hätte sie alle an mein Herz drücken mögen, aber ich pflückte keine. Sie blickten alle hin zum ewi- gen Lichte, und ich blickte hinauf und wußte von keinem Tod mehr. -- Da waren sonst Gräber, sagte der Eigenthümer, der höflich zu mir kam -- da waren sonst Gräber! hätte ich gern laut jauch- zend geantwortet, auf das Allleben deutend, das mich umgab.
Ich ging einsam durch die Straßen, indem ich den Lohnbedienten einen Auftrag gab, vor Jo- hannes von Müllers Hause vorüber, dann vor Blau seinem, dann noch einmal über den Aufer- stehungsgarten an der Emmeranskirche links her- auf -- da wohnte Huber, ein paar Gassen weiter war Georg Forsters Wohnung. Jetzt taugte ich nicht mehr unter Menschen. -- Ich eilte, rechts vom Münsterthor einen alten Weg zu suchen, an einem kleinen Brunnen, den ich sonst kannte. Alles war anders, aber sein Wasser floß noch, und hier durften auch meine Thränen fließen. Diese Menschen, wie sah ich sie streben, hoffen, käm- pfen, und endlich die Wogen des Schicksals über sie zusammen schlagen, und stolz fort sich wäl- zend, wird sie ihr Andenken vertilgen. Ihr An- denken, aber nicht die Spuren ihres Wirkens in
haͤtte ſie alle an mein Herz druͤcken moͤgen, aber ich pfluͤckte keine. Sie blickten alle hin zum ewi- gen Lichte, und ich blickte hinauf und wußte von keinem Tod mehr. — Da waren ſonſt Graͤber, ſagte der Eigenthuͤmer, der hoͤflich zu mir kam — da waren ſonſt Graͤber! haͤtte ich gern laut jauch- zend geantwortet, auf das Allleben deutend, das mich umgab.
Ich ging einſam durch die Straßen, indem ich den Lohnbedienten einen Auftrag gab, vor Jo- hannes von Muͤllers Hauſe voruͤber, dann vor Blau ſeinem, dann noch einmal uͤber den Aufer- ſtehungsgarten an der Emmeranskirche links her- auf — da wohnte Huber, ein paar Gaſſen weiter war Georg Forſters Wohnung. Jetzt taugte ich nicht mehr unter Menſchen. — Ich eilte, rechts vom Muͤnſterthor einen alten Weg zu ſuchen, an einem kleinen Brunnen, den ich ſonſt kannte. Alles war anders, aber ſein Waſſer floß noch, und hier durften auch meine Thraͤnen fließen. Dieſe Menſchen, wie ſah ich ſie ſtreben, hoffen, kaͤm- pfen, und endlich die Wogen des Schickſals uͤber ſie zuſammen ſchlagen, und ſtolz fort ſich waͤl- zend, wird ſie ihr Andenken vertilgen. Ihr An- denken, aber nicht die Spuren ihres Wirkens in
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0042"n="28"/>
haͤtte ſie alle an mein Herz druͤcken moͤgen, aber<lb/>
ich pfluͤckte keine. Sie blickten alle hin zum ewi-<lb/>
gen Lichte, und ich blickte hinauf und wußte von<lb/>
keinem Tod mehr. — Da waren ſonſt Graͤber,<lb/>ſagte der Eigenthuͤmer, der hoͤflich zu mir kam —<lb/>
da waren ſonſt Graͤber! haͤtte ich gern laut jauch-<lb/>
zend geantwortet, auf das Allleben deutend, das<lb/>
mich umgab.</p><lb/><p>Ich ging einſam durch die Straßen, indem<lb/>
ich den Lohnbedienten einen Auftrag gab, vor Jo-<lb/>
hannes von Muͤllers Hauſe voruͤber, dann vor<lb/>
Blau ſeinem, dann noch einmal uͤber den Aufer-<lb/>ſtehungsgarten an der Emmeranskirche links her-<lb/>
auf — da wohnte Huber, ein paar Gaſſen weiter<lb/>
war Georg Forſters Wohnung. Jetzt taugte ich<lb/>
nicht mehr unter Menſchen. — Ich eilte, rechts<lb/>
vom Muͤnſterthor einen alten Weg zu ſuchen, an<lb/>
einem kleinen Brunnen, den ich ſonſt kannte.<lb/>
Alles war anders, aber ſein Waſſer floß noch, und<lb/>
hier durften auch meine Thraͤnen fließen. Dieſe<lb/>
Menſchen, wie ſah ich ſie ſtreben, hoffen, kaͤm-<lb/>
pfen, und endlich die Wogen des Schickſals uͤber<lb/>ſie zuſammen ſchlagen, und ſtolz fort ſich waͤl-<lb/>
zend, wird ſie ihr Andenken vertilgen. Ihr An-<lb/>
denken, aber nicht die Spuren ihres Wirkens in<lb/></p></div></body></text></TEI>
[28/0042]
haͤtte ſie alle an mein Herz druͤcken moͤgen, aber
ich pfluͤckte keine. Sie blickten alle hin zum ewi-
gen Lichte, und ich blickte hinauf und wußte von
keinem Tod mehr. — Da waren ſonſt Graͤber,
ſagte der Eigenthuͤmer, der hoͤflich zu mir kam —
da waren ſonſt Graͤber! haͤtte ich gern laut jauch-
zend geantwortet, auf das Allleben deutend, das
mich umgab.
Ich ging einſam durch die Straßen, indem
ich den Lohnbedienten einen Auftrag gab, vor Jo-
hannes von Muͤllers Hauſe voruͤber, dann vor
Blau ſeinem, dann noch einmal uͤber den Aufer-
ſtehungsgarten an der Emmeranskirche links her-
auf — da wohnte Huber, ein paar Gaſſen weiter
war Georg Forſters Wohnung. Jetzt taugte ich
nicht mehr unter Menſchen. — Ich eilte, rechts
vom Muͤnſterthor einen alten Weg zu ſuchen, an
einem kleinen Brunnen, den ich ſonſt kannte.
Alles war anders, aber ſein Waſſer floß noch, und
hier durften auch meine Thraͤnen fließen. Dieſe
Menſchen, wie ſah ich ſie ſtreben, hoffen, kaͤm-
pfen, und endlich die Wogen des Schickſals uͤber
ſie zuſammen ſchlagen, und ſtolz fort ſich waͤl-
zend, wird ſie ihr Andenken vertilgen. Ihr An-
denken, aber nicht die Spuren ihres Wirkens in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/42>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.