vielmehr verkleinernd. Unter diesem Tempel erblickst du einen grauen, marmornen Sarkophag, auf dem Wilhelm in der gewöhnlichen Stellung ähnlicher Gestalten des Mittelalters ausgestreckt liegt, nur nicht die Hände gefaltet, sondern an der Seite ausgestreckt, gerüstet, und zu seinen Füßen sein treuer Hund. Ich wollte, der Ver- theidiger der holländischen Freiheit faltete lieber die Hände. Wollte man diese kunstwidrige, aber rühren- de Stellung der frommen alten Kunst beibehalten, so hätte man auch diese gläubigen Hände nicht ver- achten sollen, die den Zuschauer immer so rührend mit der scheidenden Seele zu Gott hin geleiten. Ohne sie liegt die runde, durch die Höhe des Sar- kophags dem Betrachtenden verkürzte Gestalt, wie im Verdauungsstündchen begriffen, vor ihm, und erweckt weder fromme noch poetische Gedanken. Das Gesicht gegen ihn, zu seinen Füßen, steht, zu allgemeiner Bewunderung nur auf dem einen großen Zehen ruhend, in fliegender Stellung, Fama, der Ruhm, mit der Posaune in der Hand, wie sie eben wieder zu Odem zu kommen sucht. Der Künstler dachte wohl nicht daran, welche ern- ste Moral darin lag, daß seines Helden Schlaf nun so tief ist, daß ihn der laute Ton der Ruhms-
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vielmehr verkleinernd. Unter dieſem Tempel erblickſt du einen grauen, marmornen Sarkophag, auf dem Wilhelm in der gewoͤhnlichen Stellung aͤhnlicher Geſtalten des Mittelalters ausgeſtreckt liegt, nur nicht die Haͤnde gefaltet, ſondern an der Seite ausgeſtreckt, geruͤſtet, und zu ſeinen Fuͤßen ſein treuer Hund. Ich wollte, der Ver- theidiger der hollaͤndiſchen Freiheit faltete lieber die Haͤnde. Wollte man dieſe kunſtwidrige, aber ruͤhren- de Stellung der frommen alten Kunſt beibehalten, ſo haͤtte man auch dieſe glaͤubigen Haͤnde nicht ver- achten ſollen, die den Zuſchauer immer ſo ruͤhrend mit der ſcheidenden Seele zu Gott hin geleiten. Ohne ſie liegt die runde, durch die Hoͤhe des Sar- kophags dem Betrachtenden verkuͤrzte Geſtalt, wie im Verdauungsſtuͤndchen begriffen, vor ihm, und erweckt weder fromme noch poetiſche Gedanken. Das Geſicht gegen ihn, zu ſeinen Fuͤßen, ſteht, zu allgemeiner Bewunderung nur auf dem einen großen Zehen ruhend, in fliegender Stellung, Fama, der Ruhm, mit der Poſaune in der Hand, wie ſie eben wieder zu Odem zu kommen ſucht. Der Kuͤnſtler dachte wohl nicht daran, welche ern- ſte Moral darin lag, daß ſeines Helden Schlaf nun ſo tief iſt, daß ihn der laute Ton der Ruhms-
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vielmehr verkleinernd. Unter dieſem Tempel
erblickſt du einen grauen, marmornen Sarkophag,
auf dem Wilhelm in der gewoͤhnlichen Stellung
aͤhnlicher Geſtalten des Mittelalters ausgeſtreckt
liegt, nur nicht die Haͤnde gefaltet, ſondern an
der Seite ausgeſtreckt, geruͤſtet, und zu ſeinen
Fuͤßen ſein treuer Hund. Ich wollte, der Ver-
theidiger der hollaͤndiſchen Freiheit faltete lieber die
Haͤnde. Wollte man dieſe kunſtwidrige, aber ruͤhren-
de Stellung der frommen alten Kunſt beibehalten,
ſo haͤtte man auch dieſe glaͤubigen Haͤnde nicht ver-
achten ſollen, die den Zuſchauer immer ſo ruͤhrend
mit der ſcheidenden Seele zu Gott hin geleiten.
Ohne ſie liegt die runde, durch die Hoͤhe des Sar-
kophags dem Betrachtenden verkuͤrzte Geſtalt, wie
im Verdauungsſtuͤndchen begriffen, vor ihm, und
erweckt weder fromme noch poetiſche Gedanken.
Das Geſicht gegen ihn, zu ſeinen Fuͤßen, ſteht,
zu allgemeiner Bewunderung nur auf dem einen
großen Zehen ruhend, in fliegender Stellung,
Fama, der Ruhm, mit der Poſaune in der Hand,
wie ſie eben wieder zu Odem zu kommen ſucht.
Der Kuͤnſtler dachte wohl nicht daran, welche ern-
ſte Moral darin lag, daß ſeines Helden Schlaf
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/369>, abgerufen am 24.11.2024.
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