und jeder Deutsche, der dasselbe kennt und zu schätzen weiß, muß sich wundern, daß es nicht längst in einer seiner würdigen Weise der deutschen Litteratur einverleibt worden ist, der es trotz seines fremden Gewandes seinem innersten Grunde nach angehört. Dieser auffallende Umstand erklärt sich aber aus dem widrigen Schicksal, welches das Buch erfahren.
In den Jahren 1815 bis 1829 erschien, ohne Humboldts Dazuthun, eine vollständige deutsche Uebersetzung jener drei Bände der Relation historique in sechs Bänden. Dieselbe ist aber in sprachlicher und materieller Beziehung in einem Grade mangelhaft, wie er selbst in dem um die Form leider allzuwenig bekümmerten Deutschland selten vorkommt, und somit völlig unbrauchbar. Humboldt fühlte sich dadurch in hohem Grade abgestoßen; er mochte, wie er selbst schreibt, dieses Buch niemals auch nur in die Hand nehmen, und es konnte nicht dazu beitragen, ihn mit der deutschen Gestalt seines schönen Werkes auszusöhnen, daß seitdem verschiedene deutsche Auszüge und Bearbeitungen der Reisebeschreibung er- schienen sind, die bequemerweise nur jene Uebersetzung zu Grunde legten, und aus ihr zahllose Sprachsünden, Mißver- ständnisse und Irrtümer herübernahmen. So sehen wir denn hier aus einem nichtswürdigen Buche, das die Form des Originals häßlich verunstaltet, aber wenigstens äußerlich voll- ständig ist, andere Bücher abgeleitet, welche dem Werke den Hauptwert und den vornehmsten Reiz rauben, indem sie die Form ganz zerstören, und eben damit auch die wahrhaft künst- lerische Anordnung desselben kaum noch in Spuren erkennen lassen. Humboldts Reisebeschreibung und ein poetisches Werk, nicht zu übertragen, sondern auszuziehen und umzuarbeiten, ist ungefähr gleich verständig. Das Buch ist ein der höheren Litteratur angehörendes Werk, ein eigentliches Kunstwerk.
Als der Herausgeber die Ehre hatte, mit A. v. Hum- boldt über die Art der deutschen Bearbeitung des Werkes zu verhandeln, äußerte jener in einem Schreiben an diesen unter anderem folgendes:
"Neben Ihren großen Arbeiten über alle Zweige der Naturwissenschaft wird Ihre Reisebeschreibung für jeden Ge- schichtschreiber eines dieser Zweige eine wichtige Quelle bleiben,
und jeder Deutſche, der dasſelbe kennt und zu ſchätzen weiß, muß ſich wundern, daß es nicht längſt in einer ſeiner würdigen Weiſe der deutſchen Litteratur einverleibt worden iſt, der es trotz ſeines fremden Gewandes ſeinem innerſten Grunde nach angehört. Dieſer auffallende Umſtand erklärt ſich aber aus dem widrigen Schickſal, welches das Buch erfahren.
In den Jahren 1815 bis 1829 erſchien, ohne Humboldts Dazuthun, eine vollſtändige deutſche Ueberſetzung jener drei Bände der Relation historique in ſechs Bänden. Dieſelbe iſt aber in ſprachlicher und materieller Beziehung in einem Grade mangelhaft, wie er ſelbſt in dem um die Form leider allzuwenig bekümmerten Deutſchland ſelten vorkommt, und ſomit völlig unbrauchbar. Humboldt fühlte ſich dadurch in hohem Grade abgeſtoßen; er mochte, wie er ſelbſt ſchreibt, dieſes Buch niemals auch nur in die Hand nehmen, und es konnte nicht dazu beitragen, ihn mit der deutſchen Geſtalt ſeines ſchönen Werkes auszuſöhnen, daß ſeitdem verſchiedene deutſche Auszüge und Bearbeitungen der Reiſebeſchreibung er- ſchienen ſind, die bequemerweiſe nur jene Ueberſetzung zu Grunde legten, und aus ihr zahlloſe Sprachſünden, Mißver- ſtändniſſe und Irrtümer herübernahmen. So ſehen wir denn hier aus einem nichtswürdigen Buche, das die Form des Originals häßlich verunſtaltet, aber wenigſtens äußerlich voll- ſtändig iſt, andere Bücher abgeleitet, welche dem Werke den Hauptwert und den vornehmſten Reiz rauben, indem ſie die Form ganz zerſtören, und eben damit auch die wahrhaft künſt- leriſche Anordnung desſelben kaum noch in Spuren erkennen laſſen. Humboldts Reiſebeſchreibung und ein poetiſches Werk, nicht zu übertragen, ſondern auszuziehen und umzuarbeiten, iſt ungefähr gleich verſtändig. Das Buch iſt ein der höheren Litteratur angehörendes Werk, ein eigentliches Kunſtwerk.
