hat, dass er ihm durch lange Gewohn- heit endlich gleichgültig wird. Wie sehr täuschen sich die, die in der Entfer- nung des Gedankens an den Tod diess Mittel gegen die Todesfurcht zu finden glauben! Ehe sie sichs versehen, mitten in der lachendsten Freude wird der Ge- danke sie überraschen, und sie desto fürchterlicher erschüttern, je mehr er ihnen fremd ist. Genug, ich kann nur den für glücklich erklären, der es dahin gebracht hat, mitten im Freudengenuss sich den Tod zu denken, ohne dadurch gestöhrt zu werden, und man glaube mir es auf meine Erfarung, dass man durch öftere Bekanntmachung mit dieser Idee und durch Milderung ihre Vorstel- lungsart darinn zulezt zu einer ausseror- dentlichen Gleichgültigkeit bringen kann. Man sehe doch die Soldaten, die Matrosen, die Bergleute an. Wo findet man glücklichere und lustigere, für jede Freude empfänglichere Menschen? Und warum? Weil sie durch die beständige Nähe des Todes ihn verachten gelernt
hat, daſs er ihm durch lange Gewohn- heit endlich gleichgültig wird. Wie ſehr täuſchen ſich die, die in der Entfer- nung des Gedankens an den Tod dieſs Mittel gegen die Todesfurcht zu finden glauben! Ehe ſie ſichs verſehen, mitten in der lachendſten Freude wird der Ge- danke ſie überraſchen, und ſie deſto fürchterlicher erſchüttern, je mehr er ihnen fremd iſt. Genug, ich kann nur den für glücklich erklären, der es dahin gebracht hat, mitten im Freudengenuſs ſich den Tod zu denken, ohne dadurch geſtöhrt zu werden, und man glaube mir es auf meine Erfarung, daſs man durch öftere Bekanntmachung mit dieſer Idee und durch Milderung ihre Vorſtel- lungsart darinn zulezt zu einer auſſeror- dentlichen Gleichgültigkeit bringen kann. Man ſehe doch die Soldaten, die Matroſen, die Bergleute an. Wo findet man glücklichere und luſtigere, für jede Freude empfänglichere Menſchen? Und warum? Weil ſie durch die beſtändige Nähe des Todes ihn verachten gelernt
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hat, daſs er ihm durch lange Gewohn-
heit endlich gleichgültig wird. Wie
ſehr täuſchen ſich die, die in der Entfer-
nung des Gedankens an den Tod dieſs
Mittel gegen die Todesfurcht zu finden
glauben! Ehe ſie ſichs verſehen, mitten
in der lachendſten Freude wird der Ge-
danke ſie überraſchen, und ſie deſto
fürchterlicher erſchüttern, je mehr er
ihnen fremd iſt. Genug, ich kann nur
den für glücklich erklären, der es dahin
gebracht hat, mitten im Freudengenuſs
ſich den Tod zu denken, ohne dadurch
geſtöhrt zu werden, und man glaube
mir es auf meine Erfarung, daſs man
durch öftere Bekanntmachung mit dieſer
Idee und durch Milderung ihre Vorſtel-
lungsart darinn zulezt zu einer auſſeror-
dentlichen Gleichgültigkeit bringen
kann. Man ſehe doch die Soldaten, die
Matroſen, die Bergleute an. Wo findet
man glücklichere und luſtigere, für jede
Freude empfänglichere Menſchen? Und
warum? Weil ſie durch die beſtändige
Nähe des Todes ihn verachten gelernt
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Hufeland, Christoph Wilhelm: Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Jena, 1797, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hufeland_leben_1797/423>, abgerufen am 22.11.2024.
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