schaft, von einer Fussboten-, Reitkurier-, Postkutschen-, Eisenbahn- und Telephon-Wirtschaft reden; es wäre viel- leicht diese Unterscheidung für das Nacheinander und das heutige Nebeneinander der verschiedenen Kulturstufen be- zeichnender als die gebräuchliche. --
Nun muss man sich weiter vergegenwärtigen, dass bei einer Organisation das, was einem primitiven Alarm- (oder Verkehrs-)Bedürfnis dient, wesentlich etwas anderes darstellt, als was aus einem intensiveren Bedürfnis herauswächst. In der vulgären Rekonstruktion der älteren Posteinrichtungen begegnen wir einem ähnlichen optimis- tischen Uebereifer, wie er z. B. bis vor einem Jahrzehnt in der Rekonstruktion der Römerstrassen geherrscht hat. Wie man früher den Ausbau des ganzen Strassennetzes schon für die Zeit des Kaiser Augustus voraussetzte und zugleich annahm, dass diese Strassen von Anfang an mit bewundernswerter Terrainkenntnis, mit stets passendem Material und stets in genauer Anpassung an ihren mili- tärischen Zweck, also ohne irgend einen Fehler in ihrer Anlage ausgeführt seien, ebenso soll, phantasieren die meisten, die kaiserliche römische Post fix und tadellos schon unter den ersten Kaisern funktioniert haben. Je weniger man ferner von einer Post-Organisation z. B. Karl's des Grossen wissen konnte, umso mehr wurde davon fabuliert. Ebenso wird weiter die französische Postorganisation, weil Karl VIII. in einer Verfügung von 1487 von der "poste" spricht, und die englische Postorganisation, weil die Königin Elisabeth da und dort berittene Boten gebrauchte, je um 150 Jahre zurückdatiert u. s. w.
Im Wege einer weitherzigen Interpretation wird so die Entwickelung von Jahrzehnten und Jahrhunderten in einen Moment der angeblichen "Erfindung" zusammengedrängt. Dem steht aber ein zweites Moment entgegen, nämlich das Wesen und die komplizierte Zusammensetzung speziell der
2 *
schaft, von einer Fussboten-, Reitkurier-, Postkutschen-, Eisenbahn- und Telephon-Wirtschaft reden; es wäre viel- leicht diese Unterscheidung für das Nacheinander und das heutige Nebeneinander der verschiedenen Kulturstufen be- zeichnender als die gebräuchliche. —
Nun muss man sich weiter vergegenwärtigen, dass bei einer Organisation das, was einem primitiven Alarm- (oder Verkehrs-)Bedürfnis dient, wesentlich etwas anderes darstellt, als was aus einem intensiveren Bedürfnis herauswächst. In der vulgären Rekonstruktion der älteren Posteinrichtungen begegnen wir einem ähnlichen optimis- tischen Uebereifer, wie er z. B. bis vor einem Jahrzehnt in der Rekonstruktion der Römerstrassen geherrscht hat. Wie man früher den Ausbau des ganzen Strassennetzes schon für die Zeit des Kaiser Augustus voraussetzte und zugleich annahm, dass diese Strassen von Anfang an mit bewundernswerter Terrainkenntnis, mit stets passendem Material und stets in genauer Anpassung an ihren mili- tärischen Zweck, also ohne irgend einen Fehler in ihrer Anlage ausgeführt seien, ebenso soll, phantasieren die meisten, die kaiserliche römische Post fix und tadellos schon unter den ersten Kaisern funktioniert haben. Je weniger man ferner von einer Post-Organisation z. B. Karl’s des Grossen wissen konnte, umso mehr wurde davon fabuliert. Ebenso wird weiter die französische Postorganisation, weil Karl VIII. in einer Verfügung von 1487 von der »poste« spricht, und die englische Postorganisation, weil die Königin Elisabeth da und dort berittene Boten gebrauchte, je um 150 Jahre zurückdatiert u. s. w.
