie<lb/> leiſteten den Bürgerkriegen Vorſchub. So wurde ein Guanche<lb/> Eigentum des anderen, und dieſer verkaufte jenen den Euro-<lb/> päern; manche zogen den Tod der Sklaverei vor und töteten<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [117/0133]
und die Nordweſtküſte von Afrika bereiſte. Nur wenn man
die Atlantiſchen Inſeln und das benachbarte Feſtland nach
denſelben Geſichtspunkten unterſucht und die Beobachtungen
zuſammenſtellt, gelangt man zur genauen Kenntnis der geo-
logiſchen Verhältniſſe und der Verbreitung der Tiere und Ge-
wächſe.
Bevor ich die Alte Welt verlaſſe und in die Neue über-
ſetze, habe ich einen Gegenſtand zu berühren, der allgemeineres
Intereſſe bietet, weil er ſich auf die Geſchichte der Menſchheit
und die hiſtoriſchen Verhängniſſe bezieht, durch welche ganze
Volksſtämme vom Erdboden verſchwunden ſind. Auf Cuba,
St. Domingo, Jamaika fragt man ſich, wo die Ureinwohner
dieſer Länder hingekommen ſind; auf Tenerifa fragt man ſich,
was aus den Guanchen geworden iſt, deren in Höhlen ver-
ſteckte, vertrocknete Mumien ganz allein der Vernichtung ent-
gangen ſind. Im 15. Jahrhundert holten faſt alle Handels-
völker, beſonders aber die Spanier und Portugieſen, Sklaven
von den Kanarien, wie man ſie jetzt von der Küſte von
Guinea holt. 1 Die chriſtliche Religion, die in ihren An-
fängen die menſchliche Freiheit ſo mächtig förderte, mußte der
europäiſchen Habſucht als Vorwand dienen. Jedes Indi-
viduum, das gefangen wurde, ehe es getauft war, verfiel der
Sklaverei. Zu jener Zeit hatte man noch nicht zu beweiſen
geſucht, daß der Neger ein Mittelding zwiſchen Menſch und
Tier iſt; der gebräunte Guanche und der afrikaniſche Neger
wurden auf dem Markte zu Sevilla miteinander verkauft,
und man ſtritt nicht über die Frage, ob nur Menſchen mit
ſchwarzer Haut und Wollhaar der Sklaverei verfallen ſollen.
Auf dem Archipel der Kanarien beſtanden mehrere kleine,
einander feindlich gegenüber ſtehende Staaten. Oft war die-
ſelbe Inſel zwei unabhängigen Fürſten unterworfen, wie in
der Südſee und überall, wo die Kultur noch auf tiefer Stufe
ſteht. Die Handelsvölker befolgten damals hier dieſelbe arg-
liſtige Politik, wie jetzt auf den Küſten von Afrika: ſie
leiſteten den Bürgerkriegen Vorſchub. So wurde ein Guanche
Eigentum des anderen, und dieſer verkaufte jenen den Euro-
päern; manche zogen den Tod der Sklaverei vor und töteten
1 Die ſpaniſchen Geſchichtſchreiber ſprechen von Fahrten, welche
die Hugenotten von La Rochelle unternommen haben ſollen, um
Guanchenſklaven zu holen. Ich kann dies nicht glauben, da dieſe
Fahrten nach dem Jahre 1530 fallen müßten.
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Zitationshilfe: | Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/133>, abgerufen am 16.02.2025. |