ihn nicht. Ich suchte ihnen einen Begriff von die- sem Schauspiel zu geben -- sie gestanden mir aber das Wagstück einen willkührlichen Egmont zu bilden, ihm statt seiner ehr- und tugendsamen Gemalin Sabina von Bayern, eine zweideutige Geliebte, und statt seines zweideutigen Glaubens- bekenntnisses in der Stunde des Todes, die Sie- geshymne der ewigen Freiheit in den Mund zu legen, würde bei ihren Landsleuten neuen unfehl- baren Skandal erregen. Da war nun weiter nichts zu thun. -- Ob ihre Dichter der Geschichte im- mer gewissenhaft treu blieben, weiß ich nicht, in manchen Fällen sollte es mir für die tragische Muse sehr leid thun. Daß ihre Vorbilder, die französi- schen Tragiker, die Vorrechte der Dichtkunst wei- ter ausdehnen, beweisen uns wohl ihre liebeskran- ken Oreste, und galanten Agamemnons, mögen sie sich also zwischen der Kunst und ihrem Gewis- sen abfinden -- Göthes fingirter Egmont hauche indessen dem blutvollen, geistlosen Chaos der hol- ländischen Freiheitsgeschichte Lebensgeist ein.
Die Deklamation der holländischen Schauspie- ler ist so wie ihr Vers nach der französischen gebil- det. Da trifft das Pathos freilich manchmal auf unselige Töne für ein deutsches Ohr. So zum
ihn nicht. Ich ſuchte ihnen einen Begriff von die- ſem Schauſpiel zu geben — ſie geſtanden mir aber das Wagſtuͤck einen willkuͤhrlichen Egmont zu bilden, ihm ſtatt ſeiner ehr- und tugendſamen Gemalin Sabina von Bayern, eine zweideutige Geliebte, und ſtatt ſeines zweideutigen Glaubens- bekenntniſſes in der Stunde des Todes, die Sie- geshymne der ewigen Freiheit in den Mund zu legen, wuͤrde bei ihren Landsleuten neuen unfehl- baren Skandal erregen. Da war nun weiter nichts zu thun. — Ob ihre Dichter der Geſchichte im- mer gewiſſenhaft treu blieben, weiß ich nicht, in manchen Faͤllen ſollte es mir fuͤr die tragiſche Muſe ſehr leid thun. Daß ihre Vorbilder, die franzoͤſi- ſchen Tragiker, die Vorrechte der Dichtkunſt wei- ter ausdehnen, beweiſen uns wohl ihre liebeskran- ken Oreſte, und galanten Agamemnons, moͤgen ſie ſich alſo zwiſchen der Kunſt und ihrem Gewiſ- ſen abfinden — Goͤthes fingirter Egmont hauche indeſſen dem blutvollen, geiſtloſen Chaos der hol- laͤndiſchen Freiheitsgeſchichte Lebensgeiſt ein.
Die Deklamation der hollaͤndiſchen Schauſpie- ler iſt ſo wie ihr Vers nach der franzoͤſiſchen gebil- det. Da trifft das Pathos freilich manchmal auf unſelige Toͤne fuͤr ein deutſches Ohr. So zum
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0227"n="213"/>
ihn nicht. Ich ſuchte ihnen einen Begriff von die-<lb/>ſem Schauſpiel zu geben —ſie geſtanden mir<lb/>
aber das Wagſtuͤck einen willkuͤhrlichen Egmont<lb/>
zu bilden, ihm ſtatt ſeiner ehr- und tugendſamen<lb/>
Gemalin Sabina von Bayern, eine zweideutige<lb/>
Geliebte, und ſtatt ſeines zweideutigen Glaubens-<lb/>
bekenntniſſes in der Stunde des Todes, die Sie-<lb/>
geshymne der ewigen Freiheit in den Mund zu<lb/>
legen, wuͤrde bei ihren Landsleuten neuen unfehl-<lb/>
baren Skandal erregen. Da war nun weiter nichts<lb/>
zu thun. — Ob ihre Dichter der Geſchichte im-<lb/>
mer gewiſſenhaft treu blieben, weiß ich nicht, in<lb/>
manchen Faͤllen ſollte es mir fuͤr die tragiſche Muſe<lb/>ſehr leid thun. Daß ihre Vorbilder, die franzoͤſi-<lb/>ſchen Tragiker, die Vorrechte der Dichtkunſt wei-<lb/>
ter ausdehnen, beweiſen uns wohl ihre liebeskran-<lb/>
ken Oreſte, und galanten Agamemnons, moͤgen<lb/>ſie ſich alſo zwiſchen der Kunſt und ihrem Gewiſ-<lb/>ſen abfinden — Goͤthes fingirter Egmont hauche<lb/>
indeſſen dem blutvollen, geiſtloſen Chaos der hol-<lb/>
laͤndiſchen Freiheitsgeſchichte Lebensgeiſt ein.</p><lb/><p>Die Deklamation der hollaͤndiſchen Schauſpie-<lb/>
ler iſt ſo wie ihr Vers nach der franzoͤſiſchen gebil-<lb/>
det. Da trifft das Pathos freilich manchmal auf<lb/>
unſelige Toͤne fuͤr ein deutſches Ohr. So zum<lb/></p></div></body></text></TEI>
[213/0227]
ihn nicht. Ich ſuchte ihnen einen Begriff von die-
ſem Schauſpiel zu geben — ſie geſtanden mir
aber das Wagſtuͤck einen willkuͤhrlichen Egmont
zu bilden, ihm ſtatt ſeiner ehr- und tugendſamen
Gemalin Sabina von Bayern, eine zweideutige
Geliebte, und ſtatt ſeines zweideutigen Glaubens-
bekenntniſſes in der Stunde des Todes, die Sie-
geshymne der ewigen Freiheit in den Mund zu
legen, wuͤrde bei ihren Landsleuten neuen unfehl-
baren Skandal erregen. Da war nun weiter nichts
zu thun. — Ob ihre Dichter der Geſchichte im-
mer gewiſſenhaft treu blieben, weiß ich nicht, in
manchen Faͤllen ſollte es mir fuͤr die tragiſche Muſe
ſehr leid thun. Daß ihre Vorbilder, die franzoͤſi-
ſchen Tragiker, die Vorrechte der Dichtkunſt wei-
ter ausdehnen, beweiſen uns wohl ihre liebeskran-
ken Oreſte, und galanten Agamemnons, moͤgen
ſie ſich alſo zwiſchen der Kunſt und ihrem Gewiſ-
ſen abfinden — Goͤthes fingirter Egmont hauche
indeſſen dem blutvollen, geiſtloſen Chaos der hol-
laͤndiſchen Freiheitsgeſchichte Lebensgeiſt ein.
Die Deklamation der hollaͤndiſchen Schauſpie-
ler iſt ſo wie ihr Vers nach der franzoͤſiſchen gebil-
det. Da trifft das Pathos freilich manchmal auf
unſelige Toͤne fuͤr ein deutſches Ohr. So zum
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/227>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.