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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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gänglicher, so ließen sich dort ohne Zweifel bei gewissen Wind-
richtungen die Wirkungen ungewöhnlicher Refraktion beob-
achten. Liest man die Berichte spanischer und portugiesischer
Schriftsteller über die Existenz der fabelhaften Insel San
Borondon oder Antilia, so sieht man, daß in diesen Strichen
vorzüglich der feuchte West-Süd-Westwind Luftspiegelungen
zur Folge hat; 1 indessen wollen wir nicht mit Viera glauben,
"daß durch das Spiel der irdischen Refraktion die Inseln des
grünen Vorgebirges, ja sogar die Appalachen in Amerika den
Bewohnern der Kanarien sichtbar werden können".

Die Kälte, die wir auf dem Gipfel des Piks empfanden,
war für die Jahreszeit sehr bedeutend. Der hundertteilige
Thermometer 2 zeigte entfernt vom Boden und von den Fu-
marolen, die heiße Dämpfe ausstoßen, im Schatten 2,7°.
Der Wind war West, also dem entgegengesetzt, der einen
großen Teil des Jahres Tenerifa die heiße Luft zuführt, die
über den glühenden Wüsten Afrikas aufsteigt. Da die Tem-
peratur im Hafen von Orotava, nach Herrn Savagis Beob-
achtung, 22,8° war, so nahm die Wärme auf 183 m Höhe
um einen Grad ab. Dieses Ergebnis stimmt vollkommen mit
dem überein, was Lamanon und Saussure auf den Spitzen
des Piks und des Aetna, obwohl in sehr verschiedenen Jahres-
zeiten, beobachtet haben. 3 Die schlanke Gestalt dieser Berge
bietet den Vorteil, daß man die Temperatur zweier Luft-
schichten fast senkrecht übereinander beobachten kann, und in

1 "La refraction de para todo." Wir haben schon oben
bemerkt, daß die amerikanischen Früchte, welche das Meer häufig
an die Küsten von Ferro und Gomera wirft, früher für Gewächse
der Insel San Borondon gehalten wurden. Dieses Land, das nach
der Volkssage von einem Erzbischof und sechs Bischöfen regiert
wurde, und das, nach Pater Feijoos Ansicht, das auf einer Nebel-
schicht projizierte Bild der Insel Ferro ist, wurde im 16. Jahr-
hundert vom König von Portugal Ludwig Perdigon geschenkt, als
dieser sich zur Eroberung desselben rüstete.
2 Nach Odonnell und Armstrong stand auf dem Gipfel des
Piks am 2. August 1806 um 8 Uhr morgens der Thermometer im
Schatten auf 13,8°, in der Sonne auf 20,5°; Unterschied oder
Wirkung der Sonne: 6,7°.
3 Lamanons Beobachtung ergibt einen Grad auf 193 m, ob-
gleich die Temperatur des Piks um 9° von der von uns beob-
achteten abwich. Am Aetna fand Saussure die Abnahme gleich
175 m.

gänglicher, ſo ließen ſich dort ohne Zweifel bei gewiſſen Wind-
richtungen die Wirkungen ungewöhnlicher Refraktion beob-
achten. Lieſt man die Berichte ſpaniſcher und portugieſiſcher
Schriftſteller über die Exiſtenz der fabelhaften Inſel San
Borondon oder Antilia, ſo ſieht man, daß in dieſen Strichen
vorzüglich der feuchte Weſt-Süd-Weſtwind Luftſpiegelungen
zur Folge hat; 1 indeſſen wollen wir nicht mit Viera glauben,
„daß durch das Spiel der irdiſchen Refraktion die Inſeln des
grünen Vorgebirges, ja ſogar die Appalachen in Amerika den
Bewohnern der Kanarien ſichtbar werden können“.

Die Kälte, die wir auf dem Gipfel des Piks empfanden,
war für die Jahreszeit ſehr bedeutend. Der hundertteilige
Thermometer 2 zeigte entfernt vom Boden und von den Fu-
marolen, die heiße Dämpfe ausſtoßen, im Schatten 2,7°.
Der Wind war Weſt, alſo dem entgegengeſetzt, der einen
großen Teil des Jahres Tenerifa die heiße Luft zuführt, die
über den glühenden Wüſten Afrikas aufſteigt. Da die Tem-
peratur im Hafen von Orotava, nach Herrn Savagis Beob-
achtung, 22,8° war, ſo nahm die Wärme auf 183 m Höhe
um einen Grad ab. Dieſes Ergebnis ſtimmt vollkommen mit
dem überein, was Lamanon und Sauſſure auf den Spitzen
des Piks und des Aetna, obwohl in ſehr verſchiedenen Jahres-
zeiten, beobachtet haben. 3 Die ſchlanke Geſtalt dieſer Berge
bietet den Vorteil, daß man die Temperatur zweier Luft-
ſchichten faſt ſenkrecht übereinander beobachten kann, und in

