mann, den man mit der lebhaftesten Achtung nennt, sondern ein Franzose, der kein Deutsch sprechen konnte -- munterte zwei Mal den Deut- schen auf, sich Zeit zu nehmen, sich alles deutlich übersetzen zu lassen. Der Angeklagte hatte ein lo- ses Maul, und redete sehr geläufig, die Richter blieben sehr ruhig, sehr besonnen. Der Vortrag war ruhig, gar nicht rednerisch, und, sobald man die Sprache vertraut kennt, sehr deutlich. Ein feierlicher Moment war das Aufrufen der Zeugen, ehe ihr Verhör anging. Sie mußten vor die Rich- ter treten, wo der Secretair ihnen sagte, sie müßten erst die Wichtigkeit ihrer Verantwortung hören, ehe sie zur Aussage schritten. -- Man las sie ihnen vor, sie war deutlich und strenge. Dann fragte sie der Dollmetscher, ob sie alles verstanden hätten? sie bejahten es laut. Nun blieb eine Weile alles in tiefer Stille. Dann führte man sie, bis auf Einen, in ein entlege- nes Zimmer, indem nur immer einer auf einmal verhört werden mußte. An eben diesem Platze war der bei uns so berüchtigte Schinderhannes verhört und verurtheilt. Vor den Schranken er- scheint der Angeklagte ganz frei, sobald aber das Urtheil gesprochen ist, naht sich ihm der Nachrich-
mann, den man mit der lebhafteſten Achtung nennt, ſondern ein Franzoſe, der kein Deutſch ſprechen konnte — munterte zwei Mal den Deut- ſchen auf, ſich Zeit zu nehmen, ſich alles deutlich uͤberſetzen zu laſſen. Der Angeklagte hatte ein lo- ſes Maul, und redete ſehr gelaͤufig, die Richter blieben ſehr ruhig, ſehr beſonnen. Der Vortrag war ruhig, gar nicht redneriſch, und, ſobald man die Sprache vertraut kennt, ſehr deutlich. Ein feierlicher Moment war das Aufrufen der Zeugen, ehe ihr Verhoͤr anging. Sie mußten vor die Rich- ter treten, wo der Secretair ihnen ſagte, ſie muͤßten erſt die Wichtigkeit ihrer Verantwortung hoͤren, ehe ſie zur Ausſage ſchritten. — Man las ſie ihnen vor, ſie war deutlich und ſtrenge. Dann fragte ſie der Dollmetſcher, ob ſie alles verſtanden haͤtten? ſie bejahten es laut. Nun blieb eine Weile alles in tiefer Stille. Dann fuͤhrte man ſie, bis auf Einen, in ein entlege- nes Zimmer, indem nur immer einer auf einmal verhoͤrt werden mußte. An eben dieſem Platze war der bei uns ſo beruͤchtigte Schinderhannes verhoͤrt und verurtheilt. Vor den Schranken er- ſcheint der Angeklagte ganz frei, ſobald aber das Urtheil geſprochen iſt, naht ſich ihm der Nachrich-
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mann, den man mit der lebhafteſten Achtung
nennt, ſondern ein Franzoſe, der kein Deutſch
ſprechen konnte — munterte zwei Mal den Deut-
ſchen auf, ſich Zeit zu nehmen, ſich alles deutlich
uͤberſetzen zu laſſen. Der Angeklagte hatte ein lo-
ſes Maul, und redete ſehr gelaͤufig, die Richter
blieben ſehr ruhig, ſehr beſonnen. Der Vortrag
war ruhig, gar nicht redneriſch, und, ſobald man
die Sprache vertraut kennt, ſehr deutlich. Ein
feierlicher Moment war das Aufrufen der Zeugen,
ehe ihr Verhoͤr anging. Sie mußten vor die Rich-
ter treten, wo der Secretair ihnen ſagte, ſie
muͤßten erſt die Wichtigkeit ihrer Verantwortung
hoͤren, ehe ſie zur Ausſage ſchritten. — Man las
ſie ihnen vor, ſie war deutlich und ſtrenge.
Dann fragte ſie der Dollmetſcher, ob ſie alles
verſtanden haͤtten? ſie bejahten es laut. Nun
blieb eine Weile alles in tiefer Stille. Dann
fuͤhrte man ſie, bis auf Einen, in ein entlege-
nes Zimmer, indem nur immer einer auf einmal
verhoͤrt werden mußte. An eben dieſem Platze
war der bei uns ſo beruͤchtigte Schinderhannes
verhoͤrt und verurtheilt. Vor den Schranken er-
ſcheint der Angeklagte ganz frei, ſobald aber das
Urtheil geſprochen iſt, naht ſich ihm der Nachrich-
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/39>, abgerufen am 24.11.2024.
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