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Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797.

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Das ganze Wesentliche des Menschen ist
seine Vervollkommungsfähigkeit, und
alles ist in seiner Organisation darauf be-
rechnet, nichts zu seyn, und alles zu
werden.

Höchstmerkwürdig ist der Einfluss,
den die Kultur auch auf die Vervollkom-
mung des Physischen und eben auf Ver-
längerung des Lebens hat. Gewöhnlich
glaubt man, alle Kultur schwäche und
verkürze das physische Leben. Aber diess
gilt nur von dem Extrem, der Hyper-
kultur
(die den Menschen zu sehr verfei-
nert und verzärtelt), diese ist eben so
schädlich und unnatürlich, als das an-
dere Extrem, die Unkultur (wenn die An-
lagen des Menschen nicht oder zu wenig
entwickelt werden); beydes verkürzt
das Leben. Sowohl der verzärtelte, zu
sinnlich oder geistig lebende, Mensch,
als auch der rohe Wilde, erreichen bey-
de nicht das Ziel des Lebens, dessen der
Mensch fähig ist. Hingegen ein gehöri-
ger und zweckmäsiger Grad von geisti-
ger und körperlicher Kultur, hauptsäch-

Das ganze Weſentliche des Menſchen iſt
ſeine Vervollkommungsfähigkeit, und
alles iſt in ſeiner Organiſation darauf be-
rechnet, nichts zu ſeyn, und alles zu
werden.

Höchſtmerkwürdig iſt der Einfluſs,
den die Kultur auch auf die Vervollkom-
mung des Phyſiſchen und eben auf Ver-
längerung des Lebens hat. Gewöhnlich
glaubt man, alle Kultur ſchwäche und
verkürze das phyſiſche Leben. Aber dieſs
gilt nur von dem Extrem, der Hyper-
kultur
(die den Menſchen zu ſehr verfei-
nert und verzärtelt), dieſe iſt eben ſo
ſchädlich und unnatürlich, als das an-
dere Extrem, die Unkultur (wenn die An-
lagen des Menſchen nicht oder zu wenig
entwickelt werden); beydes verkürzt
das Leben. Sowohl der verzärtelte, zu
ſinnlich oder geiſtig lebende, Menſch,
als auch der rohe Wilde, erreichen bey-
de nicht das Ziel des Lebens, deſſen der
Menſch fähig iſt. Hingegen ein gehöri-
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[692/0720] Das ganze Weſentliche des Menſchen iſt ſeine Vervollkommungsfähigkeit, und alles iſt in ſeiner Organiſation darauf be- rechnet, nichts zu ſeyn, und alles zu werden. Höchſtmerkwürdig iſt der Einfluſs, den die Kultur auch auf die Vervollkom- mung des Phyſiſchen und eben auf Ver- längerung des Lebens hat. Gewöhnlich glaubt man, alle Kultur ſchwäche und verkürze das phyſiſche Leben. Aber dieſs gilt nur von dem Extrem, der Hyper- kultur (die den Menſchen zu ſehr verfei- nert und verzärtelt), dieſe iſt eben ſo ſchädlich und unnatürlich, als das an- dere Extrem, die Unkultur (wenn die An- lagen des Menſchen nicht oder zu wenig entwickelt werden); beydes verkürzt das Leben. Sowohl der verzärtelte, zu ſinnlich oder geiſtig lebende, Menſch, als auch der rohe Wilde, erreichen bey- de nicht das Ziel des Lebens, deſſen der Menſch fähig iſt. Hingegen ein gehöri- ger und zweckmäſiger Grad von geiſti- ger und körperlicher Kultur, hauptſäch-

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Zitationshilfe: Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 692. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/720>, abgerufen am 25.11.2024.