sprecher -- Ersatz für den entgehenden Gewinn; sie wehrte sich dagegen, dass sie ihr angebliches Monopol des organisierten Brief- und Personentransports ohne weiteres an die Eisenbahn abtreten solle, und zeigte, zur Freude der Juristen dazu Lust, die Prozesse der alten Reichslehenspost zu neuem Leben er- stehen zu lassen. Schon hatten R. v. Mohl (in der Tübinger Zeitschrift v. 1844, I. Heft) und Oberjustizrat Stängel ("Das deutsche Postwesen" 1844) all ihren juristischen Scharfsinn auf- geboten, um darzulegen: was ist das Wesen der Post im allge- meinen? was dasjenige der Taxis'schen Postverwaltung? Stängel gelangte zu dem Ergebnis, das Wesen beider besteht nicht in der Organisation, sondern in dem Gebrauch unterlegter Pferde, demgemäss erstreckt sich das Taxis'sche Privileg nur gegen Landboten, Fuhrleute und Hauderer, aber nicht gegen die singu- läre Transportweise der Eisenbahn, welche weder unterlegter Pferde, noch gewechselter Postillions bedarf.
Nun hätte sich gegen diese Deduktion mancherlei einwenden lassen; aber mit einer dem Eisenbahnzeitalter von Anfang an eigenen Rücksichtlosigkeit wurden die Prozesse schon im Keime erstickt. Wohl wurde in den ersten Jahren z. B. der Leipzig- Dresdener Eisenbahnkompagnie der Personentransport zu den damaligen Posttaxen, jedoch nur gegen Entschädigung an die Post- kasse mit 10--15000 Thlr. jährlich überlassen; der Transport der Poststücke für Rechnung der Post wurde als Privilegium auf- geführt. An dieser Rechtsanschauung und der daran sich knüpfen- den Entschädigungs- bezw. Abfindungsfrage wäre wohl manches Eisenbahn-Projekt gescheitert, wenn schon damals die verkehrs- steigernde Wirkung der Transportverbesserung, ihre ungemeine Rentabilität und Konkurrenzfähigkeit bekannt und erkannt ge- wesen wäre. So aber erklärte der preussische General-Post- meister Nagler noch im Jahre 1838 die Eisenbahn als einen "faulen Schwindel" und die Erbauung einer solchen von Berlin nach Potsdam als zu riskiert, da nicht einmal sein dorthin gehender Postwagen immer voll sei. Fast allgemein sah man -- vor allem natürlich die Leute vom Fach, die sich als ausschliesslich zu- ständig zur Beurteilung erachteten -- die Eisenbahnprojekte teils als ungefährlich für das Privilegium, teils als so riskant an, dass
sprecher — Ersatz für den entgehenden Gewinn; sie wehrte sich dagegen, dass sie ihr angebliches Monopol des organisierten Brief- und Personentransports ohne weiteres an die Eisenbahn abtreten solle, und zeigte, zur Freude der Juristen dazu Lust, die Prozesse der alten Reichslehenspost zu neuem Leben er- stehen zu lassen. Schon hatten R. v. Mohl (in der Tübinger Zeitschrift v. 1844, I. Heft) und Oberjustizrat Stängel (»Das deutsche Postwesen« 1844) all ihren juristischen Scharfsinn auf- geboten, um darzulegen: was ist das Wesen der Post im allge- meinen? was dasjenige der Taxis’schen Postverwaltung? Stängel gelangte zu dem Ergebnis, das Wesen beider besteht nicht in der Organisation, sondern in dem Gebrauch unterlegter Pferde, demgemäss erstreckt sich das Taxis’sche Privileg nur gegen Landboten, Fuhrleute und Hauderer, aber nicht gegen die singu- läre Transportweise der Eisenbahn, welche weder unterlegter Pferde, noch gewechselter Postillions bedarf.
