Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

auf die Rede sieht. Die beiden hintern geistlichen
Figuren scheinen aufmerksam zuzuhören, zugleich
aber mit etwas beschäftigt, das ich für eine Rolle
Papiere hielt -- das ungünstige Licht verhinderte
mich, diesen Theil des Gemäldes genau zu sehen.
Aber mein vorderer Ritter genügte mir mit seinem
edeln Kopf und lichtbraun lockigem Haar, schönen
scharfgezeichneten Augenbraunen, und einem Blick,
dessen Blitzen sein Wille hinderte, wie ein gewisser
Zug am Munde bezeichnete, der Selbstbewachung
ausdrückte. Ein schönes Gesicht! Eine blaue
seidne Bandouliere zieht das Auge auf die elegante
Gestalt. -- Ob das Bild meisterhaft gemalt ist,
weiß ich nicht zu beurtheilen, aber daß es die leb-
hafteste Theilnahme erweckt, empfand ich, und
bezeugt mir das Erstaunen meiner Begleiter, so
ein Bild in diesem unbesuchten Winkel zu finden.
Meines Ritters Kopf und Gestalt wäre das Ideal zu
Göthe's Egmont -- nicht zu dem, dessen Vater-
und Gattensorge uns einen drückenden Schmerz
zurückläßt, nachdem Alba's Beil seinem Geiste
eine reinere Freiheit gab, als die er für sein Volk
zu erringen vermeinte.



auf die Rede ſieht. Die beiden hintern geiſtlichen
Figuren ſcheinen aufmerkſam zuzuhoͤren, zugleich
aber mit etwas beſchaͤftigt, das ich fuͤr eine Rolle
Papiere hielt — das unguͤnſtige Licht verhinderte
mich, dieſen Theil des Gemaͤldes genau zu ſehen.
Aber mein vorderer Ritter genuͤgte mir mit ſeinem
edeln Kopf und lichtbraun lockigem Haar, ſchoͤnen
ſcharfgezeichneten Augenbraunen, und einem Blick,
deſſen Blitzen ſein Wille hinderte, wie ein gewiſſer
Zug am Munde bezeichnete, der Selbſtbewachung
ausdruͤckte. Ein ſchoͤnes Geſicht! Eine blaue
ſeidne Bandouliere zieht das Auge auf die elegante
Geſtalt. — Ob das Bild meiſterhaft gemalt iſt,
weiß ich nicht zu beurtheilen, aber daß es die leb-
hafteſte Theilnahme erweckt, empfand ich, und
bezeugt mir das Erſtaunen meiner Begleiter, ſo
ein Bild in dieſem unbeſuchten Winkel zu finden.
Meines Ritters Kopf und Geſtalt waͤre das Ideal zu
Goͤthe’s Egmont — nicht zu dem, deſſen Vater-
und Gattenſorge uns einen druͤckenden Schmerz
zuruͤcklaͤßt, nachdem Alba’s Beil ſeinem Geiſte
eine reinere Freiheit gab, als die er fuͤr ſein Volk
zu erringen vermeinte.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0396" n="382"/>
auf die Rede &#x017F;ieht. Die beiden hintern gei&#x017F;tlichen<lb/>
Figuren &#x017F;cheinen aufmerk&#x017F;am zuzuho&#x0364;ren, zugleich<lb/>
aber mit etwas be&#x017F;cha&#x0364;ftigt, das ich fu&#x0364;r eine Rolle<lb/>
Papiere hielt &#x2014; das ungu&#x0364;n&#x017F;tige Licht verhinderte<lb/>
mich, die&#x017F;en Theil des Gema&#x0364;ldes genau zu &#x017F;ehen.<lb/>
Aber mein vorderer Ritter genu&#x0364;gte mir mit &#x017F;einem<lb/>
edeln Kopf und lichtbraun lockigem Haar, &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
&#x017F;charfgezeichneten Augenbraunen, und einem Blick,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Blitzen &#x017F;ein Wille hinderte, wie ein gewi&#x017F;&#x017F;er<lb/>
Zug am Munde bezeichnete, der Selb&#x017F;tbewachung<lb/>
ausdru&#x0364;ckte. Ein &#x017F;cho&#x0364;nes Ge&#x017F;icht! Eine blaue<lb/>
&#x017F;eidne Bandouliere zieht das Auge auf die elegante<lb/>
Ge&#x017F;talt. &#x2014; Ob das Bild mei&#x017F;terhaft gemalt i&#x017F;t,<lb/>
weiß ich nicht zu beurtheilen, aber daß es die leb-<lb/>
hafte&#x017F;te Theilnahme erweckt, empfand ich, und<lb/>
bezeugt mir das Er&#x017F;taunen meiner Begleiter, &#x017F;o<lb/>
ein Bild in die&#x017F;em unbe&#x017F;uchten Winkel zu finden.<lb/>
Meines Ritters Kopf und Ge&#x017F;talt wa&#x0364;re das Ideal zu<lb/>
Go&#x0364;the&#x2019;s Egmont &#x2014; nicht zu dem, de&#x017F;&#x017F;en Vater-<lb/>
und Gatten&#x017F;orge uns einen dru&#x0364;ckenden Schmerz<lb/>
zuru&#x0364;ckla&#x0364;ßt, nachdem Alba&#x2019;s Beil &#x017F;einem Gei&#x017F;te<lb/>
eine reinere Freiheit gab, als die er fu&#x0364;r &#x017F;ein Volk<lb/>
zu erringen vermeinte.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[382/0396] auf die Rede ſieht. Die beiden hintern geiſtlichen Figuren ſcheinen aufmerkſam zuzuhoͤren, zugleich aber mit etwas beſchaͤftigt, das ich fuͤr eine Rolle Papiere hielt — das unguͤnſtige Licht verhinderte mich, dieſen Theil des Gemaͤldes genau zu ſehen. Aber mein vorderer Ritter genuͤgte mir mit ſeinem edeln Kopf und lichtbraun lockigem Haar, ſchoͤnen ſcharfgezeichneten Augenbraunen, und einem Blick, deſſen Blitzen ſein Wille hinderte, wie ein gewiſſer Zug am Munde bezeichnete, der Selbſtbewachung ausdruͤckte. Ein ſchoͤnes Geſicht! Eine blaue ſeidne Bandouliere zieht das Auge auf die elegante Geſtalt. — Ob das Bild meiſterhaft gemalt iſt, weiß ich nicht zu beurtheilen, aber daß es die leb- hafteſte Theilnahme erweckt, empfand ich, und bezeugt mir das Erſtaunen meiner Begleiter, ſo ein Bild in dieſem unbeſuchten Winkel zu finden. Meines Ritters Kopf und Geſtalt waͤre das Ideal zu Goͤthe’s Egmont — nicht zu dem, deſſen Vater- und Gattenſorge uns einen druͤckenden Schmerz zuruͤcklaͤßt, nachdem Alba’s Beil ſeinem Geiſte eine reinere Freiheit gab, als die er fuͤr ſein Volk zu erringen vermeinte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/396
Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/396>, abgerufen am 24.11.2024.