Welche Bedeutung hatte diese Gewohnheit in Ehe- sachen? Der hl. Augustin (ibd) sagt: "Wenn es unrecht ist, aus Habsucht die Grenzen der Aecker zu überschreiten, wie viel mehr ist es unrecht, aus Fleischeslust die Grenze der Sitte zu unterwühlen." Was will er mit diesen Worten? Es ist ein Unrecht, wenn ihr das siebente Gebot aus Habsucht übertretet und euch fremdes Eigen- thum anmaßet; aber es ist ein noch viel größeres Unrecht wenn aus Fleischeslust Geschwisterkinder gegen die Sitte sich ehelichen. Als aber diese Sitte nicht mehr stark genug war, kamen die eigentlichen Gesetze und Verordnungen, welche die Verwandtschaftlichen nach und nach bis zum siebenten Grade verhinderten und verboten.
An wen aber wandte man sich in all' diesen Fragen und Schwierigkeiten? An den Stellvertreter Jesu Christi in Rom. So verlangten die Bischöfe Frankreich's gegen Ende des vierten Jahrhunderts vom damaligen Papste Siricius Auskunft, wie es nach Uebung und Recht mit den Verwandtschaftsehen zu halten sei. Als der Glaube in England und Deutschland verkündet wurde, wandten sich die Missionäre und Bischöfe an die damaligen Päpste mit der Anfrage, welche Geltung die Ehehindernisse unter den bekehrten Völkern habe.
Was folgt nun aus diesen und ähnlichen Thatsachen? Die Ehegesetze der Kirche wurden früher beobachtet, als geschrieben, und erst eingeschärft, als man anfing, die Sitte außer Acht zu lassen. Weil aber dem Papste die ganze Fülle der Binde- und Lösegewalt übergeben ist, lag auch in all diesen Sachen die Entscheidung bei ihm. Die Kirche hat also von alten Zeiten her Ehehindernisse auf- gestellt, aber auch davon dispensirt.
Gregor II. erlaubte den neubekehrten Deutschen, im fünften und sechsten und siebenten Grade der Blutsverwandt- schaft zu heirathen; Gregor III. hob diese Dispens wieder
Welche Bedeutung hatte diese Gewohnheit in Ehe- sachen? Der hl. Augustin (ibd) sagt: „Wenn es unrecht ist, aus Habsucht die Grenzen der Aecker zu überschreiten, wie viel mehr ist es unrecht, aus Fleischeslust die Grenze der Sitte zu unterwühlen.“ Was will er mit diesen Worten? Es ist ein Unrecht, wenn ihr das siebente Gebot aus Habsucht übertretet und euch fremdes Eigen- thum anmaßet; aber es ist ein noch viel größeres Unrecht wenn aus Fleischeslust Geschwisterkinder gegen die Sitte sich ehelichen. Als aber diese Sitte nicht mehr stark genug war, kamen die eigentlichen Gesetze und Verordnungen, welche die Verwandtschaftlichen nach und nach bis zum siebenten Grade verhinderten und verboten.
An wen aber wandte man sich in all' diesen Fragen und Schwierigkeiten? An den Stellvertreter Jesu Christi in Rom. So verlangten die Bischöfe Frankreich's gegen Ende des vierten Jahrhunderts vom damaligen Papste Siricius Auskunft, wie es nach Uebung und Recht mit den Verwandtschaftsehen zu halten sei. Als der Glaube in England und Deutschland verkündet wurde, wandten sich die Missionäre und Bischöfe an die damaligen Päpste mit der Anfrage, welche Geltung die Ehehindernisse unter den bekehrten Völkern habe.
Was folgt nun aus diesen und ähnlichen Thatsachen? Die Ehegesetze der Kirche wurden früher beobachtet, als geschrieben, und erst eingeschärft, als man anfing, die Sitte außer Acht zu lassen. Weil aber dem Papste die ganze Fülle der Binde- und Lösegewalt übergeben ist, lag auch in all diesen Sachen die Entscheidung bei ihm. Die Kirche hat also von alten Zeiten her Ehehindernisse auf- gestellt, aber auch davon dispensirt.
Gregor II. erlaubte den neubekehrten Deutschen, im fünften und sechsten und siebenten Grade der Blutsverwandt- schaft zu heirathen; Gregor III. hob diese Dispens wieder
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Welche Bedeutung hatte diese Gewohnheit in Ehe-
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wie viel mehr ist es unrecht, aus Fleischeslust die
Grenze der Sitte zu unterwühlen.“ Was will er mit
diesen Worten? Es ist ein Unrecht, wenn ihr das siebente
Gebot aus Habsucht übertretet und euch fremdes Eigen-
thum anmaßet; aber es ist ein noch viel größeres Unrecht
wenn aus Fleischeslust Geschwisterkinder gegen die Sitte
sich ehelichen. Als aber diese Sitte nicht mehr stark genug
war, kamen die eigentlichen Gesetze und Verordnungen,
welche die Verwandtschaftlichen nach und nach bis zum
siebenten Grade verhinderten und verboten.
An wen aber wandte man sich in all' diesen Fragen
und Schwierigkeiten? An den Stellvertreter Jesu Christi
in Rom. So verlangten die Bischöfe Frankreich's gegen
Ende des vierten Jahrhunderts vom damaligen Papste
Siricius Auskunft, wie es nach Uebung und Recht mit
den Verwandtschaftsehen zu halten sei. Als der Glaube
in England und Deutschland verkündet wurde, wandten
sich die Missionäre und Bischöfe an die damaligen Päpste
mit der Anfrage, welche Geltung die Ehehindernisse unter
den bekehrten Völkern habe.
Was folgt nun aus diesen und ähnlichen Thatsachen?
Die Ehegesetze der Kirche wurden früher beobachtet, als
geschrieben, und erst eingeschärft, als man anfing, die
Sitte außer Acht zu lassen. Weil aber dem Papste die
ganze Fülle der Binde- und Lösegewalt übergeben ist, lag
auch in all diesen Sachen die Entscheidung bei ihm. Die
Kirche hat also von alten Zeiten her Ehehindernisse auf-
gestellt, aber auch davon dispensirt.
Gregor II. erlaubte den neubekehrten Deutschen, im
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Hug, Gallus Joseph: Die christliche Familie im Kampfe gegen feindliche Mächte. Vorträge über christliche Ehe und Erziehung. Freiburg (Schweiz), 1896, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hug_familie_1896/147>, abgerufen am 24.11.2024.
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