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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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her erscheint, ruft er, so gleichgültig er an und
vor sich seyn möchte, jenen Moment und mit ihm
fern oder näher zusammenhängende Umstände zu-
rück. Oft sind solche Gegenstände so geringfügig,
daß die Anregung der Ideen und ihr Uebergang
unserm Bewußtseyn entwischt, und daher entsteht
wohl die Erscheinung in unsrer Seele, daß zuwei-
len ohne alle scheinbare Veranlassung Bilder der
Vergangenheit mit den lebendigsten Farben vor un-
sere Seele treten, ohne daß wir entdecken können,
was sie herbei führte. Gewohnte Aufmerksamkeit
auf uns selbst, oft auch Zufall, lehrt sie uns zu-
weilen entdecken, noch öfter mag das Räthsel, in
unserm Innern verborgen, sich an dem geheimniß-
vollen Gang unserer nächtlichen Träume anreihen.
So war ich letzthin in einem kleinen Dorfkramla-
den und suchte Band, meine Schuhe zu binden --
plötzlich trat das Sterbezimmer und die Leichenge-
stalt einer lieben Freundin, die vor 25 Jahren in mei-
nen Armen starb, die ich ankleiden und zum letzten
Ruhebett bereiten half, so lebhaft vor meine Augen,
daß ich zerstreut den kleinen Kram betrachtete, meine
Freundinnen schwatzen ließ, und nach einer guten
Weile von ihnen aufgefordert ward, einen Han-
del abzuschließen. Ich trat also wieder an den

her erſcheint, ruft er, ſo gleichguͤltig er an und
vor ſich ſeyn moͤchte, jenen Moment und mit ihm
fern oder naͤher zuſammenhaͤngende Umſtaͤnde zu-
ruͤck. Oft ſind ſolche Gegenſtaͤnde ſo geringfuͤgig,
daß die Anregung der Ideen und ihr Uebergang
unſerm Bewußtſeyn entwiſcht, und daher entſteht
wohl die Erſcheinung in unſrer Seele, daß zuwei-
len ohne alle ſcheinbare Veranlaſſung Bilder der
Vergangenheit mit den lebendigſten Farben vor un-
ſere Seele treten, ohne daß wir entdecken koͤnnen,
was ſie herbei fuͤhrte. Gewohnte Aufmerkſamkeit
auf uns ſelbſt, oft auch Zufall, lehrt ſie uns zu-
weilen entdecken, noch oͤfter mag das Raͤthſel, in
unſerm Innern verborgen, ſich an dem geheimniß-
vollen Gang unſerer naͤchtlichen Traͤume anreihen.
So war ich letzthin in einem kleinen Dorfkramla-
den und ſuchte Band, meine Schuhe zu binden —
ploͤtzlich trat das Sterbezimmer und die Leichenge-
ſtalt einer lieben Freundin, die vor 25 Jahren in mei-
nen Armen ſtarb, die ich ankleiden und zum letzten
Ruhebett bereiten half, ſo lebhaft vor meine Augen,
daß ich zerſtreut den kleinen Kram betrachtete, meine
Freundinnen ſchwatzen ließ, und nach einer guten
Weile von ihnen aufgefordert ward, einen Han-
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[377/0391] her erſcheint, ruft er, ſo gleichguͤltig er an und vor ſich ſeyn moͤchte, jenen Moment und mit ihm fern oder naͤher zuſammenhaͤngende Umſtaͤnde zu- ruͤck. Oft ſind ſolche Gegenſtaͤnde ſo geringfuͤgig, daß die Anregung der Ideen und ihr Uebergang unſerm Bewußtſeyn entwiſcht, und daher entſteht wohl die Erſcheinung in unſrer Seele, daß zuwei- len ohne alle ſcheinbare Veranlaſſung Bilder der Vergangenheit mit den lebendigſten Farben vor un- ſere Seele treten, ohne daß wir entdecken koͤnnen, was ſie herbei fuͤhrte. Gewohnte Aufmerkſamkeit auf uns ſelbſt, oft auch Zufall, lehrt ſie uns zu- weilen entdecken, noch oͤfter mag das Raͤthſel, in unſerm Innern verborgen, ſich an dem geheimniß- vollen Gang unſerer naͤchtlichen Traͤume anreihen. So war ich letzthin in einem kleinen Dorfkramla- den und ſuchte Band, meine Schuhe zu binden — ploͤtzlich trat das Sterbezimmer und die Leichenge- ſtalt einer lieben Freundin, die vor 25 Jahren in mei- nen Armen ſtarb, die ich ankleiden und zum letzten Ruhebett bereiten half, ſo lebhaft vor meine Augen, daß ich zerſtreut den kleinen Kram betrachtete, meine Freundinnen ſchwatzen ließ, und nach einer guten Weile von ihnen aufgefordert ward, einen Han- del abzuſchließen. Ich trat alſo wieder an den

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/391>, abgerufen am 24.11.2024.