verfallenen Festen herab halb verwachsene Fuß- pfade sich in die Schluchten verlieren, sieht die herabgerollten Felsenstücke schon mit Gesträuch be- wachsen, die Wege versperren, auf denen sonst die Reisigen in die Burgthore einzogen, sieht den beglückenden Weinstock an den kleinen Abhängen gedeihen, von denen sonst die Belagerer ihre An- greifer mit herabrollenden Steinen zurücktrieben. Hie und da ragt aus dem Gemäuer, oft aus dem dun- keln Schlunde eines Wachtthurms ein starker Baum heraus, strebt mit seinem grünenden Haupthaar der Abendröthe entgegen, und ist ein hehrer Stun- denzeiger der langen Vergangenheit, die seinen Wurzeln auf diesem Steinschutte fruchtbare Erde zu- sammentrug. -- Der Abendröthe entgegen! -- Nie sah ich einen solchen Zauber des Abendstrahls, des Sonnenlichtes, wie in diesem Herbst, auf diesem Wege! der Morgennebel war sehr stark, sehr dauernd. Wir fuhren in eine Welt grauer Erschei- nungen hinein, die wandelnd und schwebend die trübe, arme Wirklichkeit in einzelnen Fragmenten darstellten. Hier trat ein grauer Fels aus der bläulichen Wolke, dort ein Kirchthurm mit seinem spitzen Dach, das mich immer an nordische Schnee- lasten erinnert; dann erblickte das Auge in der
verfallenen Feſten herab halb verwachſene Fuß- pfade ſich in die Schluchten verlieren, ſieht die herabgerollten Felſenſtuͤcke ſchon mit Geſtraͤuch be- wachſen, die Wege verſperren, auf denen ſonſt die Reiſigen in die Burgthore einzogen, ſieht den begluͤckenden Weinſtock an den kleinen Abhaͤngen gedeihen, von denen ſonſt die Belagerer ihre An- greifer mit herabrollenden Steinen zuruͤcktrieben. Hie und da ragt aus dem Gemaͤuer, oft aus dem dun- keln Schlunde eines Wachtthurms ein ſtarker Baum heraus, ſtrebt mit ſeinem gruͤnenden Haupthaar der Abendroͤthe entgegen, und iſt ein hehrer Stun- denzeiger der langen Vergangenheit, die ſeinen Wurzeln auf dieſem Steinſchutte fruchtbare Erde zu- ſammentrug. — Der Abendroͤthe entgegen! — Nie ſah ich einen ſolchen Zauber des Abendſtrahls, des Sonnenlichtes, wie in dieſem Herbſt, auf dieſem Wege! der Morgennebel war ſehr ſtark, ſehr dauernd. Wir fuhren in eine Welt grauer Erſchei- nungen hinein, die wandelnd und ſchwebend die truͤbe, arme Wirklichkeit in einzelnen Fragmenten darſtellten. Hier trat ein grauer Fels aus der blaͤulichen Wolke, dort ein Kirchthurm mit ſeinem ſpitzen Dach, das mich immer an nordiſche Schnee- laſten erinnert; dann erblickte das Auge in der
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verfallenen Feſten herab halb verwachſene Fuß-
pfade ſich in die Schluchten verlieren, ſieht die
herabgerollten Felſenſtuͤcke ſchon mit Geſtraͤuch be-
wachſen, die Wege verſperren, auf denen ſonſt
die Reiſigen in die Burgthore einzogen, ſieht den
begluͤckenden Weinſtock an den kleinen Abhaͤngen
gedeihen, von denen ſonſt die Belagerer ihre An-
greifer mit herabrollenden Steinen zuruͤcktrieben.
Hie und da ragt aus dem Gemaͤuer, oft aus dem dun-
keln Schlunde eines Wachtthurms ein ſtarker Baum
heraus, ſtrebt mit ſeinem gruͤnenden Haupthaar
der Abendroͤthe entgegen, und iſt ein hehrer Stun-
denzeiger der langen Vergangenheit, die ſeinen
Wurzeln auf dieſem Steinſchutte fruchtbare Erde zu-
ſammentrug. — Der Abendroͤthe entgegen! — Nie
ſah ich einen ſolchen Zauber des Abendſtrahls, des
Sonnenlichtes, wie in dieſem Herbſt, auf dieſem
Wege! der Morgennebel war ſehr ſtark, ſehr
dauernd. Wir fuhren in eine Welt grauer Erſchei-
nungen hinein, die wandelnd und ſchwebend die
truͤbe, arme Wirklichkeit in einzelnen Fragmenten
darſtellten. Hier trat ein grauer Fels aus der
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/406>, abgerufen am 28.11.2024.
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