1 „La refraction de para todo.“ Wir haben ſchon oben
bemerkt, daß die amerikaniſchen Früchte, welche das Meer häufig
an die Küſten von Ferro und Gomera wirft, früher für Gewächſe
der Inſel San Borondon gehalten wurden. Dieſes Land, das nach
der Volksſage von einem Erzbiſchof und ſechs Biſchöfen regiert
wurde, und das, nach Pater Feijoos Anſicht, das auf einer Nebel-
ſchicht projizierte Bild der Inſel Ferro iſt, wurde im 16. Jahr-
hundert vom König von Portugal Ludwig Perdigon geſchenkt, als
dieſer ſich zur Eroberung desſelben rüſtete.
2 Nach Odonnell und Armſtrong ſtand auf dem Gipfel des
Piks am 2. Auguſt 1806 um 8 Uhr morgens der Thermometer im
Schatten auf 13,8°, in der Sonne auf 20,5°; Unterſchied oder
Wirkung der Sonne: 6,7°.
3 Lamanons Beobachtung ergibt einen Grad auf 193 m, ob-
gleich die Temperatur des Piks um 9° von der von uns beob-
achteten abwich. Am Aetna fand Sauſſure die Abnahme gleich
175 m.
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[94/0110] gänglicher, ſo ließen ſich dort ohne Zweifel bei gewiſſen Wind- richtungen die Wirkungen ungewöhnlicher Refraktion beob- achten. Lieſt man die Berichte ſpaniſcher und portugieſiſcher Schriftſteller über die Exiſtenz der fabelhaften Inſel San Borondon oder Antilia, ſo ſieht man, daß in dieſen Strichen vorzüglich der feuchte Weſt-Süd-Weſtwind Luftſpiegelungen zur Folge hat; 1 indeſſen wollen wir nicht mit Viera glauben, „daß durch das Spiel der irdiſchen Refraktion die Inſeln des grünen Vorgebirges, ja ſogar die Appalachen in Amerika den Bewohnern der Kanarien ſichtbar werden können“. Die Kälte, die wir auf dem Gipfel des Piks empfanden, war für die Jahreszeit ſehr bedeutend. Der hundertteilige Thermometer 2 zeigte entfernt vom Boden und von den Fu- marolen, die heiße Dämpfe ausſtoßen, im Schatten 2,7°. Der Wind war Weſt, alſo dem entgegengeſetzt, der einen großen Teil des Jahres Tenerifa die heiße Luft zuführt, die über den glühenden Wüſten Afrikas aufſteigt. Da die Tem- peratur im Hafen von Orotava, nach Herrn Savagis Beob- achtung, 22,8° war, ſo nahm die Wärme auf 183 m Höhe um einen Grad ab. Dieſes Ergebnis ſtimmt vollkommen mit dem überein, was Lamanon und Sauſſure auf den Spitzen des Piks und des Aetna, obwohl in ſehr verſchiedenen Jahres- zeiten, beobachtet haben. 3 Die ſchlanke Geſtalt dieſer Berge bietet den Vorteil, daß man die Temperatur zweier Luft- ſchichten faſt ſenkrecht übereinander beobachten kann, und in 1 „La refraction de para todo.“ Wir haben ſchon oben bemerkt, daß die amerikaniſchen Früchte, welche das Meer häufig an die Küſten von Ferro und Gomera wirft, früher für Gewächſe der Inſel San Borondon gehalten wurden. Dieſes Land, das nach der Volksſage von einem Erzbiſchof und ſechs Biſchöfen regiert wurde, und das, nach Pater Feijoos Anſicht, das auf einer Nebel- ſchicht projizierte Bild der Inſel Ferro iſt, wurde im 16. Jahr- hundert vom König von Portugal Ludwig Perdigon geſchenkt, als dieſer ſich zur Eroberung desſelben rüſtete. 2 Nach Odonnell und Armſtrong ſtand auf dem Gipfel des Piks am 2. Auguſt 1806 um 8 Uhr morgens der Thermometer im Schatten auf 13,8°, in der Sonne auf 20,5°; Unterſchied oder Wirkung der Sonne: 6,7°. 3 Lamanons Beobachtung ergibt einen Grad auf 193 m, ob- gleich die Temperatur des Piks um 9° von der von uns beob- achteten abwich. Am Aetna fand Sauſſure die Abnahme gleich 175 m.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/110>, abgerufen am 24.11.2024.