Boden man hinaus in die Wellen blickt, je furcht- barer bemeistert sich das Bild der Phantasie. Das Meer steigt immer höher und höher, und die schwe- re Brust fühlt es, sich um sie lagern, denn die hohe Woge verbirgt den Himmel, und die Nähe der Wasserberge entzieht den letzten Anblick des mütterlichen Bodens -- den kahlen Strand um uns her.
Wir schäkerten lange an dem nassen Gestade, lachten über die verworrenen Gestalten, die der noch immer dauernde Sturm unsern Kleidungen gab, suchten Muscheln im Sande, und zählten die Zeiträume, in denen die Wogen am Strand rollten. Ich hätte den Abend, trotz dem Sturme, hier zubringen mögen, hätte sich nicht bald ein Haufen Fischer um uns versammelt, die durch ih- ren elenden Aufzug, durch ihr ungestümes Betteln, durch die Zudringlichkeit, mit der sie uns Meer- muscheln zum Verkauf anboten, uns unerträglich belästigten. -- Wäre ich nun auch kein Weib ge- wesen, sondern hätte hier in der Unabhängigkeit des Mannes gestanden, so wäre ich doch nicht einsam geblieben. Lebte ich eine Zeitlang in die- ser Gegend, so brächte ich ein paar Nächte hier zu, und schlich mich im Mondschein an das Ge-
Boden man hinaus in die Wellen blickt, je furcht- barer bemeiſtert ſich das Bild der Phantaſie. Das Meer ſteigt immer hoͤher und hoͤher, und die ſchwe- re Bruſt fuͤhlt es, ſich um ſie lagern, denn die hohe Woge verbirgt den Himmel, und die Naͤhe der Waſſerberge entzieht den letzten Anblick des muͤtterlichen Bodens — den kahlen Strand um uns her.
Wir ſchaͤkerten lange an dem naſſen Geſtade, lachten uͤber die verworrenen Geſtalten, die der noch immer dauernde Sturm unſern Kleidungen gab, ſuchten Muſcheln im Sande, und zaͤhlten die Zeitraͤume, in denen die Wogen am Strand rollten. Ich haͤtte den Abend, trotz dem Sturme, hier zubringen moͤgen, haͤtte ſich nicht bald ein Haufen Fiſcher um uns verſammelt, die durch ih- ren elenden Aufzug, durch ihr ungeſtuͤmes Betteln, durch die Zudringlichkeit, mit der ſie uns Meer- muſcheln zum Verkauf anboten, uns unertraͤglich belaͤſtigten. — Waͤre ich nun auch kein Weib ge- weſen, ſondern haͤtte hier in der Unabhaͤngigkeit des Mannes geſtanden, ſo waͤre ich doch nicht einſam geblieben. Lebte ich eine Zeitlang in die- ſer Gegend, ſo braͤchte ich ein paar Naͤchte hier zu, und ſchlich mich im Mondſchein an das Ge-
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Boden man hinaus in die Wellen blickt, je furcht-
barer bemeiſtert ſich das Bild der Phantaſie. Das
Meer ſteigt immer hoͤher und hoͤher, und die ſchwe-
re Bruſt fuͤhlt es, ſich um ſie lagern, denn die
hohe Woge verbirgt den Himmel, und die Naͤhe
der Waſſerberge entzieht den letzten Anblick des
muͤtterlichen Bodens — den kahlen Strand um
uns her.
Wir ſchaͤkerten lange an dem naſſen Geſtade,
lachten uͤber die verworrenen Geſtalten, die der
noch immer dauernde Sturm unſern Kleidungen
gab, ſuchten Muſcheln im Sande, und zaͤhlten
die Zeitraͤume, in denen die Wogen am Strand
rollten. Ich haͤtte den Abend, trotz dem Sturme,
hier zubringen moͤgen, haͤtte ſich nicht bald ein
Haufen Fiſcher um uns verſammelt, die durch ih-
ren elenden Aufzug, durch ihr ungeſtuͤmes Betteln,
durch die Zudringlichkeit, mit der ſie uns Meer-
muſcheln zum Verkauf anboten, uns unertraͤglich
belaͤſtigten. — Waͤre ich nun auch kein Weib ge-
weſen, ſondern haͤtte hier in der Unabhaͤngigkeit
des Mannes geſtanden, ſo waͤre ich doch nicht
einſam geblieben. Lebte ich eine Zeitlang in die-
ſer Gegend, ſo braͤchte ich ein paar Naͤchte hier
zu, und ſchlich mich im Mondſchein an das Ge-
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/360>, abgerufen am 24.11.2024.
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