hung, es ist so viel Menschenwerk in Bewegung gesetzt, dem der Menschenverstand allenthalben hätte begegnen können, wozu jeder gemeine Ver- stand gerathen hätte -- und dennoch geschah es. Die gemeinste Vorsicht steht neben dem fürchterli- chen Unglück, wie Tiresias neben dem verblende- ten Sohn des Lajus -- händeringend möchte man rufen: und das ahndetest du nicht! Und wie viel mehr verlor in Leyden die Masse von Menschen- fleiß und menschlichen Geist! Viele nützliche, der Nation und den Wissenschaften werthe Dinge und Menschen wurden zerstört, und können nicht mehr er- setzt werden. Auf Geldaus kleine Flur wird Gottes Sonne scheinen und sein Thau fallen, und bald keimt aus der Erde liebendem Schoos neuer See- gen empor. Aber was ersetzt die wackern Bürger, die an jenem Tage zerschmettert sanken? wer denkt die Gedanken wieder, die das Resultat ihres le- benslangen Forschens waren, und die ein Moment in Flammen verzehrte? So malerisch ist der Schutt- haufen einer Stadt freilich nicht, wie Geldau's Berge, vielleicht läßt er sich auch nicht so gut be- singen. Nun herzlich gern! alle, die ihre Em- pfindsamkeit und Muse durch die Schweiz prome- niren, finden's ohne Zweifel sehr rührend, daß
hung, es iſt ſo viel Menſchenwerk in Bewegung geſetzt, dem der Menſchenverſtand allenthalben haͤtte begegnen koͤnnen, wozu jeder gemeine Ver- ſtand gerathen haͤtte — und dennoch geſchah es. Die gemeinſte Vorſicht ſteht neben dem fuͤrchterli- chen Ungluͤck, wie Tireſias neben dem verblende- ten Sohn des Lajus — haͤnderingend moͤchte man rufen: und das ahndeteſt du nicht! Und wie viel mehr verlor in Leyden die Maſſe von Menſchen- fleiß und menſchlichen Geiſt! Viele nuͤtzliche, der Nation und den Wiſſenſchaften werthe Dinge und Menſchen wurden zerſtoͤrt, und koͤnnen nicht mehr er- ſetzt werden. Auf Geldaus kleine Flur wird Gottes Sonne ſcheinen und ſein Thau fallen, und bald keimt aus der Erde liebendem Schoos neuer See- gen empor. Aber was erſetzt die wackern Buͤrger, die an jenem Tage zerſchmettert ſanken? wer denkt die Gedanken wieder, die das Reſultat ihres le- benslangen Forſchens waren, und die ein Moment in Flammen verzehrte? So maleriſch iſt der Schutt- haufen einer Stadt freilich nicht, wie Geldau’s Berge, vielleicht laͤßt er ſich auch nicht ſo gut be- ſingen. Nun herzlich gern! alle, die ihre Em- pfindſamkeit und Muſe durch die Schweiz prome- niren, finden’s ohne Zweifel ſehr ruͤhrend, daß
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hung, es iſt ſo viel Menſchenwerk in Bewegung
geſetzt, dem der Menſchenverſtand allenthalben
haͤtte begegnen koͤnnen, wozu jeder gemeine Ver-
ſtand gerathen haͤtte — und dennoch geſchah es.
Die gemeinſte Vorſicht ſteht neben dem fuͤrchterli-
chen Ungluͤck, wie Tireſias neben dem verblende-
ten Sohn des Lajus — haͤnderingend moͤchte man
rufen: und das ahndeteſt du nicht! Und wie viel
mehr verlor in Leyden die Maſſe von Menſchen-
fleiß und menſchlichen Geiſt! Viele nuͤtzliche, der
Nation und den Wiſſenſchaften werthe Dinge und
Menſchen wurden zerſtoͤrt, und koͤnnen nicht mehr er-
ſetzt werden. Auf Geldaus kleine Flur wird Gottes
Sonne ſcheinen und ſein Thau fallen, und bald
keimt aus der Erde liebendem Schoos neuer See-
gen empor. Aber was erſetzt die wackern Buͤrger,
die an jenem Tage zerſchmettert ſanken? wer denkt
die Gedanken wieder, die das Reſultat ihres le-
benslangen Forſchens waren, und die ein Moment
in Flammen verzehrte? So maleriſch iſt der Schutt-
haufen einer Stadt freilich nicht, wie Geldau’s
Berge, vielleicht laͤßt er ſich auch nicht ſo gut be-
ſingen. Nun herzlich gern! alle, die ihre Em-
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/327>, abgerufen am 24.11.2024.
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