2) In welcher Verbindung steht sie im Allgemeinen zu Jesus Christus?
Was heißt also erziehen? Erziehen heißt alle guten Anlagen des Menschen pflegen, üben, entwickeln, daß die- selben sich vollkommen entfalten, um den Menschen aus- zurüsten für das irdische Leben und für die Ewigkeit vor- zubereiten.
Ihr habet also die guten Anlagen der Kleinen zu entwickeln. Daß auch die Pflege des Leibes zur Erziehung gehört, versteht sich von selbst. Wie aber Eltern oder Vor- gesetzte durch entsprechende Nahrung und Kleidung, durch Reinlichkeit, durch Arbeit für die leibliche Entwicklung der Kinder zu sorgen haben, will ich für heute übergehen, und nur die Erziehung der Seele und ihrer Anlagen etwas näher betrachten.
Da nun lasset euch nicht täuschen, durch eine ober- flächliche Wissenschaft, welche träumt, der Fortschritt liege schon im Kinde, man dürfe ruhig zusehen, wie es sich selbst entwickle. Das ist wahr von den Thieren, welche bei gesunder Nahrung und Luft ohne unser Zuthun zu ihrer naturgemäßen Kraft und Schönheit gelangen; wollen wir sie dann für unsern Dienst gebrauchen, haben wir sie nur noch zu dressiren. Aber so könnet ihr mit euern Kindern nicht verfahren, obwohl es vielfach so geübt wird. Denn diese polizeiliche Dressur läßt im Herzen die ganze Barbarei der Leidenschaft, welche früher oder später aus- bricht wie ein wilder Bergbach.
Wollet ihr also erziehen, so habet ihr die edlen An- lagen des Kindes zu üben, zu entwickeln. Es ist da ähn- lich wie bei der Rebe. Man schneidet, bindet, bricht sie, aber das bringt keine Trauben, sondern dient nur zur fruchtbaren Entwicklung des Rebstockes, der selbst wachsen, blühen und Frucht bringen muß. Da nun habet ihr die
1) Was ist denn Erziehung überhaupt?
2) In welcher Verbindung steht sie im Allgemeinen zu Jesus Christus?
Was heißt also erziehen? Erziehen heißt alle guten Anlagen des Menschen pflegen, üben, entwickeln, daß die- selben sich vollkommen entfalten, um den Menschen aus- zurüsten für das irdische Leben und für die Ewigkeit vor- zubereiten.
Ihr habet also die guten Anlagen der Kleinen zu entwickeln. Daß auch die Pflege des Leibes zur Erziehung gehört, versteht sich von selbst. Wie aber Eltern oder Vor- gesetzte durch entsprechende Nahrung und Kleidung, durch Reinlichkeit, durch Arbeit für die leibliche Entwicklung der Kinder zu sorgen haben, will ich für heute übergehen, und nur die Erziehung der Seele und ihrer Anlagen etwas näher betrachten.
Da nun lasset euch nicht täuschen, durch eine ober- flächliche Wissenschaft, welche träumt, der Fortschritt liege schon im Kinde, man dürfe ruhig zusehen, wie es sich selbst entwickle. Das ist wahr von den Thieren, welche bei gesunder Nahrung und Luft ohne unser Zuthun zu ihrer naturgemäßen Kraft und Schönheit gelangen; wollen wir sie dann für unsern Dienst gebrauchen, haben wir sie nur noch zu dressiren. Aber so könnet ihr mit euern Kindern nicht verfahren, obwohl es vielfach so geübt wird. Denn diese polizeiliche Dressur läßt im Herzen die ganze Barbarei der Leidenschaft, welche früher oder später aus- bricht wie ein wilder Bergbach.
Wollet ihr also erziehen, so habet ihr die edlen An- lagen des Kindes zu üben, zu entwickeln. Es ist da ähn- lich wie bei der Rebe. Man schneidet, bindet, bricht sie, aber das bringt keine Trauben, sondern dient nur zur fruchtbaren Entwicklung des Rebstockes, der selbst wachsen, blühen und Frucht bringen muß. Da nun habet ihr die
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1) Was ist denn Erziehung überhaupt?
2) In welcher Verbindung steht sie im Allgemeinen
zu Jesus Christus?
Was heißt also erziehen? Erziehen heißt alle guten
Anlagen des Menschen pflegen, üben, entwickeln, daß die-
selben sich vollkommen entfalten, um den Menschen aus-
zurüsten für das irdische Leben und für die Ewigkeit vor-
zubereiten.
Ihr habet also die guten Anlagen der Kleinen zu
entwickeln. Daß auch die Pflege des Leibes zur Erziehung
gehört, versteht sich von selbst. Wie aber Eltern oder Vor-
gesetzte durch entsprechende Nahrung und Kleidung, durch
Reinlichkeit, durch Arbeit für die leibliche Entwicklung der
Kinder zu sorgen haben, will ich für heute übergehen,
und nur die Erziehung der Seele und ihrer Anlagen etwas
näher betrachten.
Da nun lasset euch nicht täuschen, durch eine ober-
flächliche Wissenschaft, welche träumt, der Fortschritt liege
schon im Kinde, man dürfe ruhig zusehen, wie es sich
selbst entwickle. Das ist wahr von den Thieren, welche
bei gesunder Nahrung und Luft ohne unser Zuthun zu
ihrer naturgemäßen Kraft und Schönheit gelangen; wollen
wir sie dann für unsern Dienst gebrauchen, haben wir sie
nur noch zu dressiren. Aber so könnet ihr mit euern
Kindern nicht verfahren, obwohl es vielfach so geübt wird.
Denn diese polizeiliche Dressur läßt im Herzen die ganze
Barbarei der Leidenschaft, welche früher oder später aus-
bricht wie ein wilder Bergbach.
Wollet ihr also erziehen, so habet ihr die edlen An-
lagen des Kindes zu üben, zu entwickeln. Es ist da ähn-
lich wie bei der Rebe. Man schneidet, bindet, bricht sie,
aber das bringt keine Trauben, sondern dient nur zur
fruchtbaren Entwicklung des Rebstockes, der selbst wachsen,
blühen und Frucht bringen muß. Da nun habet ihr die
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Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896/181>, abgerufen am 24.11.2024.
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