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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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blicken. Es kann mich wunderbar anziehen, wenn
ich von einem Orte, wo irgend eine historische Per-
son vor Jahrhunderten stand, auf Gegenstände
hinblicke, auf denen ihr Auge geruht muß haben,
und dann ihre und meine Stimmung und Begriffe
bei dem Anblicke vergleiche. Es ist wohl eine kin-
dische Weichheit, warum ich endlich immer über
ihrer Asche sanft weinen möchte, wie über eines
Kindes Wiege. Daß nun so vieler Schmerz und
so vieles Sehnen schweigt, und ich da stehe und
dahin sehe mit ganz anderm Schmerz im Herzen,
und anderm Sehnen, und bald nach mir wieder
ein anderer dastehen wird, wenn meine Asche mit
Jakobas Asche verfliegt. Es wird dann in meinem
Gemüthe und um mich her, wie nach einem Ge-
wittersturme im Frühlinge, wo der ganze Aufruhr
der Natur sich in die tiefe Stille auflöst, in der
die einzelnen Wassertropfen, die vom Laub fallen,
das einzige Geräusch sind. -- Die gute Jakoba!
vielleicht entfiel meinem Auge die erste Thräne um
sie auf die alte Mauer. Außer dieser Mauer, auf
deren innern Seite ein wenig Fuß breiter Weg her-
umgeht, ist der ganze innere Raum von einem
Irrgarten eingenommen, zierlich von lauter hohen
Hecken in schneckenförmigen Kreisen gepflanzt und

blicken. Es kann mich wunderbar anziehen, wenn
ich von einem Orte, wo irgend eine hiſtoriſche Per-
ſon vor Jahrhunderten ſtand, auf Gegenſtaͤnde
hinblicke, auf denen ihr Auge geruht muß haben,
und dann ihre und meine Stimmung und Begriffe
bei dem Anblicke vergleiche. Es iſt wohl eine kin-
diſche Weichheit, warum ich endlich immer uͤber
ihrer Aſche ſanft weinen moͤchte, wie uͤber eines
Kindes Wiege. Daß nun ſo vieler Schmerz und
ſo vieles Sehnen ſchweigt, und ich da ſtehe und
dahin ſehe mit ganz anderm Schmerz im Herzen,
und anderm Sehnen, und bald nach mir wieder
ein anderer daſtehen wird, wenn meine Aſche mit
Jakobas Aſche verfliegt. Es wird dann in meinem
Gemuͤthe und um mich her, wie nach einem Ge-
witterſturme im Fruͤhlinge, wo der ganze Aufruhr
der Natur ſich in die tiefe Stille aufloͤſt, in der
die einzelnen Waſſertropfen, die vom Laub fallen,
das einzige Geraͤuſch ſind. — Die gute Jakoba!
vielleicht entfiel meinem Auge die erſte Thraͤne um
ſie auf die alte Mauer. Außer dieſer Mauer, auf
deren innern Seite ein wenig Fuß breiter Weg her-
umgeht, iſt der ganze innere Raum von einem
Irrgarten eingenommen, zierlich von lauter hohen
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[316/0330] blicken. Es kann mich wunderbar anziehen, wenn ich von einem Orte, wo irgend eine hiſtoriſche Per- ſon vor Jahrhunderten ſtand, auf Gegenſtaͤnde hinblicke, auf denen ihr Auge geruht muß haben, und dann ihre und meine Stimmung und Begriffe bei dem Anblicke vergleiche. Es iſt wohl eine kin- diſche Weichheit, warum ich endlich immer uͤber ihrer Aſche ſanft weinen moͤchte, wie uͤber eines Kindes Wiege. Daß nun ſo vieler Schmerz und ſo vieles Sehnen ſchweigt, und ich da ſtehe und dahin ſehe mit ganz anderm Schmerz im Herzen, und anderm Sehnen, und bald nach mir wieder ein anderer daſtehen wird, wenn meine Aſche mit Jakobas Aſche verfliegt. Es wird dann in meinem Gemuͤthe und um mich her, wie nach einem Ge- witterſturme im Fruͤhlinge, wo der ganze Aufruhr der Natur ſich in die tiefe Stille aufloͤſt, in der die einzelnen Waſſertropfen, die vom Laub fallen, das einzige Geraͤuſch ſind. — Die gute Jakoba! vielleicht entfiel meinem Auge die erſte Thraͤne um ſie auf die alte Mauer. Außer dieſer Mauer, auf deren innern Seite ein wenig Fuß breiter Weg her- umgeht, iſt der ganze innere Raum von einem Irrgarten eingenommen, zierlich von lauter hohen Hecken in ſchneckenfoͤrmigen Kreiſen gepflanzt und

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/330>, abgerufen am 24.11.2024.