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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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wahr, so bezeichnet es gewiß die Ansicht eines
Theils des Publikums, zu dieser muß es eine
Veranlassung geben, und diese ist dem Beobachter
die Hauptsache. So sagte Voltaire: wenn die
Türken nicht in der heiligen Sophienkirche zu Con-
stantinopel getanzt haben, so hätten sie es doch
thun können -- das heißt: sie waren geneigt den
Ort zu entweihen. Der Geschichtschreiber sollte
aber nicht in diesem Sinne erzählen, wohl darf
es aber die geschwätzige Mutter, wenn sie zu dem
Kreis ihrer Kinder spricht. Wie der König an der
holländischen Grenze von der Duane untersucht
ward -- man muß strenger gegen ihn verfahren
seyn, als gegen mein armes Ich, das freilich auch
gar nicht Contrebandenmäßig aussieht -- fand
man für zwei und achtzig tausend Livres Juwe-
len, die er nicht angezeigt hatte, und sie wurden
dem Gesetz gemäß in Beschlag genommen. Ohne
die geringste Widersetzlichkeit reiste der König wei-
ter, und das Zollamt erfuhr erst nach ein Paar
Stunden, daß es sein Recht an seines Kaisers
Bruder geübt hatte. Sogleich schickte es einen
Bothen nach Spaa, um dem Könige mit vielen
Entschuldigungen seine Kostbarkeiten zurückgeben
zu lassen, dieser wieß sie aber mit der sehr freund-

wahr, ſo bezeichnet es gewiß die Anſicht eines
Theils des Publikums, zu dieſer muß es eine
Veranlaſſung geben, und dieſe iſt dem Beobachter
die Hauptſache. So ſagte Voltaire: wenn die
Tuͤrken nicht in der heiligen Sophienkirche zu Con-
ſtantinopel getanzt haben, ſo haͤtten ſie es doch
thun koͤnnen — das heißt: ſie waren geneigt den
Ort zu entweihen. Der Geſchichtſchreiber ſollte
aber nicht in dieſem Sinne erzaͤhlen, wohl darf
es aber die geſchwaͤtzige Mutter, wenn ſie zu dem
Kreis ihrer Kinder ſpricht. Wie der Koͤnig an der
hollaͤndiſchen Grenze von der Duane unterſucht
ward — man muß ſtrenger gegen ihn verfahren
ſeyn, als gegen mein armes Ich, das freilich auch
gar nicht Contrebandenmaͤßig ausſieht — fand
man fuͤr zwei und achtzig tauſend Livres Juwe-
len, die er nicht angezeigt hatte, und ſie wurden
dem Geſetz gemaͤß in Beſchlag genommen. Ohne
die geringſte Widerſetzlichkeit reiſte der Koͤnig wei-
ter, und das Zollamt erfuhr erſt nach ein Paar
Stunden, daß es ſein Recht an ſeines Kaiſers
Bruder geuͤbt hatte. Sogleich ſchickte es einen
Bothen nach Spaa, um dem Koͤnige mit vielen
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[80/0094] wahr, ſo bezeichnet es gewiß die Anſicht eines Theils des Publikums, zu dieſer muß es eine Veranlaſſung geben, und dieſe iſt dem Beobachter die Hauptſache. So ſagte Voltaire: wenn die Tuͤrken nicht in der heiligen Sophienkirche zu Con- ſtantinopel getanzt haben, ſo haͤtten ſie es doch thun koͤnnen — das heißt: ſie waren geneigt den Ort zu entweihen. Der Geſchichtſchreiber ſollte aber nicht in dieſem Sinne erzaͤhlen, wohl darf es aber die geſchwaͤtzige Mutter, wenn ſie zu dem Kreis ihrer Kinder ſpricht. Wie der Koͤnig an der hollaͤndiſchen Grenze von der Duane unterſucht ward — man muß ſtrenger gegen ihn verfahren ſeyn, als gegen mein armes Ich, das freilich auch gar nicht Contrebandenmaͤßig ausſieht — fand man fuͤr zwei und achtzig tauſend Livres Juwe- len, die er nicht angezeigt hatte, und ſie wurden dem Geſetz gemaͤß in Beſchlag genommen. Ohne die geringſte Widerſetzlichkeit reiſte der Koͤnig wei- ter, und das Zollamt erfuhr erſt nach ein Paar Stunden, daß es ſein Recht an ſeines Kaiſers Bruder geuͤbt hatte. Sogleich ſchickte es einen Bothen nach Spaa, um dem Koͤnige mit vielen Entſchuldigungen ſeine Koſtbarkeiten zuruͤckgeben zu laſſen, dieſer wieß ſie aber mit der ſehr freund-

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/94>, abgerufen am 24.11.2024.