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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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Tisch und schob die Bänder zurück, die ich, weil
sie von Wolle waren, nicht brauchen konnte. In-
dem erblickte ich unter ihnen ein blaues Band,
das ich seiner lebhaften Farbe wegen vorher aufge-
wickelt hatte, und plötzlich fiel mir ein, daß ich
mit eben solchem Gustels Todtenkleid zusammenge-
heftet hatte. -- In * * war ein Polizeigesetz,
den Todten nur wollene Bänder ins Grab zu ge-
ben; mochte es den Luxus mindern, oder die Wol-
lenfabriken begünstigen sollen. -- Nun entdeckte
ich die Entstehung meiner lebhaften Erinnerung an
Gustchens Sterbezimmer durch den Anblick und
das Berühren jenes wollenen Bandes. Wie oft
kann ein Lichtstrahl, ein Geräusch oder Geruch
eben so wirken -- -- der je die Bahre seines Ge-
liebtesten mit Rosen schmückte, ist für den die Rose
je wieder etwas anderes, als ein Auferstehungs-
bild? -- und der je die Orgeltöne beim Requiem
seines liebsten Todten hörte -- kann der sie hören,
ohne sich ganz in jenen Augenblick zu versetzen?
So saß ich jetzt im fernen Westen allein in der kah-
len protestantischen Kirche von Gouda, und sahe
die Flammen der gelben Kerzen vor mir stehen,
und die Priester das schwarze Kreuz aufheben, und
die Weihrauchwolken über den schwarz behangenen

Tiſch und ſchob die Baͤnder zuruͤck, die ich, weil
ſie von Wolle waren, nicht brauchen konnte. In-
dem erblickte ich unter ihnen ein blaues Band,
das ich ſeiner lebhaften Farbe wegen vorher aufge-
wickelt hatte, und ploͤtzlich fiel mir ein, daß ich
mit eben ſolchem Guſtels Todtenkleid zuſammenge-
heftet hatte. — In * * war ein Polizeigeſetz,
den Todten nur wollene Baͤnder ins Grab zu ge-
ben; mochte es den Luxus mindern, oder die Wol-
lenfabriken beguͤnſtigen ſollen. — Nun entdeckte
ich die Entſtehung meiner lebhaften Erinnerung an
Guſtchens Sterbezimmer durch den Anblick und
das Beruͤhren jenes wollenen Bandes. Wie oft
kann ein Lichtſtrahl, ein Geraͤuſch oder Geruch
eben ſo wirken — — der je die Bahre ſeines Ge-
liebteſten mit Roſen ſchmuͤckte, iſt fuͤr den die Roſe
je wieder etwas anderes, als ein Auferſtehungs-
bild? — und der je die Orgeltoͤne beim Requiem
ſeines liebſten Todten hoͤrte — kann der ſie hoͤren,
ohne ſich ganz in jenen Augenblick zu verſetzen?
So ſaß ich jetzt im fernen Weſten allein in der kah-
len proteſtantiſchen Kirche von Gouda, und ſahe
die Flammen der gelben Kerzen vor mir ſtehen,
und die Prieſter das ſchwarze Kreuz aufheben, und
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[378/0392] Tiſch und ſchob die Baͤnder zuruͤck, die ich, weil ſie von Wolle waren, nicht brauchen konnte. In- dem erblickte ich unter ihnen ein blaues Band, das ich ſeiner lebhaften Farbe wegen vorher aufge- wickelt hatte, und ploͤtzlich fiel mir ein, daß ich mit eben ſolchem Guſtels Todtenkleid zuſammenge- heftet hatte. — In * * war ein Polizeigeſetz, den Todten nur wollene Baͤnder ins Grab zu ge- ben; mochte es den Luxus mindern, oder die Wol- lenfabriken beguͤnſtigen ſollen. — Nun entdeckte ich die Entſtehung meiner lebhaften Erinnerung an Guſtchens Sterbezimmer durch den Anblick und das Beruͤhren jenes wollenen Bandes. Wie oft kann ein Lichtſtrahl, ein Geraͤuſch oder Geruch eben ſo wirken — — der je die Bahre ſeines Ge- liebteſten mit Roſen ſchmuͤckte, iſt fuͤr den die Roſe je wieder etwas anderes, als ein Auferſtehungs- bild? — und der je die Orgeltoͤne beim Requiem ſeines liebſten Todten hoͤrte — kann der ſie hoͤren, ohne ſich ganz in jenen Augenblick zu verſetzen? So ſaß ich jetzt im fernen Weſten allein in der kah- len proteſtantiſchen Kirche von Gouda, und ſahe die Flammen der gelben Kerzen vor mir ſtehen, und die Prieſter das ſchwarze Kreuz aufheben, und die Weihrauchwolken uͤber den ſchwarz behangenen

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/392>, abgerufen am 24.11.2024.