Im Wege einer weitherzigen Interpretation wird so die Entwickelung von Jahrzehnten und Jahrhunderten in einen Moment der angeblichen »Erfindung« zusammengedrängt. Dem steht aber ein zweites Moment entgegen, nämlich das Wesen und die komplizierte Zusammensetzung speziell der
2 *
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0035"n="19"/>
schaft, von einer Fussboten-, Reitkurier-, Postkutschen-,<lb/>
Eisenbahn- und Telephon-Wirtschaft reden; es wäre viel-<lb/>
leicht diese Unterscheidung für das Nacheinander und das<lb/>
heutige Nebeneinander der verschiedenen Kulturstufen be-<lb/>
zeichnender als die gebräuchliche. —</p><lb/><p>Nun muss man sich weiter vergegenwärtigen, dass<lb/>
bei einer <hirendition="#g">Organisation</hi> das, was einem primitiven<lb/>
Alarm- (oder Verkehrs-)Bedürfnis dient, wesentlich etwas<lb/>
anderes darstellt, als was aus einem intensiveren Bedürfnis<lb/>
herauswächst. In der vulgären Rekonstruktion der älteren<lb/>
Posteinrichtungen begegnen wir einem ähnlichen optimis-<lb/>
tischen Uebereifer, wie er z. B. bis vor einem Jahrzehnt<lb/>
in der Rekonstruktion der Römerstrassen geherrscht hat.<lb/>
Wie man früher den Ausbau des ganzen Strassennetzes<lb/>
schon für die Zeit des Kaiser Augustus voraussetzte und<lb/>
zugleich annahm, dass diese Strassen von Anfang an mit<lb/>
bewundernswerter Terrainkenntnis, mit stets passendem<lb/>
Material und stets in genauer Anpassung an ihren mili-<lb/>
tärischen Zweck, also ohne irgend einen Fehler in ihrer<lb/>
Anlage ausgeführt seien, ebenso soll, phantasieren die<lb/>
meisten, die kaiserliche römische Post fix und tadellos schon<lb/>
unter den ersten Kaisern funktioniert haben. Je weniger<lb/>
man ferner von einer Post-Organisation z. B. Karl’s des<lb/>
Grossen wissen konnte, umso mehr wurde davon fabuliert.<lb/>
Ebenso wird weiter die französische Postorganisation, weil<lb/>
Karl VIII. in einer Verfügung von 1487 von der »<hirendition="#i">poste</hi>«<lb/>
spricht, und die englische Postorganisation, weil die Königin<lb/>
Elisabeth da und dort berittene Boten gebrauchte, je um<lb/>
150 Jahre zurückdatiert u. s. w.</p><lb/><p>Im Wege einer weitherzigen Interpretation wird so die<lb/>
Entwickelung von Jahrzehnten und Jahrhunderten in einen<lb/>
Moment der angeblichen »Erfindung« zusammengedrängt.<lb/>
Dem steht aber ein zweites Moment entgegen, nämlich das<lb/><hirendition="#g">Wesen</hi> und die komplizierte Zusammensetzung speziell der<lb/><fwplace="bottom"type="sig">2 *</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[19/0035]
schaft, von einer Fussboten-, Reitkurier-, Postkutschen-,
Eisenbahn- und Telephon-Wirtschaft reden; es wäre viel-
leicht diese Unterscheidung für das Nacheinander und das
heutige Nebeneinander der verschiedenen Kulturstufen be-
zeichnender als die gebräuchliche. —
Nun muss man sich weiter vergegenwärtigen, dass
bei einer Organisation das, was einem primitiven
Alarm- (oder Verkehrs-)Bedürfnis dient, wesentlich etwas
anderes darstellt, als was aus einem intensiveren Bedürfnis
herauswächst. In der vulgären Rekonstruktion der älteren
Posteinrichtungen begegnen wir einem ähnlichen optimis-
tischen Uebereifer, wie er z. B. bis vor einem Jahrzehnt
in der Rekonstruktion der Römerstrassen geherrscht hat.
Wie man früher den Ausbau des ganzen Strassennetzes
schon für die Zeit des Kaiser Augustus voraussetzte und
zugleich annahm, dass diese Strassen von Anfang an mit
bewundernswerter Terrainkenntnis, mit stets passendem
Material und stets in genauer Anpassung an ihren mili-
tärischen Zweck, also ohne irgend einen Fehler in ihrer
Anlage ausgeführt seien, ebenso soll, phantasieren die
meisten, die kaiserliche römische Post fix und tadellos schon
unter den ersten Kaisern funktioniert haben. Je weniger
man ferner von einer Post-Organisation z. B. Karl’s des
Grossen wissen konnte, umso mehr wurde davon fabuliert.
Ebenso wird weiter die französische Postorganisation, weil
Karl VIII. in einer Verfügung von 1487 von der »poste«
spricht, und die englische Postorganisation, weil die Königin
Elisabeth da und dort berittene Boten gebrauchte, je um
150 Jahre zurückdatiert u. s. w.
Im Wege einer weitherzigen Interpretation wird so die
Entwickelung von Jahrzehnten und Jahrhunderten in einen
Moment der angeblichen »Erfindung« zusammengedrängt.
Dem steht aber ein zweites Moment entgegen, nämlich das
Wesen und die komplizierte Zusammensetzung speziell der
2 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Huber, Franz C.: Die Geschichtliche Entwickelung des modernen Verkehrs. Tübingen, 1893, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_verkehr_1893/35>, abgerufen am 30.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.