Als der Herausgeber die Ehre hatte, mit A. v. Hum- boldt über die Art der deutſchen Bearbeitung des Werkes zu verhandeln, äußerte jener in einem Schreiben an dieſen unter anderem folgendes:
„Neben Ihren großen Arbeiten über alle Zweige der Naturwiſſenſchaft wird Ihre Reiſebeſchreibung für jeden Ge- ſchichtſchreiber eines dieſer Zweige eine wichtige Quelle bleiben,
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[VIII/0012]
und jeder Deutſche, der dasſelbe kennt und zu ſchätzen weiß,
muß ſich wundern, daß es nicht längſt in einer ſeiner würdigen
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trotz ſeines fremden Gewandes ſeinem innerſten Grunde nach
angehört. Dieſer auffallende Umſtand erklärt ſich aber aus
dem widrigen Schickſal, welches das Buch erfahren.
In den Jahren 1815 bis 1829 erſchien, ohne Humboldts
Dazuthun, eine vollſtändige deutſche Ueberſetzung jener drei
Bände der Relation historique in ſechs Bänden. Dieſelbe
iſt aber in ſprachlicher und materieller Beziehung in einem
Grade mangelhaft, wie er ſelbſt in dem um die Form leider
allzuwenig bekümmerten Deutſchland ſelten vorkommt, und
ſomit völlig unbrauchbar. Humboldt fühlte ſich dadurch in
hohem Grade abgeſtoßen; er mochte, wie er ſelbſt ſchreibt,
dieſes Buch niemals auch nur in die Hand nehmen, und es
konnte nicht dazu beitragen, ihn mit der deutſchen Geſtalt
ſeines ſchönen Werkes auszuſöhnen, daß ſeitdem verſchiedene
deutſche Auszüge und Bearbeitungen der Reiſebeſchreibung er-
ſchienen ſind, die bequemerweiſe nur jene Ueberſetzung zu
Grunde legten, und aus ihr zahlloſe Sprachſünden, Mißver-
ſtändniſſe und Irrtümer herübernahmen. So ſehen wir denn
hier aus einem nichtswürdigen Buche, das die Form des
Originals häßlich verunſtaltet, aber wenigſtens äußerlich voll-
ſtändig iſt, andere Bücher abgeleitet, welche dem Werke den
Hauptwert und den vornehmſten Reiz rauben, indem ſie die
Form ganz zerſtören, und eben damit auch die wahrhaft künſt-
leriſche Anordnung desſelben kaum noch in Spuren erkennen
laſſen. Humboldts Reiſebeſchreibung und ein poetiſches Werk,
nicht zu übertragen, ſondern auszuziehen und umzuarbeiten, iſt
ungefähr gleich verſtändig. Das Buch iſt ein der höheren
Litteratur angehörendes Werk, ein eigentliches Kunſtwerk.
Als der Herausgeber die Ehre hatte, mit A. v. Hum-
boldt über die Art der deutſchen Bearbeitung des Werkes zu
verhandeln, äußerte jener in einem Schreiben an dieſen unter
anderem folgendes:
„Neben Ihren großen Arbeiten über alle Zweige der
Naturwiſſenſchaft wird Ihre Reiſebeſchreibung für jeden Ge-
ſchichtſchreiber eines dieſer Zweige eine wichtige Quelle bleiben,
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/12>, abgerufen am 16.02.2025.
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