"Freuet euch allezeit im Herrn und euere Bescheidenheit sei allen Menschen offenbar." (Phil. IV. 5). In diesen Worten ist so ziemlich alles enthalten nämlich, daß man 1. sich freuen darf und soll, 2. aber auch die Art und Weise dieser Freude.
Was ist denn Freude? Denn um etwas zu verstehen, müssen wir klare und bestimmte Begriffe davon haben. Was ist also Freude? Der Jubel der Seele über ein gegenwärtiges Gut, das sie besitzt und genießt. So er- klärten schon die Philosophen Griechenlands und nach ihnen der Engel der Schule die Freude. So jubelten Zacharias und Elisabeth über den Besitz des vom Engel verheißenen Wunderknaben und über die wiedererlangte Sprache. Aus diesem Begriff der Freuden ist klar, daß sie ganz besonders Eigenthum der Kinder und der Jugend ist. Denn die schweren Sorgen des Lebens und das Un- glück der Sünde ist diesen in der Regel noch fremd.
Aber freut sich denn die Jugend nicht gar oft an traurigen Ausschweifungen? Ich kann diese Freude nur mit dem Jubel jenes Bettlers vergleichen, der im Irrsinn an seiner vermeintlichen Königswürde sich freut. So ist auch der Sünder, ob jung oder alt, nur um so trauriger bestellt, je mehr er sich in seinen Ausschweifungen belustiget. Ja belustiget. Denn ich will das edle Wort "sich freuen" nicht mißbrauchet, wo das Wort sich belustigen um so besser paßt, als es mit Lust verwandt ist und die Sünder selbst sagen "es war lustig" - und manche ihre Sünde mit dem Ausdrucke entschuldigen "ich bin eben lustig."
So geb' ich dem griechischen Weltweisen Demokrit Recht, wenn er sagt: "Wenn das Herz der Kleinen 100 Thore hätte wie Theben, so lasset die Freude herein zu allen 100 Thoren, damit sie aus dem Garten der Jugend recht viel Gutes mit sich nehmen in das Ackerfeld männ- licher Thätigkeit und damit, wenn die Haare sich dunkler
„Freuet euch allezeit im Herrn und euere Bescheidenheit sei allen Menschen offenbar.“ (Phil. IV. 5). In diesen Worten ist so ziemlich alles enthalten nämlich, daß man 1. sich freuen darf und soll, 2. aber auch die Art und Weise dieser Freude.
Was ist denn Freude? Denn um etwas zu verstehen, müssen wir klare und bestimmte Begriffe davon haben. Was ist also Freude? Der Jubel der Seele über ein gegenwärtiges Gut, das sie besitzt und genießt. So er- klärten schon die Philosophen Griechenlands und nach ihnen der Engel der Schule die Freude. So jubelten Zacharias und Elisabeth über den Besitz des vom Engel verheißenen Wunderknaben und über die wiedererlangte Sprache. Aus diesem Begriff der Freuden ist klar, daß sie ganz besonders Eigenthum der Kinder und der Jugend ist. Denn die schweren Sorgen des Lebens und das Un- glück der Sünde ist diesen in der Regel noch fremd.
Aber freut sich denn die Jugend nicht gar oft an traurigen Ausschweifungen? Ich kann diese Freude nur mit dem Jubel jenes Bettlers vergleichen, der im Irrsinn an seiner vermeintlichen Königswürde sich freut. So ist auch der Sünder, ob jung oder alt, nur um so trauriger bestellt, je mehr er sich in seinen Ausschweifungen belustiget. Ja belustiget. Denn ich will das edle Wort „sich freuen“ nicht mißbrauchet, wo das Wort sich belustigen um so besser paßt, als es mit Lust verwandt ist und die Sünder selbst sagen „es war lustig“ – und manche ihre Sünde mit dem Ausdrucke entschuldigen „ich bin eben lustig.“
So geb' ich dem griechischen Weltweisen Demokrit Recht, wenn er sagt: „Wenn das Herz der Kleinen 100 Thore hätte wie Theben, so lasset die Freude herein zu allen 100 Thoren, damit sie aus dem Garten der Jugend recht viel Gutes mit sich nehmen in das Ackerfeld männ- licher Thätigkeit und damit, wenn die Haare sich dunkler
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„Freuet euch allezeit im Herrn und euere Bescheidenheit
sei allen Menschen offenbar.“ (Phil. IV. 5). In diesen
Worten ist so ziemlich alles enthalten nämlich, daß man
1. sich freuen darf und soll, 2. aber auch die Art und
Weise dieser Freude.
Was ist denn Freude? Denn um etwas zu verstehen,
müssen wir klare und bestimmte Begriffe davon haben.
Was ist also Freude? Der Jubel der Seele über ein
gegenwärtiges Gut, das sie besitzt und genießt. So er-
klärten schon die Philosophen Griechenlands und nach
ihnen der Engel der Schule die Freude. So jubelten
Zacharias und Elisabeth über den Besitz des vom Engel
verheißenen Wunderknaben und über die wiedererlangte
Sprache. Aus diesem Begriff der Freuden ist klar, daß
sie ganz besonders Eigenthum der Kinder und der Jugend
ist. Denn die schweren Sorgen des Lebens und das Un-
glück der Sünde ist diesen in der Regel noch fremd.
Aber freut sich denn die Jugend nicht gar oft an
traurigen Ausschweifungen? Ich kann diese Freude nur
mit dem Jubel jenes Bettlers vergleichen, der im Irrsinn
an seiner vermeintlichen Königswürde sich freut. So ist
auch der Sünder, ob jung oder alt, nur um so trauriger
bestellt, je mehr er sich in seinen Ausschweifungen belustiget.
Ja belustiget. Denn ich will das edle Wort „sich freuen“
nicht mißbrauchet, wo das Wort sich belustigen um so
besser paßt, als es mit Lust verwandt ist und die Sünder
selbst sagen „es war lustig“ – und manche ihre Sünde
mit dem Ausdrucke entschuldigen „ich bin eben lustig.“
So geb' ich dem griechischen Weltweisen Demokrit
Recht, wenn er sagt: „Wenn das Herz der Kleinen 100
Thore hätte wie Theben, so lasset die Freude herein zu
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recht viel Gutes mit sich nehmen in das Ackerfeld männ-
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Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896/315>, abgerufen am 24.11.2024.
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