Koblenz zogen sie ihre Straßen landeinwärts, uns blieb noch eine ehrliche Bürgerin aus Neuwied, die Verwandte am Oberrhein besucht hatte, und dabei eines kleinen Handels mit Putzwaaren pfleg- te, wie sie uns, auf ein paar ungeheure Papp- schachteln zeigend, anvertraute. Die gute Seele ist unschuldig an den Moden die sie verbreitet, sie weiß gewiß nicht was sie thut. Ihr eigner Anzug war der Beweis, daß ihr eignes Beispiel keinen Modeleichtsinn lehre. Sie war so sauber und alt- fränkisch gekleidet, daß ich sie, bis das Geheim- niß der Pappschachteln ans Licht'kam, für eine Herrenhuterin hielt. Wie Neuwied an der Was- serfläche erschien, ging ihr das Herz auf -- sie bahnte und putzte an ihrer schwarztaftenen Schür- ze, und erzählte mir -- die sie bis jetzt unsrer Verdecksresidenz wegen, noch gar nicht gesehen hatte, daß in Neuwied eine verheirathete Tochter und zwei Enkel ihrer warteten. Guter Gott! wie freute mich die Frau mit ihrer verschämten, ver- traulichen Mittheilung; ich sagte ihr, daß ich von meinen Kindern und Enkeln abwärts reiste, auf dem Strom der sie zu ihnen führt, und prieß sie glücklich. Wie können die Menschen mich rühren, die da abblühen wo sie entsproßt sind, die Sonn-
Koblenz zogen ſie ihre Straßen landeinwaͤrts, uns blieb noch eine ehrliche Buͤrgerin aus Neuwied, die Verwandte am Oberrhein beſucht hatte, und dabei eines kleinen Handels mit Putzwaaren pfleg- te, wie ſie uns, auf ein paar ungeheure Papp- ſchachteln zeigend, anvertraute. Die gute Seele iſt unſchuldig an den Moden die ſie verbreitet, ſie weiß gewiß nicht was ſie thut. Ihr eigner Anzug war der Beweis, daß ihr eignes Beiſpiel keinen Modeleichtſinn lehre. Sie war ſo ſauber und alt- fraͤnkiſch gekleidet, daß ich ſie, bis das Geheim- niß der Pappſchachteln ans Licht’kam, fuͤr eine Herrenhuterin hielt. Wie Neuwied an der Waſ- ſerflaͤche erſchien, ging ihr das Herz auf — ſie bahnte und putzte an ihrer ſchwarztaftenen Schuͤr- ze, und erzaͤhlte mir — die ſie bis jetzt unſrer Verdecksreſidenz wegen, noch gar nicht geſehen hatte, daß in Neuwied eine verheirathete Tochter und zwei Enkel ihrer warteten. Guter Gott! wie freute mich die Frau mit ihrer verſchaͤmten, ver- traulichen Mittheilung; ich ſagte ihr, daß ich von meinen Kindern und Enkeln abwaͤrts reiſte, auf dem Strom der ſie zu ihnen fuͤhrt, und prieß ſie gluͤcklich. Wie koͤnnen die Menſchen mich ruͤhren, die da abbluͤhen wo ſie entſproßt ſind, die Sonn-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0071"n="57"/>
Koblenz zogen ſie ihre Straßen landeinwaͤrts, uns<lb/>
blieb noch eine ehrliche Buͤrgerin aus Neuwied,<lb/>
die Verwandte am Oberrhein beſucht hatte, und<lb/>
dabei eines kleinen Handels mit Putzwaaren pfleg-<lb/>
te, wie ſie uns, auf ein paar ungeheure Papp-<lb/>ſchachteln zeigend, anvertraute. Die gute Seele<lb/>
iſt unſchuldig an den Moden die ſie verbreitet, ſie<lb/>
weiß gewiß nicht was ſie thut. Ihr eigner Anzug<lb/>
war der Beweis, daß ihr eignes Beiſpiel keinen<lb/>
Modeleichtſinn lehre. Sie war ſo ſauber und alt-<lb/>
fraͤnkiſch gekleidet, daß ich ſie, bis das Geheim-<lb/>
niß der Pappſchachteln ans Licht’kam, fuͤr eine<lb/>
Herrenhuterin hielt. Wie Neuwied an der Waſ-<lb/>ſerflaͤche erſchien, ging ihr das Herz auf —ſie<lb/>
bahnte und putzte an ihrer ſchwarztaftenen Schuͤr-<lb/>
ze, und erzaͤhlte mir — die ſie bis jetzt unſrer<lb/>
Verdecksreſidenz wegen, noch gar nicht geſehen<lb/>
hatte, daß in Neuwied eine verheirathete Tochter<lb/>
und zwei Enkel ihrer warteten. Guter Gott! wie<lb/>
freute mich die Frau mit ihrer verſchaͤmten, ver-<lb/>
traulichen Mittheilung; ich ſagte ihr, daß ich von<lb/>
meinen Kindern und Enkeln abwaͤrts reiſte, auf<lb/>
dem Strom der ſie zu ihnen fuͤhrt, und prieß ſie<lb/>
gluͤcklich. Wie koͤnnen die Menſchen mich ruͤhren,<lb/>
die da abbluͤhen wo ſie entſproßt ſind, die Sonn-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[57/0071]
Koblenz zogen ſie ihre Straßen landeinwaͤrts, uns
blieb noch eine ehrliche Buͤrgerin aus Neuwied,
die Verwandte am Oberrhein beſucht hatte, und
dabei eines kleinen Handels mit Putzwaaren pfleg-
te, wie ſie uns, auf ein paar ungeheure Papp-
ſchachteln zeigend, anvertraute. Die gute Seele
iſt unſchuldig an den Moden die ſie verbreitet, ſie
weiß gewiß nicht was ſie thut. Ihr eigner Anzug
war der Beweis, daß ihr eignes Beiſpiel keinen
Modeleichtſinn lehre. Sie war ſo ſauber und alt-
fraͤnkiſch gekleidet, daß ich ſie, bis das Geheim-
niß der Pappſchachteln ans Licht’kam, fuͤr eine
Herrenhuterin hielt. Wie Neuwied an der Waſ-
ſerflaͤche erſchien, ging ihr das Herz auf — ſie
bahnte und putzte an ihrer ſchwarztaftenen Schuͤr-
ze, und erzaͤhlte mir — die ſie bis jetzt unſrer
Verdecksreſidenz wegen, noch gar nicht geſehen
hatte, daß in Neuwied eine verheirathete Tochter
und zwei Enkel ihrer warteten. Guter Gott! wie
freute mich die Frau mit ihrer verſchaͤmten, ver-
traulichen Mittheilung; ich ſagte ihr, daß ich von
meinen Kindern und Enkeln abwaͤrts reiſte, auf
dem Strom der ſie zu ihnen fuͤhrt, und prieß ſie
gluͤcklich. Wie koͤnnen die Menſchen mich ruͤhren,
die da abbluͤhen wo ſie entſproßt ſind, die Sonn-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/71>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.