Nun hätte sich gegen diese Deduktion mancherlei einwenden lassen; aber mit einer dem Eisenbahnzeitalter von Anfang an eigenen Rücksichtlosigkeit wurden die Prozesse schon im Keime erstickt. Wohl wurde in den ersten Jahren z. B. der Leipzig- Dresdener Eisenbahnkompagnie der Personentransport zu den damaligen Posttaxen, jedoch nur gegen Entschädigung an die Post- kasse mit 10—15000 Thlr. jährlich überlassen; der Transport der Poststücke für Rechnung der Post wurde als Privilegium auf- geführt. An dieser Rechtsanschauung und der daran sich knüpfen- den Entschädigungs- bezw. Abfindungsfrage wäre wohl manches Eisenbahn-Projekt gescheitert, wenn schon damals die verkehrs- steigernde Wirkung der Transportverbesserung, ihre ungemeine Rentabilität und Konkurrenzfähigkeit bekannt und erkannt ge- wesen wäre. So aber erklärte der preussische General-Post- meister Nagler noch im Jahre 1838 die Eisenbahn als einen »faulen Schwindel« und die Erbauung einer solchen von Berlin nach Potsdam als zu riskiert, da nicht einmal sein dorthin gehender Postwagen immer voll sei. Fast allgemein sah man — vor allem natürlich die Leute vom Fach, die sich als ausschliesslich zu- ständig zur Beurteilung erachteten — die Eisenbahnprojekte teils als ungefährlich für das Privilegium, teils als so riskant an, dass
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sprecher — Ersatz für den entgehenden Gewinn; sie wehrte
sich dagegen, dass sie ihr angebliches Monopol des organisierten
Brief- und Personentransports ohne weiteres an die Eisenbahn
abtreten solle, und zeigte, zur Freude der Juristen dazu Lust,
die Prozesse der alten Reichslehenspost zu neuem Leben er-
stehen zu lassen. Schon hatten R. v. Mohl (in der Tübinger
Zeitschrift v. 1844, I. Heft) und Oberjustizrat Stängel (»Das
deutsche Postwesen« 1844) all ihren juristischen Scharfsinn auf-
geboten, um darzulegen: was ist das Wesen der Post im allge-
meinen? was dasjenige der Taxis’schen Postverwaltung? Stängel
gelangte zu dem Ergebnis, das Wesen beider besteht nicht in
der Organisation, sondern in dem Gebrauch unterlegter Pferde,
demgemäss erstreckt sich das Taxis’sche Privileg nur gegen
Landboten, Fuhrleute und Hauderer, aber nicht gegen die singu-
läre Transportweise der Eisenbahn, welche weder unterlegter
Pferde, noch gewechselter Postillions bedarf.
Nun hätte sich gegen diese Deduktion mancherlei einwenden
lassen; aber mit einer dem Eisenbahnzeitalter von Anfang an
eigenen Rücksichtlosigkeit wurden die Prozesse schon im Keime
erstickt. Wohl wurde in den ersten Jahren z. B. der Leipzig-
Dresdener Eisenbahnkompagnie der Personentransport zu den
damaligen Posttaxen, jedoch nur gegen Entschädigung an die Post-
kasse mit 10—15000 Thlr. jährlich überlassen; der Transport
der Poststücke für Rechnung der Post wurde als Privilegium auf-
geführt. An dieser Rechtsanschauung und der daran sich knüpfen-
den Entschädigungs- bezw. Abfindungsfrage wäre wohl manches
Eisenbahn-Projekt gescheitert, wenn schon damals die verkehrs-
steigernde Wirkung der Transportverbesserung, ihre ungemeine
Rentabilität und Konkurrenzfähigkeit bekannt und erkannt ge-
wesen wäre. So aber erklärte der preussische General-Post-
meister Nagler noch im Jahre 1838 die Eisenbahn als einen
»faulen Schwindel« und die Erbauung einer solchen von Berlin
nach Potsdam als zu riskiert, da nicht einmal sein dorthin gehender
Postwagen immer voll sei. Fast allgemein sah man — vor allem
natürlich die Leute vom Fach, die sich als ausschliesslich zu-
ständig zur Beurteilung erachteten — die Eisenbahnprojekte teils
als ungefährlich für das Privilegium, teils als so riskant an, dass
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Huber, Franz C.: Die Geschichtliche Entwickelung des modernen Verkehrs. Tübingen, 1893, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_verkehr_1893/246>, abgerufen am 16.02.2025.
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