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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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schmerzlich aufdringt was ihr fehlt, keines ihrer
einzelnen Theile giebt ein vollendetes Bild wie
der runde Thurm, das hohe Gewölbe des Mittel-
alters, noch die vollendete Säule der Vorzeit.

Der widrige Wind und die Saumseligkeit der
Schiffleute ließ uns nur bis Boppart kommen, wo
wir in einer Schenke, Krug, Kneipe und coupe
gorge
übernachteten, wie ich sie auf meinen weit-
läuftigen Kreuz- und Queerzügen nie widriger
antraf. Der Begriff von einem Bettzeug war den
Leuten ganz fremd, die Forderung von Waschwas-
ser und dergleichen Toilettenbedürfnissen behandel-
ten sie wie einen völlig ungereimten Einfall, und
ein Frühstück, das wir um halb drei Uhr haben
wollten, weil die Schiffer um drei Uhr abzufah-
ren im Sinne hatten, schlugen sie uns geradezu
ab, weil so früh niemand Feuer mache. Da des
Menschen einziger wahrer Besitz Erfahrung ist,
stiegen wir, sehr bereichert an diesem Schatz, aber
mit sehr leerem Magen um drei Uhr wieder auf
unser Verdeck. Der Mond sank [g]egen das west-
liche Ufer hinab, dunkle Wolker gingen vor ihm
vorüber, durch die er zuweile[n] wehmüthig und
glanzlos durchblickte, bis er [e]ndlich, selbst einer
blassen Wolke gleich vor einer gelblichen strahlen-

ſchmerzlich aufdringt was ihr fehlt, keines ihrer
einzelnen Theile giebt ein vollendetes Bild wie
der runde Thurm, das hohe Gewoͤlbe des Mittel-
alters, noch die vollendete Saͤule der Vorzeit.

Der widrige Wind und die Saumſeligkeit der
Schiffleute ließ uns nur bis Boppart kommen, wo
wir in einer Schenke, Krug, Kneipe und coupe
gorge
uͤbernachteten, wie ich ſie auf meinen weit-
laͤuftigen Kreuz- und Queerzuͤgen nie widriger
antraf. Der Begriff von einem Bettzeug war den
Leuten ganz fremd, die Forderung von Waſchwaſ-
ſer und dergleichen Toilettenbeduͤrfniſſen behandel-
ten ſie wie einen voͤllig ungereimten Einfall, und
ein Fruͤhſtuͤck, das wir um halb drei Uhr haben
wollten, weil die Schiffer um drei Uhr abzufah-
ren im Sinne hatten, ſchlugen ſie uns geradezu
ab, weil ſo fruͤh niemand Feuer mache. Da des
Menſchen einziger wahrer Beſitz Erfahrung iſt,
ſtiegen wir, ſehr bereichert an dieſem Schatz, aber
mit ſehr leerem Magen um drei Uhr wieder auf
unſer Verdeck. Der Mond ſank [g]egen das weſt-
liche Ufer hinab, dunkle Wolker gingen vor ihm
voruͤber, durch die er zuweile[n] wehmuͤthig und
glanzlos durchblickte, bis er [e]ndlich, ſelbſt einer
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[53/0067] ſchmerzlich aufdringt was ihr fehlt, keines ihrer einzelnen Theile giebt ein vollendetes Bild wie der runde Thurm, das hohe Gewoͤlbe des Mittel- alters, noch die vollendete Saͤule der Vorzeit. Der widrige Wind und die Saumſeligkeit der Schiffleute ließ uns nur bis Boppart kommen, wo wir in einer Schenke, Krug, Kneipe und coupe gorge uͤbernachteten, wie ich ſie auf meinen weit- laͤuftigen Kreuz- und Queerzuͤgen nie widriger antraf. Der Begriff von einem Bettzeug war den Leuten ganz fremd, die Forderung von Waſchwaſ- ſer und dergleichen Toilettenbeduͤrfniſſen behandel- ten ſie wie einen voͤllig ungereimten Einfall, und ein Fruͤhſtuͤck, das wir um halb drei Uhr haben wollten, weil die Schiffer um drei Uhr abzufah- ren im Sinne hatten, ſchlugen ſie uns geradezu ab, weil ſo fruͤh niemand Feuer mache. Da des Menſchen einziger wahrer Beſitz Erfahrung iſt, ſtiegen wir, ſehr bereichert an dieſem Schatz, aber mit ſehr leerem Magen um drei Uhr wieder auf unſer Verdeck. Der Mond ſank gegen das weſt- liche Ufer hinab, dunkle Wolker gingen vor ihm voruͤber, durch die er zuweilen wehmuͤthig und glanzlos durchblickte, bis er endlich, ſelbſt einer blaſſen Wolke gleich vor einer gelblichen ſtrahlen-

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/67>, abgerufen am 24.11.2024.