diesem erhabenen Ziele verhülle ich mein Antlitz. Doch es sey so! schon das Streben ist beglückend. Welcher der verschiedenen Zustände vom Hotten- totten-Kraal bis zur holländischen geputzten Bauernwohnung bietet aber wohl den Punkt dar, von wo aus der Mensch am leichtesten zu diesem Streben geschickt würde? -- Aus Leibeigenschaft, oder bürgerlicher Freiheit? Ich sehe Euch recht wahrhaft erschrocken, indem ich Euch die Meinung äußere, daß der Mensch unter einem reinen Despo- tismus mehr Fähigkeit zur Freiheit behält -- also zur höchsten Entwickelung erzogen zu werden, als unter irgend einer andern, jetzt vorhandnen Form der Gesellschaft, dem zufolge müßte ich also aus den polnischen Bauern den vollkommenern Men- schen ziehen wollen? Hm! der polnische Despotis- mus reicht mir noch nicht hin. Das ist kein rei- ner Despotismus -- seit hundert Jahren gar nicht mehr. Der orientalische, der gefällt mir. Der Despot muß, wie man die Hand umkehrt, Pa- triarch werden können, und dann wird er Erzie- her und endlich Befreier, und die Nachwelt ver- setzt ihn neben Numa unter die Himmlischen. Wir sind zum Vergöttern zu klug geworden -- darin liegt unser ganzes Elend. Gebt uns die Fähigkeit
dieſem erhabenen Ziele verhuͤlle ich mein Antlitz. Doch es ſey ſo! ſchon das Streben iſt begluͤckend. Welcher der verſchiedenen Zuſtaͤnde vom Hotten- totten-Kraal bis zur hollaͤndiſchen geputzten Bauernwohnung bietet aber wohl den Punkt dar, von wo aus der Menſch am leichteſten zu dieſem Streben geſchickt wuͤrde? — Aus Leibeigenſchaft, oder buͤrgerlicher Freiheit? Ich ſehe Euch recht wahrhaft erſchrocken, indem ich Euch die Meinung aͤußere, daß der Menſch unter einem reinen Deſpo- tismus mehr Faͤhigkeit zur Freiheit behaͤlt — alſo zur hoͤchſten Entwickelung erzogen zu werden, als unter irgend einer andern, jetzt vorhandnen Form der Geſellſchaft, dem zufolge muͤßte ich alſo aus den polniſchen Bauern den vollkommenern Men- ſchen ziehen wollen? Hm! der polniſche Deſpotis- mus reicht mir noch nicht hin. Das iſt kein rei- ner Deſpotismus — ſeit hundert Jahren gar nicht mehr. Der orientaliſche, der gefaͤllt mir. Der Deſpot muß, wie man die Hand umkehrt, Pa- triarch werden koͤnnen, und dann wird er Erzie- her und endlich Befreier, und die Nachwelt ver- ſetzt ihn neben Numa unter die Himmliſchen. Wir ſind zum Vergoͤttern zu klug geworden — darin liegt unſer ganzes Elend. Gebt uns die Faͤhigkeit
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dieſem erhabenen Ziele verhuͤlle ich mein Antlitz.
Doch es ſey ſo! ſchon das Streben iſt begluͤckend.
Welcher der verſchiedenen Zuſtaͤnde vom Hotten-
totten-Kraal bis zur hollaͤndiſchen geputzten
Bauernwohnung bietet aber wohl den Punkt dar,
von wo aus der Menſch am leichteſten zu dieſem
Streben geſchickt wuͤrde? — Aus Leibeigenſchaft,
oder buͤrgerlicher Freiheit? Ich ſehe Euch recht
wahrhaft erſchrocken, indem ich Euch die Meinung
aͤußere, daß der Menſch unter einem reinen Deſpo-
tismus mehr Faͤhigkeit zur Freiheit behaͤlt — alſo
zur hoͤchſten Entwickelung erzogen zu werden, als
unter irgend einer andern, jetzt vorhandnen Form
der Geſellſchaft, dem zufolge muͤßte ich alſo aus
den polniſchen Bauern den vollkommenern Men-
ſchen ziehen wollen? Hm! der polniſche Deſpotis-
mus reicht mir noch nicht hin. Das iſt kein rei-
ner Deſpotismus — ſeit hundert Jahren gar nicht
mehr. Der orientaliſche, der gefaͤllt mir. Der
Deſpot muß, wie man die Hand umkehrt, Pa-
triarch werden koͤnnen, und dann wird er Erzie-
her und endlich Befreier, und die Nachwelt ver-
ſetzt ihn neben Numa unter die Himmliſchen. Wir
ſind zum Vergoͤttern zu klug geworden — darin
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/270>, abgerufen am 27.11.2024.
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